Das muss heute, am 1. Dezember 2016, doch wie ein Faustschlag ins Gesicht des Deutschen Brauer-Bundes gewesen sein. Keine zwei Jahre, nachdem die deutschen Brauer mit ihrem Antrag, das sogenannte Reinheitsgebot von 1516 bei der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen, mit Karacho gescheitert sind, wird die Bierkultur in Belgien in eben dieses Verzeichnis des Kulturerbes aufgenommen:
Tief muss diese Schmach sitzen. Sehr tief sogar, denn sonst hätten wir doch schon lange und den Regeln des Anstands gehorchend eine öffentliche Gratulation der deutschen Brauer an ihre belgischen Kollegen vernehmen müssen. Aber man duckt sich weg. Tief und immer tiefer.
Ist das peinlich!
Oder? (eine Erläuterung dieser Streichung siehe unten!)
Was ist denn eigentlich alles passiert? Gehen wir doch einmal halbwegs chronologisch vor.
Am 23. April 1516 haben die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in Ingolstadt ein Gebot verkündet, wie das Bier fortan zu brauen sei: „Wir wollen auch sonderlichen dass füran allenthalben in unsern stetten märckthen un auf dem lannde zu kainem pier merer stückh dan allain gersten, hopfen un wasser genommen un gepraucht solle werdn.“ In modernem Deutsch: Bier möge doch, bitte sehr, allein aus Gerste, Hopfen und Wasser hergestellt werden. Über die Absicht, die mit diesem Lebensmittelrecht verbunden gewesen ist, und wie dieses Gebot heute ausgelegt und angewandt wird, habe ich mich an anderer Stelle ausführlich ausgelassen – machen wir also einen Zeitsprung von 497 Jahren in die Neuzeit.
Ende 2013, mit reichlich Vorlauf zum legendären Datum, nämlich dem 500. Jahrestag der alten Vorschrift, entschlossen sich die im Deutschen Brauer-Bund organisierten Brauer, bei der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization UNESCO zu beantragen, dass das sogenannte Reinheitsgebot von 1516 als immaterielles Kulturerbe (Intangible Cultural Heritage) anerkannt und in die Liste dieser Kulturgüter aufgenommen werden möge.
(In der Presse wurde oft davon gesprochen, man habe die Anerkennung als Weltkulturerbe [World Cultural Heritage] beantragt, was zwar völlig falsch ist, weil das eine ganz andere Liste ist, aber vom Deutschen Brauer-Bund in seiner auch heute noch zugänglichen Presseerklärung selbst fälschlicherweise so behauptet wurde: „Berlin/München, 2. Dezember 2013. Das ‚Reinheitsgebot für Bier‘ soll Weltkulturerbe werden. Einen entsprechenden Antrag richten die deutschen Brauer an die Kultusministerkonferenz und die UNESCO.“)
Immaterielles Kulturerbe, also. Nicht Weltkulturerbe.
Frohgemut und selbstbewusst erwarteten die deutschen Brauer, dass noch reichlich vor den für den 23. April 2016 angesetzten Jubiläumsfeierlichkeiten die positive Entscheidung der UNESCO eintreffen und der Veranstaltung noch eine besondere Würze verleihen möge. Doch statt feiner Würze gab es Saures, wurde ihnen die Suppe Anfang 2015 gewaltig versalzen, nämlich in Form einer klaren Ablehnung.
Sorgfältig hatte die UNESCO den Antrag geprüft und natürlich zuallererst mit der Definition des immateriellen Kulturerbes konfrontiert, also den
„Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnissen und Fähigkeiten sowie den damit verbundenen Instrumenten, Objekten, Artefakten und Kulturräumen, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Individuen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen.“ Es „manifestiert sich unter anderem in folgenden Bereichen:
a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger immateriellen Kulturerbes;
b) darstellende Künste;
c) gesellschaftliche Praktiken, Rituale und Feste;
d) Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum;
e) traditionelle Handwerkstechniken.“
Dem in dieser Definition enthaltenen Anspruch hat das sogenannte Reinheitsgebot offensichtlich nicht genügt, und kurz, sachlich und trocken wurde der Antrag abgelehnt:
„Das Bierbrauen nach dem Reinheitsgebot wurde in der dem Komitee vorliegenden Bewerbung leider nicht überzeugend dargestellt. Hier stand die Lebensmittelvorschrift zu sehr im Vordergrund. Wir hatten auch den Eindruck, dass die Bierproduktion inzwischen sehr industriell geprägt ist. Der Mensch als Wissensträger der Brautradition scheint zunehmend eine nachrangige Rolle zu spielen.“
Nichts war es also mit immateriellem Kulturerbe. Ohrfeige links und rechts, setzen, sechs!
Besonders schön der Hinweis auf die industrielle Prägung der Bierproduktion. Schaut man in die großen Brauhäuser in Hamburg, Bremen, Dortmund, dem Sauerland, München oder am Stadtrand von Dresden, die gefühlt ja gar keine Brauhäuser mehr sind, sondern hochtechnisierte Bierfabriken, dann versteht man, was gemeint ist. Und immer neue Interpretationen des Reinheitsgebots im Bereich der Aufbereitung von Rohstoffen tragen das Ihrige dazu bei, den Brauprozess als reine Industrieproduktion zu empfinden. Von Kultur und Kulturerbe also keine Spur.
Peinlich. Natürlich gab es dazu keine Pressemitteilung des Deutschen Brauer-Bundes. Stattdessen übte man sich in Täuschungsmanövern. Die Welt will unser Reinheitsgebot nicht als immaterielles Kulturerbe akzeptieren? Na, dann machen wir Bayern es eben allein. Und so wurde stattdessen die „Bayerische Brautradition nach dem Reinheitsgebot“ zum Immateriellen Kulturerbe des Freistaates erhoben und stattdessen lieber über diese regionale Auszeichnung berichtet, die außerhalb Bayerns niemand kennt. Ich auch nicht. Aber Bayern hat die Welt um sich herum ja noch nie gebraucht.
Und, um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen: Man hat sich „an den Kriterien des UNESCO-Übereinkommens orientiert, nämlich z.B. Alter, Wandel und Tradierung, Inhalt, Trägergruppe, Bedeutung, Erhalt, Gefährdung sowie Kommerzialisierung.“ Ha, selten so gelacht!
Als nächstes kommt der Männergesangsverein Hinterposemuckel-Süd und ernennt seine dissonanten Darbietungen zum immateriellen Kulturerbe der Gemeinde Hinterposemuckel?
Anders, pfiffiger und weltmännischer offensichtlich, die belgischen Brauer. Statt auf eine auf fragliche Weise interpretierte Vorschrift zur Produktion haben sie sich auf den handwerklich-kulturellen Beitrag und die Rolle des belgischen Biers im Alltag konzentriert. Ganz ohne Reinheitsgebot entstehen in Belgien nämlich faszinierende Biere, die nicht ohne Grund in aller Welt bekannt und in ganz Belgien geliebt sind.
Und so hat die UNESCO mit ihrer Erklärung der 11. Komitee-Sitzung vom 28. November bis zum 2. Dezember 2016 in Addis-Abeba folgendem Antrag stattgegeben (und ich lasse das mal einfach in Englisch stehen, versteht doch sowieso jeder):
„Making and appreciating beer is part of the living heritage of a range of communities throughout Belgium. It plays a role in daily life, as well as festive occasions. Almost 1,500 types of beer are produced in the country using different fermentation methods. Since the 80s, craft beer has become especially popular. There are certain regions, which are known for their particular varieties while some Trappist communities have also been involved in beer production giving profits to charity. In addition, beer is used for cooking including in the creation of products like beer-washed cheese and, as in the case of wine, can be paired with foods to compliment flavours. Several organizations of brewers exist who work with communities on a broad level to advocate responsible beer consumption. Sustainable practice has also become part of the culture with recyclable packaging encouraged and new technologies to reduce water usage in production processes. Besides being transmitted in the home and social circles, knowledge and skills are also passed down by master brewers who run classes in breweries, specialized university courses that target those involved in the field and hospitality in general, public training programmes for entrepreneurs and small test breweries for amateur brewers.“
Schön geschrieben, oder?
Bierkultur in Belgien ist nun also als immaterielles Kulturerbe anerkannt.
Und hätten sich die deutschen Brauer auf die kulturellen Aspekte des Bierbrauens in Deutschland fokussiert, hätten sie seinerzeit eine vergleichbare Anerkennung wohl auch erfahren können. Die Rolle der Industrie im Herstellungsprozess hätte, wenn man sie, wie die Belgier es getan haben, sauber beschrieben hätte, nicht geschadet. Jetzt aber im Nachklapp einen neuen Ansatz zu wählen und statt des sogenannten Reinheitsgebots die Bierkultur in Deutschland, Bayern oder Franken ebenfalls anerkennen lassen zu wollen? Nach dem Prinzip „Wir auch! Wir auch!“? Nein, zu spät, lieber Deutscher Brauer-Bund, die UNESCO ist kein Kindergarten. Chance verpasst!
Und das ist angesichts der Vielzahl von engagierten kleinen und mittleren Brauereien in Deutschland wirklich schade. Die hätten nämlich eine Anerkennung ihrer Braukultur (wohlgemerkt: nicht des sogenannten Reinheitsgebots in der derzeitigen Form) wirklich verdient gehabt.
Die Ohrfeige Anfang des letzten Jahres hat gesessen, und sie hat heute eine ganz neue Qualität bekommen.
Ob sie aber reicht, dass der Deutsche Brauer-Bund und vor allem die bayerischen Brauer von ihrem hohen Ross bezüglich ihres fraglichen Reinheitsgebots herunterkommen? Oder bedarf es derer, der Ohrfeigen nämlich, noch mehr?
Nachtrag 2. Dezember 2016: In vollem Bewusstsein, dass eine solche Ehrung als immaterielles Kulturerbe auch zu Werbezwecken missbraucht werden und sich dann als zweischneidiges Schwert erweisen kann, das eben diese Bierszene in ihrem kulturellen Wert massiv bedroht, hat der flämische Kultusminister Sven Gatz schon mal kernig und knackig gedroht:
Sven Gatz waarschuwt brouwers die te opzichtig willen profiteren nadat de Belgische biercultuur tot immaterieel cultureel erfgoed werd benoemd: „De eerste die een Unesco-schild op zijn bier zet, kom ik persoonlijk tegen de muur plakken.“
In meiner freien Übersetzung:
Sven Gatz warnt Brauer, die zu offensichtlich daraus Profit schlagen wollen, dass die belgische Bierkultur zum immateriellen Kulturerbe ernannt worden ist: „Den ersten, der ein UNESCO-Schild auf sein Bier setzt, werde ich persönlich an die Wand kleben!“
Gut gesprochen, Herr Minister!
Quelle: http://www.standaard.be/cnt/dmf20161201_02602631
Noch ein Nachtrag 2. Dezember 2016: Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, Holger Eichele, weist mich freundlich darauf hin, dass ich an „einigen entscheidenden Stellen wirklich nicht gut recherchiert“ habe und liefert mir einen Link zu einem Online-Artikel der Welt. In der Tat: Deutsche Brauer blicken „neidlos“ auf Welterbe-Chancen des belgischen Biers, heißt es dort.
Prima, das freut mich sehr, und ich danke ihm recht herzlich für diese Information – genauso, wie auch für den Hinweis, dass er persönlich am 1. Dezember 2016 in Brüssel war, um zu gratulieren. Recht so! Denn letztendlich profitieren wir als Verbraucher und Bierliebhaber am meisten davon, wenn Bierkultur und die Begeisterung für sie grenzüberschreitend bewahrt werden.
Wobei die angegebene Quelle, der Artikel in der Welt also, allerdings vor der Entscheidung des UNESCO-Komitees erschienen ist, nur von Chancen spricht und noch nicht die endgültige Anerkennung würdigt.
Und: Eine diesbezügliche Pressemitteilung des Deutschen Brauer-Bundes ist mit Stand heute auf dessen eigener Seite – denn da recherchiere ich natürlich zuerst, und nicht in irgendwelchen Sekundärquellen! – noch nicht veröffentlicht worden. Am 1. Dezember 2016 war die Nachricht, dass Christian Weber in das Präsidium der „Brewers of Europe“ gewählt worden ist, vom Deutschen Brauer-Bund offensichtlich höher priorisiert worden.
Schade, denn dadurch bleibt die edle Geste der neidlosen Anerkennung unauffällig im Hintergrund und nur wenig öffentlichkeitswirksam.
Nachtrag 7. Dezember 2016: Jetzt war ich auf Reisen und für ein paar Tage daran gehindert, auf der Seite des Deutschen Brauer-Bunds zu verfolgen, ob und wann ein Glückwunsch an die belgischen Brauer auch dort veröffentlicht wird – angekündigt worden war es mir ja von Holger Eichele.
Heute konnte ich mich nun dessen vergewissern, dass in der Tat mit Datum vom 2. Dezember 2016 Glückwünsche an Belgiens Brauer veröffentlicht wurden – und zwar eine recht ausführliche Pressemeldung mit einem Umfang von – nach Abzug von Briefkopf und Überschrift – satten zwei DIN A-4 Seiten Text.
Alles gut also?
Leider nur auf den ersten Blick.
Bei genauerem Durchlesen fällt nämlich rasch und mir persönlich unangenehm auf, dass lediglich die ersten, wenigen Sätze Glückwünsche an die Kollegen im Westen ausdrücken und der ganze Rest des Texts, gute 80% des Gesamtumfangs, sich mit Selbstbeweihräucherung befasst. Unter nahezu irreführender Überschrift veröffentlicht man einmal mehr einen Text über das sogenannte Reinheitsgebot von 1516, der dessen Rolle, dessen angeblich durchgängige, 500jährige Tradition und dessen immer wieder beschworene, aber niemals bewiesene Bedeutung für die Qualität des deutschen Biers beschreibt. Regelrecht erstaunlich wirkt nach der Lektüre gar, wie es den Belgiern gelingen konnte, ohne ein solches sogenanntes Reinheitsgebot trotzdem eine Bierkultur zu entwickeln, die der UNESCO die Anerkennung als immaterielles Kulturerbe wert war.
Ich empfinde das als ärgerlichen Versuch der Gehirnwäsche, bin enttäuscht von diesem Mangel an Souveränität im Umgang mit dem Fakt der Anerkennung der Bierkultur Belgiens und kann nur hoffen, dass nicht alle Leser dieser Pressemitteilung auf deren doch ein wenig plumpe Darstellung hereinfallen. Und wäre ich belgischer Brauer, würde ich diese Darstellung sogar als Tritt vor das Schienbein empfinden, als vergiftetes Kompliment nämlich.
Nicht gut, lieber Deutscher Brauer-Bund.
Gar nicht gut!
Für die Belgier freue ich mich, weil sie schon lange eine große Vielfalt hervorragender handwerklich gebrauter Biere machen. Die vielen kleinen traditionellen Brauereien in Deutschland und die große Zahl neuer innovativer Craftbeer Brauereien hätten diese Auszeichnung auch verdient. Das antiquierte Reinheitsgebot, das vor allem die industriellen Brauereien immer wieder bemühen, um ihre geschmacklose Brühe zu vermarkten,gehört in den Ausguss der Biergeschichte.
Da kann ich Dir nur aus vollem Herzen zustimmen, Frank. Genau diese Dialektik mit Reinheitsgebot und Förderung der Industriebiere ist es, die seinerzeit ja maßgeblich zur Ablehnung des Antrags des Deutschen Brauer-Bundes beigetragen hat.
Mit bestem Gruß,
VQ