„Also, wenn Du in Warschau bist, dann musst Du auf dem Rückweg unbedingt bei uns in Zawiercie in der Browar Jana vorbeikommen, das liegt fast auf dem Weg!“, schrieb Wiktor Saczuk, und ich zögerte einen Moment. Zawiercie? Liegt irgendwo im Jura, nordwestlich von Krakau im Niemandsland. Eine verschlafene Kleinstadt. Hieß mal Warthenau. Und Browar Jana? Nie gehört, und dabei versuche ich doch, in der polnischen Bierszene immer auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Vorsichtig zurückhaltend plante ich mal einen Abstecher und ließ mich darauf ein, dass, obwohl Wiktor an den Wochenenden nicht vor Ort ist, schon jemand da sein würde, der mir die Brauerei zeigt.
Und so fahren wir am Sonnabend in der Mittagszeit nach Zawiercie, steuern die angegebene Adresse an und …
… stehen vor einem riesigen Hotelkomplex. Villa Verde, ein Kongresshotel mit Freizeitangebot, rund 400 Zimmer. Hier soll die Brauerei sein? Es hieß doch „Handwerksbrauerei“, und ausdrücklich nicht „Gasthausbrauerei“?
Wir gehen zur Rezeption und fragen. „Na klar“, heißt es nach einigen klärenden Telefonaten, „Pan Sławek kommt sofort, Sie hier abzuholen“, und wenige Augenblicke später kommt ein riesiges Paar Gummistiefel zur Rezeption geschlappt. Drin steckt Sławomir Jaskólski, ein junger Kerl, der gemeinsam mit Wiktor Saczuk hier braut. Er führt uns durch ein paar versteckte Gänge, und wir kommen am Hinterausgang des Hotels heraus, vor uns ein einfaches, weißes Gebäude mit riesigem Schriftzug BROWAR.
uns gehen die Augen über
Sławek marschiert voran, öffnet die Tür, und uns gehen die Augen über. Ein niegelnagelneues Sudwerk, eine große Halle mit einem Dutzend großer Lagertanks, eine vollautomatische Flaschenabfüllung, und alles viel größer, viel neuer, viel gepflegter als erwartet. Innerlich leiste ich Wiktor gegenüber Abbitte – ich hatte eher eine kleine Hinterhofklitsche erwartet …
Stolz zeigt uns Sławek sein Reich. Im Sommer letzten Jahres sei die Browar Jana errichtet worden, als zusätzliche Geldanlage für den Investor, der hinter dem Kongresshotel steht. Von Anfang an hätte dieser Wert darauf gelegt, dass das Bier nicht nur für den Ausschank im Hotel und dessen Gastronomie gebraut werde, sondern auch für die Flaschenabfüllung und den polenweiten Verkauf. Insofern habe er richtig Geld in die Hand genommen, die Halle gebaut, ein gutes Sudwerk mit über 20 hl Ausschlagmenge errichten lassen, dazu sechs Lagertanks, die Flaschenabfüllung, und insgesamt acht Brauer seien jetzt hier beschäftigt. Alles ehemalige Hausbrauer, mit ihm, Sławek, und Wiktor an der Spitze.
Das Malzlager, die Malzmühle, das Sudwerk der Firma Minibrowary.pl von Andrzej Gałasiewicz – wir laufen durch die verschiedenen Räume. Alles ist blitzsauber und aufgeräumt. Wir biegen um die Ecke und kommen in den Gär- und Lagerraum. Zwei Reihen zu je sechs Lagertanks. „Sławek, sagtest Du nicht gerade etwas von sechs Tanks?“
„Klar, aber schon nach ein paar Wochen haben wir weitere sechs Tanks dazubekommen. Noch vor Weihnachten waren die installiert.“ Sławek deutet auf die linke Reihe und erklärt, dass die neuen Tanks noch besser seien als die alten – der Konus am Boden sei ausgeprägter, da könne die Hefe mit weniger Verlust abgezogen werden, das ginge bei den zunächst gekauften Tanks nicht so richtig gut. Jetzt jedenfalls, fährt er fort und beginnt, uns ein Bier zu zwickeln, sei alles prima, und man habe nun so viel Tanks, dass man auch Biere brauen könne, die richtig lange lagern müssen.
Zwicklprobe
Wir probieren das erste Bier, ein noch recht junges, aber trotzdem schon wohlschmeckendes Pilsner. „Die einfachen Biere sind oft die schwierigsten – so ein Pilsner ganz sauber zu brauen, ist nicht einfach“, erklärt Sławek. Aber dieses hier ist in Ordnung. Die Reifung ist noch nicht ganz abgeschlossen, insofern kann ich noch einen Hauch Schwefel aus dem Gärungsprozess erahnen, aber abgesehen davon ist es blitzsauber, wohlschmeckend, schön herb.
„Und hier in diesem Tank habe ich ein Quadrupel, das reift schon ein paar Monate. Wie gesagt, wir haben jetzt genug Tanks, um uns diesen Luxus leisten zu können.“ Wir bekommen den nächsten Becher mit einer kleinen Probe in die Hand gedrückt. Hmm! Wunderbar weich, sehr komplexe, fruchtige Aromen, nach Dörrobst und überreifen Pflaumen schmeckend, eine sämige Textur. Ein tolles Bier. Ich bin begeistert.
Die beiden Becher in der Hand balancierend, geht es weiter zur Flaschenabfüllung. Eine kleine, aber feine Anlage, mit integriertem Pasteurisator. „Durch die Flaschenabfüllung sind wir mit unseren Bieren mittlerweile im ganzen Land präsent – eine Supermarktkette hat uns jetzt schon gelistet!“ Tja, ich habe schon seit Ewigkeiten in keinem polnischen Supermarkt mehr nach Bier geschaut, denke ich.
„Jetzt habe ich aber noch eine Überraschung für Euch“, kündigt Sławek an. „Das Schöne ist, dass hier genug Kapital vorhanden ist. Wenn wir als Brauer eine gute Idee haben, die das Geschäft voranbringen kann, dann kann sie auch schnell umgesetzt werden. Ruckzuck wird das Geld bereitgestellt und das notwendige Material gekauft. Und deswegen haben wir, Moment …“ er öffnet die Tür zu einer Garage neben der Brauerei, „… jetzt auch eine Holzfassreifung.“
Wir machen erneut große Augen. Achtzehn große Whiskyfässer, Original aus Tennessee, stehen, beziehungsweise liegen vor uns. Jim Beam und Jack Daniel ist die Deckel eingebrannt. „Die eine Hälfte ist mit dem ersten Sud von unserem Quadrupel Octavio gefüllt, das Bier, dessen zweiten Sud wir gerade im Lagerraum verkostet haben. Und die andere mit dem Russian Imperial Stout Zajcew.“
ein dünner Nagel wird in das Holz des Fasses „gezwickt“
Sławek schnappt sich eine Mehrzweckzange und einen Becher. Geduldig pfriemelt er den dünnen Nagel aus dem Holz des Fasses, solange, bis sich ein dünner Strahl des Biers in den Becher ergießt. Einen kleinen Schluck nur zapft er ab, schlägt den Nagel rasch wieder ein.
„Hier, probiert!“
Ich schnuppere am Becher, genieße die Holz- und Whiskynoten, die sich mit den Fruchtaromen des Quadrupels vermischen. Ein vorsichtiger Schluck – eine wunderbare und komplexe Komposition. Weiche alkoholische Wärme, die höheren Alkohole des Whiskys regen die Schleimhäute im Mund an, ohne spritig zu wirken. Seidig weich der Abgang. Ein tolles Bier.
Die Zeremonie wiederholt sich ein zweites Mal, nun mit dem Russian Imperial Stout. Die Röstaromen geben dem fassgereiften Bier einen völlig anderen Charakter, aber qualitativ auf der gleichen Höhe. Nicht die geringste Säure ist zu spüren, nur Kraft und Aromen.
in dünnem Strahl fließt das Bier aus dem Holzfass
Wir können gar nicht anders, als überschwänglich zu loben, was Sławek sichtlich unangenehm ist. Gedanklich schreibe ich es mir in mein Lastenheft, auf keinen Fall den Moment zu verpassen, wenn diese beiden Biere auf Flaschen gezogen und verkauft werden.
Sławek hat uns nun alles gezeigt, will schnell noch die Biere in den Lagertanks ausspindeln und alle Parameter checken und dann wieder heim – schließlich ist Wochenende.
Wir nutzen die Gelegenheit und gehen im Hotelrestaurant noch schön essen, genießen die ausgezeichnete Küche und den freundlichen Service. Im Nachbarraum findet eine angeleitete Bierverkostung statt, wir belauschen die fachlich versierte Vorstellung der Biere und amüsieren uns, wie mit jedem verkosteten Bier Stimmung und Lärmpegel steigen. Und wir erleben die einzige, winzige Enttäuschung dieses schönen Brauereibesuchs: Das Glas, in dem mir das Quadrupel serviert wird, war vorher nicht ausgespült worden. Winzige Bläschen bilden sich überall, zerstören den optischen Eindruck dieses ansonsten einwandfreien, ja, geradezu genialen Biers. War wohl in der Hektik des Gläserspülens – die Verkostung im Nebenraum generierte gewaltige Gläsermengen – das falsche Glas an den Tisch gebracht worden …
Die Rzemieślniczy Browar Jana ist an das Hotel Villa Verde angegliedert und hat somit einen eigenen Ausschank, ist aber keine Gasthausbrauerei und kann daher nur nach Absprache besichtigt werden. Das Hotelrestaurant und die Bar gegenüber der Rezeption bieten alle hier gebrauten Biere an und sind täglich durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen sind Hotel und Brauerei am einfachsten mit dem Auto, es gibt ausreichend Parkplätze direkt vor der Tür. Alternativ bieten sich die Koleje Śląskie KSL, die schlesischen Eisenbahnen, an, der Bahnhof Zawiercie Borowe Pole ist etwa zehn Minuten Fußweg entfernt, die Züge fahren zwischen Gliwice und Częstochowa etwa im Stundentakt.
Rzemieślniczy Browar Jana
ulica Mrzygłodzka 273
42-400 Zawiercie
Polen
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