Nachdem das ursprüngliche Pub Chmielarnia, versteckt im Keller des Dom Wedkarski gelegen und nur mit Hilfe von verschwörerisch weitergegebenen Tipps, wie man sich zwischen Büros und Verkaufsschaltern zur Kellertreppe durchschlagen könne, zu finden, sich angesichts seiner brillanten Bierauswahl und exotischen thailändisch-nepalesischen Küche doch großen Erfolgs rühmen durfte, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Besitzer sich ihrer neokapitalistischen Wurzeln besannen und eine zweite Dependance der Chmielarnia eröffneten, die Chmielarnia Marszałkowska.
In besserer, weil zentralerer Lage. Leichter zu finden, da im Erdgeschoss gelegen und mit eigenem Eingang, eigener Werbung. Geplant für mehr Umsatz, insofern viel größer. Offen nicht mehr nur für den Kreis der Hardcore-Bier-Fanatiker, sondern auch für Laufkundschaft, daher weniger subkulturelle Atmosphäre, mehr Mainstream. Und mit mehr Wert, der auf das Essen gelegt wird – die thailändisch-nepalesisch angehauchte Küche rückt stärker in den Mittelpunkt. Dazu noch ein kleiner Biergarten unter einem halben Dutzend Kastanien, der an warmen Sommerabenden bis 22:00 Uhr genutzt werden kann. Fertig ist das Konzept.
ein kleiner Außengastronomiebereich
Deutlich weniger originell, ein großer Schritt ins Mittelmaß. Was soll’s, wenn’s denn dem Geldverdienen gilt …
Die neue Chmielarnia, oder vielmehr zweite, denn die alte wird durch sie nicht ersetzt, sondern ergänzt, glänzt durch fehlendes Flair, Mangel an Seele, zu wenig Atmosphäre. Es ist nicht der eine Faktor, der fehlt, sondern das Zusammenspiel von vielen, eigentlich netten Dingen, funktioniert nicht. Funktioniert insbesondere dann nicht, wenn man das Original kennt.
Ein recht großer Restaurantkomplex direkt an der Marzsałkowska-Straße, einer der großen Nord-Süd-Achsen Warschaus, die hier zum Glück verhältnismäßig ruhig ist. Im Eingangsbereich steht ein Motorroller mit Chmielarnia-Schriftzug, der wohl zum Ausliefern von Essen vorgesehen ist. Linker Hand ein Gastraum, wohl für die Raucher, rechter Hand zunächst die Theke mit einer großen Kreidetafel mit dem heutigen Bierangebot, dahinter ein großer, aber kleinteilig gegliederter Gastraum.
An der Wand vergrößerte Zeitungsanzeigen aus vielen Jahrzehnten (auch deutschsprachiger) Warschauer Brauereigeschichte. Erinnerungen aus längst vergangener Zeit. Die alten, typisch deutschen Schriftarten, in denen die Anzeigen gedruckt sind, kontrastieren mit den asiatischen Holzschnitzereien, die den Rahmen dafür setzen. Kulturelles Cross-over.
Zeitungsanzeigen aus vergangenen Jahrzehnten
Durch eine Glastür geht es in den Biergarten, wahlweise natürlich auch direkt von der Straße aus. Mit Einbruch der Dunkelheit werden ein paar Lampen angemacht, gerade so viel, dass man sein Essen noch erkennen, die Bierkarte noch entziffern kann. Eben letztere enthält tagesaktuell auf zwei DIN-A-4-Blättern das Angebot an den zwölf Zapfhähnen, sicherheitshalber, damit man nicht im Laufe des Tages alle Karten auswechseln muss, auch das am jeweiligen Zapfhahn in zweiter Reihe wartende Bier.
Die Auswahl ist vielfältig, und doch wieder nicht. Sehr viele exotische Biere aus winzigen polnischen Brauereien, viele von ihnen reine Wanderbrauer, die mal hier, mal dort brauen und immer auf der Suche nach dem maximal-exotischen Geschmack sind. Einerseits spannend, andererseits auch in der Verirrung manchmal groß. Biere, bei denen der erste Schluck interessant ist, bei denen nach dem dritten Schluck aber Überwindung nottut, das Glas auch wirklich bis zur Neige zu leeren. Zu intensiv, zu fordernd.
Ein leckeres Trinkbier zum Essen, gegen den Durst und um die scharfen Gewürze mit frischem, leichtem Bier zunächst zu balancieren, bevor man sich zum Dessert ein Genussbier gönnt, findet man kaum. Ein Pilsener ist dabei, von Inne Beczki, das aber geschmacklich nicht überzeugt, ein wenig dumpf schmeckt.
Auch die anderen drei Biere des kleinen Probierbrettchens überzeugen nicht wirklich. Das Ribesium Nigrum Arcanum der Brauerei SzałPiw, sonst eigentlich ein frisches, saures, mit nur leichten Brettanomyces-Noten daherkommendes Lambic, wirkt ebenfalls müde und dumpf. Nur wenig besser das extra für die derzeit laufende Warsaw Beer Week gebraute American Pale Ale von Palatum. Ein paar nette Hopfennoten, aber auch hier ein erdiger und dumpfer Grundton. Dem Fass den Boden schlägt allerdings das Bier von Setka aus, das Kraken Śliwka, das als Fruchtgose (owocowe gose) beworben wird. Völlig übertriebenes Brettanomyces-Aroma. Nasses Leder, Pferdeschweiß, alte Medizinbälle aus dem Geräteraum des Nachkriegsgymnasiums. Seit langer Zeit das erste Bier, das ich nicht austrinke. Von Gose, also spritzigen Korianderaromen, leichter Säure, pikanter Salzigkeit, ist nichts zu spüren.
eine leider enttäuschende Bierprobe
Vier Biere, alle vier etwas dumpf und enttäuschend – uns beschleicht fast der Verdacht, dass es hier mit der Bierpflege und der Reinigung der Zapfanlage nicht so genau genommen wird? Auch die simplen und für eine Verkostung viel zu klobigen Gläser überzeugen nicht, sind lustlos mit einem dicken Filzstift nummeriert, um die bestellte Probe zu identifizieren. Ist es das Lösungsmittel des Filzstifts, das so chemisch-dumpf riecht?
Wir machen die Probe und bestellen uns ein großes, also unbeschriftetes Glas mit Bier aus einer größeren Brauerei, bei der wir zuversichtlich sind, dass das Bier keine Infektion aufweist: Rodenbach Caractère Rouge der Brouwerij Palm aus Belgien. Frisches, säuerlich-holziger Geruch, nur Spuren des ledrigen Brettanomyces-Aromas, leicht und luftig. Haben wir also bei der Auswahl der vier kleinen Proben einfach nur einen rabenschwarzen Tag gehabt? Die Frage bleibt offen.
Mit dem Essen hingegen waren wir zufrieden. Spannend gewürzte Speisen, frisch zubereitet, schön angerichtet. Definitiv bieten sie mehr für das Auge als das lieblose Biertest-Brettchen.
Bleibt noch, ein wenig über den Service zu lamentieren. Recht langsam, recht unaufmerksam (wobei wir zugegebenermaßen am Rande des Biergartens gesessen haben, was ein Grund, aber keine Entschuldigung ist …) und nur mäßig herzlich. Auch hier eine gewisse Lustlosigkeit.
Ein wenig enttäuscht trollen wir uns und sind uns sicher, dass wir, wenn doch wieder einmal in die Chmielarnia wollen, lieber die alte, kleine, urige im Keller des Anglerhauses vorziehen werden.
Die Chmielarnia Multitap i Restauracja in der Marszałkowska ist täglich ab 11:00 Uhr, sonnabends und sonntags ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Mit dem Auto kann man sie zwar gut anfahren, findet aber garantiert keinen Parkplatz, insofern bietet sich die Straßenbahn an: Die Haltestelle Trasa Łazienkowska, mit mehr als einem halben Dutzend Linien, die dort halten, ist gerade 100 m entfernt.
Chmielarnia Multitap i Restauracja
Marszałkowska 10/16
00-590 Warszawa
Polen
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