Die Welle der Bierrevolution rollt über Europa hinweg – aber es ist ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Länder wie Dänemark oder Italien waren ganz vorne mit dabei, haben den Charakter der Bierrevolution maßgeblich mitgeprägt. Die Niederlande und Polen kamen etwas später, dafür aber mit Macht. Großbritannien ging, wie immer, seinen eigenen Weg, und Deutschland benabelschaute sich zunächst selbstvergessen, um dann mit Erschrecken zu erwachen.
Portugal im äußersten Südwesten Europas erreicht die Welle mit ein wenig Verspätung, aber aufzuhalten ist sie wohl nicht. In Lissabon und anderen Städten des Landes sprießen die kleinen Brauereien und spezialisierten Bierbars wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden. Aber die großen Player sind gewappnet. Gewarnt von der Entwicklung in Zentraleuropa sind die beiden Platzhirsche Sagres und Super Bock nicht gewillt, ihr Terrain kampflos aufzugeben, und insbesondere Super Bock ist mit seinen vier Bierspezialitäten der Serie Selecção 1927, nämlich Munich Dunkel, Bavaria Weiss, Bengal Amber India Pale Ale und Czech Golden Lager, in die Offensive gegangen.
In edlen Flaschen präsentiert man sich, und man wählt strategisch günstige Lagen, das Bier auszuschenken. Und man versucht, innovativ auf sich aufmerksam zu machen.
Time Out Market in der Halle des Mercado da Ribeira
Eine dieser günstigen Lagen ist die alte Fischmarkt-Halle Mercado da Ribeira, direkt am Bahnhof Cais do Sodré. Seit dem 13. Jahrhundert hatte sich hier ein bunter Markt entwickelt, der schließlich in der hübschen Markthalle ein Zuhause gefunden hatte. Aber eben diese Markthalle drohte, Anfang des 21. Jahrhunderts ein unrühmliches Ende zu finden – sie erwies sich als überdimensioniert, die Fisch-, Obst- und Gemüsehändler allein konnten sie nicht mehr füllen.
Anfang 2014 wurde sie durch Time Out übernommen. Die Markthändler tummeln sich nun in einem Seitenschiff, und die Haupthalle ist zu einem riesigen Food Court geworden, der fast vierzig kleine Stände beherbergt. Bereits am frühen Morgen, in Lissabon ist das so gegen elf Uhr, ist hier der Bär los – man isst und trinkt sich durch die Spezialitäten der Welt.
Und Super Bock mit der Selecção 1927 mittendrin. Ein futuristischer Stand mit dem Namen Beer Experience Super Bock lockt die Besucher an, die zu ihren Spezialitäten und Leckereien partout keinen Wein trinken mögen. Ein großer Bildschirm lädt zur Auswahl ein – ein Fingertippen auf den Touchscreen, und schon werden zu jeder der vier Bierspezialitäten weitere Details angezeigt.
Eine freie Beschreibung des Bierstils wird mit einer Grafik ergänzt, die Farbe, Bitterkeit und Alkoholgehalt mit Schiebereglern darstellt, und es folgen Vorschläge zum Food Pairing, das heißt, zu welchen Speisen dieses Bier am besten passt.
Beer at your fingertips
Bei nur vier Biersorten hat die Spielerei am Bildschirm natürlich schnell ein Ende, und der Gast muss sich entscheiden. Hat er dies getan, erwirbt er beim Kellner eine Chipkarte oder lässt sich einen QR-Code auf sein Telefon senden. So ausgerüstet, begibt er sich an der linken Seite des Stands zu den Zapfhähnen, gibt Chipkarte oder QR-Code in den Leser ein und zapft sich sein Bier.
Eine übertechnisierte Spielerei angesichts gerade einmal vier verschiedener Biere. Und eine zeitraubende noch dazu. Um das Auswahl- und Zapfritual einmal spaßhalber zu zelebrieren, fehlen Zeit und Nerven. Die Markthalle ist rappelvoll, die Menge hat Durst, und so wird das Bier doch nur wieder klassisch durch die Kellner gezapft. Auf Zuruf gibt es das Dunkel, das Weizen, das Lager oder das IPA, man bezahlt und geht. Die Technik, die Zapfzeremonie, die Detailinformationen – sie bleiben weitestgehend unbeachtet.
Aber zumindest: Der Gast wird abgebracht von der gedankenlosen Bestellung „Ein Bier, bitte!“ Er muss sich zwischen vier unterschiedlichen Stilen bewusst entscheiden, beginnt nachzudenken und wird – vielleicht! – beim nächsten Mal anderswo auch nicht einfach nur so „Ein Bier!“ bestellen.
Alle vier Biere der Selecção 1927 sind solide gebraut, weisen keine Geschmacksfehler auf. Mut zeigen sie aber auch nicht. Es fehlen Ecken und Kanten, die stiltypischen Merkmale sind nicht sehr ausgeprägt, nur sehr zurückhaltend formuliert. Es drängt sich die Frage auf: „Kann ein Bier feige sein?“
Nun, wenigstens hat Super Bock die Initiative ergriffen, hier, in der Bastion der Wein- und Prosecco-Trinker, präsent zu sein. Immerhin. Que!
Die Beer Experience Super Bock ist, wie der ganze Time Out Market, täglich ab 10:00 Uhr bis tief in die Nacht geöffnet; kein Ruhetag. Der Bierstand befindet sich im Zentrum der großen Halle, während die meisten anderen Stände sich am Rand verteilen. Zu erreichen ist die Markthalle, der alte Mercado da Ribeira, mit S-Bahn, Bus, Straßenbahn und U-Bahn problemlos – der Bahnhof Cais do Sodré liegt direkt gegenüber.
Time Out Market
Beer Experience Super Bock
Mercado da Ribeira
Avenida 24 de Julho
1200-479 Lissabon
Portugal
Hallo Volker,
ich hatte bei meinem Besuch eher den Eindruck, als würde Super Bock mit diesen Bieren genau den gleichen Weg gehen, wie das Becks schon vorgemacht hat. Die Biere sind ja zweifelsohne technisch okay – sie sind halt nur weit entfernt von dem was ein Bier des gleichen Stils kann.
Insofern habe ich bei meinem Aufenthalt immer einen Bogen um diese Flaschen gemacht – nur am Time Out Market mal „testweise“ zugeschlagen. Gelohnt hat es sich nur, um das Erwartete zu bestätigen.
Aber mit dem Marktanteil von Sagres und Superbock wird denen so schnell nicht das Wasser ausgehen.
Cheers Martin
Hallo, Martin,
grundsätzlich stimme ich Dir zu – daher auch meine rhetorische Frage: „Kann ein Bier feige sein?“
Aber Super Bock geht professioneller an die Sache heran als Beck’s. Jedenfalls empfand ich die Beck’s-Biere als recht dumpf, was für mich persönlich ein echter Geschmacksfehler ist, während die „feige“ Interpretation eines Bierstils ja nicht notwendigerweise ein Fehler sein muss. Es ist dann halt nur langweilig…
Mit bestem Gruß,
Volker