„Bier trifft Buch“
im Alten Bahnhof Frechen

Mit etwas Kraft drücke ich die schwergängige Ziehharmonikatür auf, gehe drei Stufen hoch, und dann stehe ich im alten Schienenbus. Ein wehmütiges, sentimentales Gefühl der Nostalgie umfängt mich. Mit so einem „Schweinetaxi“ bin ich vor fünfzig Jahren zur Schule gefahren. Kaum mehr als Schritttempo, auf den alten Schienen laut rumpelnd, und als kleiner Steppke hatte ich immer Sorge, ob ich am Zielbahnhof die damals schon genauso schwergängige Ziehharmonikatür wohl aufbekommen würde …

Heute rumpelt der kleine, rote Zug nirgends mehr hin, sondern dient im Alten Bahnhof Frechen als originelle Lokalität für besondere Events – zum Beispiel für „Bier trifft Buch“.

schön war’s

Gemeinsam mit Julia Trunz, der Biersommelière, Bierologin und Mitinhaberin des Alten Bahnhofs Frechen, präsentiere ich heute Abend sechs Geschichten, die durch sieben Biere zu einer abwechslungsreichen Verkostung verbunden werden – Genuss mit allen fünf Sinnen, Spaß an skurrilen Anekdoten und spannende Fachsimpelei über Bier, Bierkultur und die Brauereien in aller Welt.

Sehr schön ist‘s, und neben dem Spaß am Lesen und an der Interaktion mit den Gästen komme ich selbst natürlich auch in den Genuss einiger sorgfältig von Julia ausgewählten Bieren.

sieben während der Veranstaltung verkostete Biere

Für die Sammler und Statistiker gibt es hier eine Liste der heute verkosteten Biere (einschließlich zweier kleiner, aber dafür um so feinerer Dreingaben im kleinen Kreis zu später Stunde zur unmittelbaren Nachbereitung), und als ganz besonderes Schmankerl unten am Ende dieses Blogbeitrags auch einen der Texte, die ich heute lese – auf Julias persönlichen Wunsch habe ich nämlich eine Geschichte über Finchen geschrieben. Finchen, die alte Straßenbahn der Linie F von Köln nach Frechen, und gleichzeitig Namensgeber für das im Alten Bahnhof Frechen gebraute Obergärige, das aufgrund einer Kölsch-Konvention, die mittlerweile fast nur noch die Großbrauereien und Konzernmarken schützt, nicht Kölsch genannt werden darf.

  • Hopfenstopfer – Metality Chapter K – Session IPA (4,5%)
  • Alter Bahnhof Frechen – Finchen (4,8%)
  • Brauerei Zehendner – Mönchsambacher Hefe-Weizen (5,5%)
  • Vagabund Brauerei – Muschicraft – Pale Ale – The Most Illegal Beer (5,2%)
  • Ritterguts Gose – Bärentöter Gose Bock (6,6%)
  • St. Bernardus – Abt 12 (10,0%)
  • Brauerei Kundmüller x Fat Head’s Brewery – Weiherer & Fat Head’s Imperial IPA (9,0%)
  • Alter Bahnhof Frechen – Duchesse de Cologne – Maibock Barrel Aged – Bourbon Edition (7,0%)
  • Alter Bahnhof Frechen – Duchesse de Cologne – Maibock Barrel Aged – Barrique (6,8%)

Ein bieriger, ein literarischer, ein herrlicher Abend in der schönsten Location, in der ich je lesen durfte! Danke, Julia!

Bildergalerie

Alter Bahnhof Frechen
Kölner Straße 39
50 226 Frechen
Nordrhein-Westfalen
Deutschland


Und hier kommt Finchen:

Ich sitze im Biergarten. Die Sonne scheint durch das lindgrüne Laub, die Vögel zwitschern. Vom Nachbartisch höre ich leise Gespräche, und hinten in der Ecke ertönt ab und an ein fröhliches Jauchzen und Lachen der spielenden Kinder. Eine Idylle mitten in der Stadt.

Vor mir auf der Bierbank steht ein Glas Obergäriges. Finchen. Golden glänzt es in der Sonne, gekrönt von einer feinen, schneeweißen Schaumschicht. Ich werde gar nicht müde, es zu betrachten. Wie appetitlich kann ein Bier aussehen!

Ich greife nach dem Glas. Es ist kühl, aber nicht zu kalt. Außen haben sich kleine Kondenswassertropfen gebildet. Ich spüre die Kühle des Biers mit der Hand und mit den Lippen, die das Glas berühren. Welch Erfrischung an einem heißen Sommertag.

Neugierig, übermütig halte ich mir das Glas ans Ohr. Ich höre, wie die Schaumbläschen mit leisem Knistern zerplatzen, und ich freue mich, dass ich dieses Bier auch mit den Ohren genießen kann.

Tief atme ich ein. Schon der Duft betört. Feinster Aromahopfen erzeugt einen dezenten Hauch von in der Sonne trocknendem Heu und erinnert mich an die Sommerferien meiner Kindheit in den Kärtner Bergen.

Ich nehme einen Schluck und spüre die prickelnde Frische auf meiner Zunge. Sanft, spielerisch geradezu, tanzen Hopfen und Malz einen zärtlichen Reigen. Für einen Moment gehe ich ganz im Genuss auf. Im Genuss mit allen fünf Sinnen.

Bald ist das erste Glas geleert, ein zweites ebenfalls. Ich bin ganz eins mit meinem Bier, tiefe Entspannung macht sich breit, und meine Gedanken gehen auf Reisen. Weit zurück, in die Vergangenheit. Die gute, alte Zeit, von der wir immer schwärmen. War sie wirklich gut, die alte Zeit? Ob das Bier wohl so wunderbar schmeckte, wie heute? Oder ist es nur unsere nostalgische Verklärung?

Ich denke nach. Wie komfortabel bin ich heute Nachmittag angereist! Im klimatisierten Zug, blitzschnell, ein paar Stunden nur von Wunstorf bis Frechen. Service am Platz, mit heißem Kaffee oder eiskaltem Bier. Wie war es früher? Der Zug rumpelte und schaukelte, es war im Sommer brütend heiß, und durch die offenen Fenster zog es wie Hechtsuppe. Die Tour von Wunstorf nach Frechen war eine Tagesreise. Früh morgens hätte es schon los gehen müssen, am späten Abend erst wäre ich angekommen. Speisen und Getränke? Hätte ich selbst dabei haben müssen.

Andererseits: Ich hätte viel Zeit gehabt, mich mit meinen Mitreisenden zu unterhalten. Niemand hätte auf seinem Laptop herumgeklappert oder mit dem Mobiltelefon Musik gehört und sich mit den Ohrhörern von den anderen Fahrgästen abgeschirmt. Gute Gespräche wären es gewesen, vielleicht hätte ich neue Freundschaft geschlossen. Wir hätten uns die Wegzehrung geteilt, das lauwarme Bier in zwei dicke Glasbecher gefüllt und miteinander angestoßen.

Der Zug hätte Charakter gehabt. Wäre nicht auf glatte Effizienz hin optimiert gewesen, sondern hätte geradezu eine individuelle Persönlichkeit besessen. So wie auch die alte Straßenbahn Finchen, nach der das Bier benannt ist, das ich im Hier und Jetzt gerade trinke. 111 Jahre ist es her, dass Finchen zum ersten Mal fuhr, liebevoll benannt nach der Linienbezeichnung F. Der erste elektrische Zug der Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn KFBE.

Manchmal, zu besonderen Anlässen, wird Finchen auch heute noch einmal aus dem Depot geholt und zuckelt durch die Stadt. Nostalgie pur. Eine Bahn mit Charakter. Bis Frechen fährt Finchen allerdings nicht mehr. Schade …

Aber … wenn man im Biergarten des Alten Bahnhofs in Frechen sitzt, dann gibt es sie wieder. Die guten Gespräche, mit einem Glas Finchen in der Hand. Und, pssst!, hört man ganz genau hin, dann … ja, dann erinnert das Klingen der Biergläser ein bisschen an das metallische Rattern von Finchens Rädern auf den krummen Gleisen, und es ist wieder wie früher, als Züge noch eine Persönlichkeit hatten und Reisen ein Erlebnis war.

2 Kommentare

  1. Danke Euch, Volker und Ellen, dass ihr die Lesung möglich gemacht habt und Du unserem Finchen eine eigene Gedchichte gewidmet hast.
    Wir freuen uns schon jetzt auf das nächste gemeinsame Event.

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