Birra Gaia
Carate Brianza
ITA

[Blick zurück auf Ende Mai]

Es könnte italienischer nicht sein: Die Sonne scheint, die Straßen sind verstopft, wir gurken durch ein Gewerbegebiet, und dann sehen wir vor uns eine Außengastronomie. Keinen Biergarten, da fehlen die Kastanien. Stattdessen Glasfronten, die den Freisitz bei Bedarf in eine Art Wintergarten verwandeln. Davor, mitten im Weg, eine feuerrote Ducati. Blitzsauber geputzt, der Helm mit den neongelben Applikationen als Blickfang oben auf die Sitzbank gelegt. Jeder Gast, der kommt, muss nicht nur drumherum laufen, sondern auch erstmal staunen. Und irgendeiner der Gäste, in Shorts und Schlappen gekleidet, freut sich diebisch über die Aufmerksamkeit, die sein Gefährt erregt.

Meine allerdings nicht so, denn ich bin schon in Richtung Schankraum geflitzt. Hunger und Bierdurst locken mehr als das schicke Töff.

im Schankraum

„Wow, stylish!“ Der Schankraum der Birra Gaia gefällt mir auf Anhieb. Weit, licht, helle Farben wechseln sich ab mit Kupfer- und Goldtönen, und die schummrig warme Beleuchtung setzt schöne Akzente. An den Wänden riesige Bilder von Bier, Bier und Bier, alle in Sepia, wie uralte, verblichene Fotografien.

Schön, schön! Wirklich!

Jetzt heißt es aber erstmal, an den Regalen mit dem Merch vorbei in Richtung Sudhaus zu gehen. Vorbei an dem Edelstahlsudwerk, durch die Gänge mit den Gär- und Lagertanks, am Malzlager vorbei und an der Füllstation links ab. Wir dürfen uns jeden Winkel anschauen, krabbeln hinter die Verrohrung oder auf die Stahlgitter an den Installationen. Immer wieder spannend, obwohl doch auf den ersten Blick eine Brauerei wie die andere aussieht. Aber nur auf den ersten …

Wir kehren zurück zum Sudwerk, und hier haben die Heinzelmännchen einen kleinen Tisch aufgebaut. Nicht nur mehrere Gläser mit verschiedenen Sorten Malz zum schnuppern und probieren, sondern auch einige Teller mit Pizza-Ecken, Gebäck, Kleinigkeiten und Leckereien. „Oh, ist das für uns?“, freuen wir uns, und schon bekommen wir ein erstes, frischgezapftes Glas Bier eingeschenkt, das 5,2%ige Zidor Pils. Erfrischend, ein kleines bisschen säuerlich. Zisch! Für den ersten Durst.

Übermütig stelle ich das Glas zum Fotografieren in die geöffnete Klappe des Läuterbottichs und äuge vorsichtig zum Brauer, Andrea Semilia, rüber, ob ihm das wohl recht ist … Und wie, stelle ich fest. Er freut sich wie ein kleiner Lausbub mit mir, dass ich sein Bier so fotogen in Szene setze.

Es folgt das mit 4,1% ganz leichte Asabesi Dry Stout, herrlich röstig und, wie der Name sagt, knochentrocken. Eine feine, schlanke und bittere Begleitung zu den Köstlichkeiten, die wir dazu schnabulieren. Ach, was braucht es einen eleganten Schankraum, wenn man doch hier mitten zwischen all den Geräten im Sudhaus stehen und genießen kann – dem Bier so nahe, wie man ihm nur sein kann!

im Sudhaus

Wir stopfen uns die Bäuche voll, und die ganz Durstigen unter uns lassen sich ihre Gläser noch mal füllen. Wie schön!

Rolf, der die Bierkulturreise Norditalien für uns organisiert hat, mahnt zum Aufbruch. „Wie, Rolf, jetzt schon?“ Er grinst und komplimentiert uns aus dem Sudhaus raus. „Da vorne setzen wir uns jetzt hin“, deutet er auf einen großen Tisch im Schankraum. Erleichterung macht sich breit. Doch noch nicht Schluss. Wir sind zwar gut satt geworden, und genug Bier gab es auch schon, aber das war dann alles doch ein bisschen schnell.

Im Nu füllt sich der Tisch wieder mit Leckereien, und jetzt beginnt eine Verkostung, die uns begeistert. „Das waren eben ja nur zwei unserer ‚normalen‘ Biere“, erzählt Andrea, „jetzt kommen wir zu unseren Spezialitäten. Hier zum Beispiel habe ich unsere Vineyard Cuvée, ein Italian Grape Ale der Metodo Classico. Sieben Prozent hat es, und es ist, glaube ich, die letzte Magnumflasche, die wir davon haben. Und die vorletzte oder drittletzte Flasche überhaupt.“

Zartrosa fließt das Bier in die eleganten Weingläser, perlt ein wenig wie ein Prosecco Rosé, und sein feines, fruchtiges Aroma begeistert uns ebenso wie die Eleganz seines Geschmacks. Hauchzarte Malznoten im Hintergrund, spielerische Traubennoten im Vordergrund, eine sanft-spritzige Perlage und ein fruchtiger, gleichwohl trockener Abgang. Keiner von uns braucht lang zu überlegen – das ist ein Fünf-Sterne-Bier par excellence. Das beste Bier seit langem!

Still und heimlich verdrücken sich zwei aus unserer Gruppe und kommen ein paar Minuten freudestrahlend wieder: „Ätsch, bis eben waren noch zwei 0,75-l-Flaschen davon da. Jetzt ist es aber wirklich alle.“ Gespielte Entrüstung bei der anderen der Gruppe …

Andrea präsentiert stolz die nächste Magnum-Flasche – die achteinhalbprozentige Cuvée Convivium. Nach einer völlig anderen Methode hergestellt. Gelblich, dezent trüb, ein bisschen malzbetonter als das vorherige Italian Grape Ale. Fruchtiger, voller im Geschmack, aber nicht weniger elegant. Noch mal fünf Sterne? Einmütiges Nicken. Auch dieses Bier strebt nach sensorischer Perfektion, hat sie nahezu erreicht.

Die Leckereien auf dem Tisch – Schinken, Wurst, Käse, gefülltes Gebäck, Artischocken, gebackene Pepperoni und was nicht noch alles – stehen dem Bier qualitativ in nichts nach. Wir schwelgen im Genuss!

Noch ein drittes Italian Grape Ale hat Andrea für uns, und zwar das mur.mur, ein Bier, das in Kooperation mit dem Weingut mo.ka in Bergamo kreiert wurde und bei dem Orangenweintrester zur Gärung hinzugegeben worden ist. 7,5%, eine goldgelbe Farbe und erneut ein hochinteressanter Genuss.

Andrea Semilia präsentiert fantastische Bierspezialitäten

„So, eigentlich wäre es das mit unserer heutigen Verkostung gewesen, ich habe schon seit einer halben Stunde Feierabend“, kokettiert Andrea, hat aber schon die nächste Flasche in der Hand. Unsere Begeisterung hat ihn angesteckt, und er hat nun etwas völlig anderes in der Magnum-Flasche: Das Imperial Stout Fiöl. „Eine Birra da Meditazione, ein Meditationsbier“, schwärmt er. „Noten von Kaffee, Lakritz und Bitterkakao, dazu ein dichter und ausgeprägter Körper, so dass Ihr die 10,6% Alkohol mit Sicherheit kaum schmecken werdet!“

Er freut sich diebisch über unsere Begeisterung, aber irgendwie merken wir ihm an, dass er trotz allem noch etwas in der Hinterhand zu haben scheint. Es dauert noch einen Moment, aber dann verschwindet er nochmal hinten im Lager und kommt mit einer Handvoll Bierdosen zurück. Pechschwarz. Nicht etikettiert. „Schenkt Euch ein, und sagt mal, wie Euch das schmeckt!“

Oh, wir schmelzen dahin. Ein unendlich dicker Malzkörper, eine feine alkoholische Wärme, runde, fruchtige Noten, aber auch Vanille, Holz, komplexe, weinige Aromen. Meine Güte, was ist das denn?

„Das Bier hat noch keinen Namen. Und noch kein Etikett. Aber es ist sechsunddreißig Monate im Fass gereift. Es ist ein Barley Wine, und es hat so ungefähr zwölf Prozent Alkohol. Endgültig wissen wir das noch gar nicht. Ihr seid die ersten, die das probieren dürfen.“

„Außer uns selbst, natürlich“, fügt er noch hinzu.

Was für ein grandioser Schlusspunkt unserer Verkostung und unseres Brauereibesuchs.

Der Schankraum der Brauerei Birra Gaia ist täglich ab 18:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist die Brauerei am besten mit dem Auto, man kann aber auch die Stadtbusse der Linien z232 und z242 nehmen, die etwa 200 m nordwestlich der Brauerei halten.

Bildergalerie

Birra Gaia
Via Emilia Vergani, 16
20 841 Carate Brianza
Italien

Vielen lieben Dank an Rolf Burkhard und Fine Beverages Burkhard für die Organisation dieses Besuchs!

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