Wer Kreta besucht, macht irgendwann auch die Runde um den pittoresken Hafen in Chaniá und stählt seine Widerstandskraft gegen die Reinschnacker.
Ein kleines Restaurant liegt neben dem anderen, Weinbar, Snackbar oder richtiges Restaurant. Alle sehen gemütlich aus, alle bieten gute, lokale Speisen und griechischen Wein. Sie unterscheiden sich lediglich im Design des Interieurs, im Preisniveau und in der individuellen Qualifikation des Reinschnackers. Der eine erweist sich als sprachliches Multitalent, spricht den zögernden Touristen in einem Dutzend Sprachen an, fragt ihn, wo er herkommt, und es bedarf schon eines sehr dicken Fells und ausgeprägter Stumpfheit, alle seine Fragen zu ignorieren und zu wirklich jeder Sprache vorzugeben, sie nicht zu verstehen. Der andere versucht es mit Charme, bezirzt meine holde Ehefrau und macht ihr Komplimente, die selbst sie nicht mehr glaubt, und der dritte hält uns plump eine zerlesene Speisekarte vor die Nase. „Best Kitchen in Chaniá!“ Na, wenn die Küche genauso unordentlich ist, wie die Speisekarte …
Aber wir haben eben schon gut gegessen, und – und das sollte den Leser jetzt nicht wirklich überraschen – mir steht der Sinn auch nicht nach griechischem Wein. Ein wenig missmutig stecke ich die Hände noch tiefer in die Hosentaschen und stapfe verdrossen weiter. Da vorne kommt das Marinemuseum, und dann endet die Reihe der Bars und Restaurants. Und wenn es bis dahin nichts Anderes mehr gibt, dann, so befürchte ich, endet der Abend doch noch bei Wein für meine Frau und labberigem Mythos-Bier für mich. Eine Gänsehaut kriecht mir über den Rücken.
La Bodega
„Ja schau mal an“, heißt es plötzlich neben mir, als wir vor der wirklich vorletzten Bar stehen, „eine Tafel mit verschiedenen Bieren!“ Und wieder einmal hat es sich bewährt, mit meiner Frau zusammen zu reisen, vor lauter Missmut hätte ich diese kleine Kreidetafel selbst vielleicht gar nicht bemerkt. Und einen Reinschnacker, der mich auf sie aufmerksam gemacht hätte, gibt es hier auch nicht. Und so bleiben wir, Glückes Geschick, vor der kleinen Bar La Bodega stehen, studieren die kleine Tafel, und ohne dass uns jemand genötigt hätte, setzen wir uns an den kleinen freien Tisch direkt an der Touristen-Rennbahn.
Immerhin acht verschiedene Biere verspricht die Getränkekarte, die uns der Kellner dezent auf den Tisch schiebt. Klar, das Fix, das sich in der gleichen unterirdischen Kategorie bewegt wie das Mythos, gibt es vom Fass, aber daneben doch die eine oder andere Spezialität aus der Flasche. Prima, hier bleiben wir jetzt erstmal und genießen die langsam untergehende Sonne und die angebotenen Biere.
Zum Auftakt das Volkan Santorini Blonde, nun ja, vielleicht noch nicht wirklich eine Sensation. Ein ordentliches und solides Allerweltspilsener, aber wenigstens schon mal etwas ordentlicher und sauberer gebraut als das immer recht dumpf schmeckende Fix. Letzteres kommt uns aber trotzdem auf den Tisch, allerdings nicht das Helle, sondern das Royale, eine Art Kristallweizen. Auch keine Offenbarung, aber schön spritzig und angesichts des doch noch recht warmen Abends gut zu trinken.
Blick in den Innenraum
Wir sitzen an unserem Tischchen, schauen direkt in den Hafen, sehen den Booten zu, wie sie an- und ablegen, aber was noch viel spannender ist als die Hafenidylle, das sind die immer wieder heranbrandenden Touristenbataillone. Einen tiefgestaffelten Angriff auf den guten Geschmack führen sie; Staffel um Staffel fährt auf und präsentiert von augenkrebsverursachenden Farbkombinationen und demonstrativ präsentierter Orangenhaut über verkrümmte, nagelpilzverseuchte Zehennägel oder auf satte 120-kg-Astralkörper aufgeschrumpfte Tank-Tops bis hin zur immer wieder beliebten Kombination bleicher Stachelbeerbeine in weißen Tennissocken und Ledersandalen und dem sich schälenden Sonnenbrand im Nacken alles, aber auch wirklich alles, was mich normalerweise einen riesengroßen Bogen um alle Touristendestinationen machen lässt.
Bitte, bitte, flehe ich innerlich, lass es Holländer, Engländer oder Österreicher sein, aber bitte keine Landsleute, keine Vertreter der deutschen Leitkultur. Aber ach, ich höre es: Kölsches Geknödel, sächsischer Singsang, schwäbisches Geschnatter. Fremdschämen ist angesagt. Ich bestelle mein nächstes Bier demonstrativ zunächst auf Polnisch, dann, als der Kellner es nicht versteht, mit hartem polnischen Akzent auf Englisch …
Die kleine Brauerei Septem erfreut uns jetzt mit dem Thurs Day’s Premium Red Ale. Ein feines, rötlich schimmerndes und malzig-aromatisches Bier, sehr schön! Vielleicht fast ein wenig zu mastig bei der Wärme, aber andererseits: Es ist ja schon abends, da kann man sich auch schon wieder etwas Kräftigeres gönnen. Und den schalen Geschmack, der sich beim Blick auf den Touristenlaufsteg auf der Zunge breitmacht, herunterspülen.
gutes Bier ermöglicht ganz neue Perspektiven
Krönung des Tages ist aber das vierte und – morgen wartet nämlich wieder ein fordernder Konferenztag auf mich – für heute letzte Bier. Erneut von der Septem-Brauerei aus Euböa: Das Septem Beer, der achte Tag. Ein knackiges, wunderschön fruchtig gehopftes IPA. Schön kühl, aber nicht zu kalt und im passenden Glas serviert, so dass die Aromen sich frei entfalten können, ein echtes Highlight. Nicht nur knackige Bittere, sondern ein ganzer Blumenstrauß an feinen Aromen, die über einem kräftigen Malzkörper schweben und den Gaumen dann für die knackige Bittere im Abgang vorbereiten. Ein sehr schönes Bier. Und die Aromawolken machen es möglich, den Blick abzuwenden vom Elend der Möchtegernflaneure und ihn nach innen zu wenden, sich ganz auf den Genuss zu konzentrieren.
Also doch noch: Ein wunderbarer und gelungener Abend!
La Bodega ist eine kleine Bar direkt am Hafen Chaniás, vorwiegend auf Wein und kleine Snacks ausgerichtet, aber auch mit einer – für griechische Verhältnisse – akzeptablen Bier-Auswahl. Während der Touristensaison ist sie täglich durchgehend geöffnet. Zu erreichen ist sie vom großen Altstadt-Parkplatz nordwestlich des Marinemuseums aus in drei Minuten zu Fuß. Einmal um das Museum herum, und dann die zweite Bar auf der rechten Seite, direkt am Wasser des Hafenbeckens.
La Bodega
Akti Kountourioti 54
731 31 Chaniá
Griechenland
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