Mostò? Wein? Ich? Nee, also wirklich nicht!
Aber in diesem Falle heißt es Mosto, nicht Mostò, und dahinter verbirgt sich eine kleine Bar, die sich auf handwerkliche Biere und auf gute, ausgewählte Spirituosen spezialisiert hat.
Und so stehe ich denn im Altstadtgassengewirr Neapels vor einer Bierbar mit einem weinigen Namen: Mosto – Birra & Distillati. Nicht lange allerdings, sondern nur so lange, wie es braucht, der Dame, die die Bar gerade verlassen möchte, den Vortritt zu lassen. Aufgebrezelt, hochhackige Schuhe, kurzer Rock, Strümpfe mit einem aufwändigen Muster, und zwei kleine Hunde an der langen Leine.
Eigentlich keine typische Craftbier-Bar-Kundin? Ich weiß es nicht mehr, mittlerweile hat das Interesse an gutem, individuellem Bier eigentlich alle gesellschaftlichen Kreise erfasst, und so darf es denn gerne auch diese Dame sein, warum denn nicht? Ich darf ja schließlich auch ohne Tattoo und ohne Hipsterbart hinein!
Und so sitze ich denn in dem schmalen Schlauch, der sich Bar nennt, gegenüber der Theke auf einem Barhocker. Vor mir ein schmales Brett, auf dem gerade so das Bierglas Platz hat, und ein kleines Schüsselchen Popcorn. An der Wand hängt ein kleines Tablet, fest angedübelt. Ich kann der Versuchung nicht wiederstehen und drücke darauf rum, stelle aber fest, dass es offensichtlich nur für Zahlungszwecke dient. Und in der Tat, nur Augenblicke später werde ich Zeuge eines Hightech-Zahlungsvorgangs: Der Barmann kommt hinter der Theke hervor, geht zum Tablet, schaltet es ein. Der Kunde nimmt sein Telefon, schaltet es ebenfalls ein. Beide drücken eine geraume Zeit lang auf ihren Tocuhscreens herum, und irgendwann meldet das System, dass der Zahlungsvorgang beendet sei. Gefühlte Minuten. In der Zeit hat die alte, tüddelige Dame beim Aldi ihre Rechnung bereits centgenau beglichen und geduldig eine Handvoll Kupfermünzen aus ihrer Schatulle gekramt. Schöne neue Welt? Gerne, wenn sie denn so effizient ist, wie eine kontaktlose Kreditkarte, die den Zahlungsvorgang in zwei bis drei Sekunden durchführt, aber so, mit Telefon und Tablet, minutenlang? Wohl eher aus Freude an der Technik denn aus Effizienzgründen.
Aber, äh, wo war ich denn stehengeblieben? Natürlich beim Bier.
Statt einer schwarzen Kreidetafel hängt ein großer Flatscreen mit der Bierliste an der Wand. Acht normale Zapfhähne sind aufgeführt, plus eine Handpumpe nach englischer Art. Zu jedem Bier wird angezeigt: Farbe, Name, Brauerei, Alkoholgehalt, Stil, Bittereinheiten, Herkunftsland, Preis. Durch das Styling, dass wohl an eine Abflugtafel im Flughafen erinnern soll, wirkt es etwas unübersichtlich, und so habe ich gerade bei meiner Bestellung ein wenig länger gebraucht, um die Liste zu studieren. Jacopo, der Barmann, wartete geduldig, bis ich mich schließlich für ein Double IPA von Canediguerra entschieden habe.
Während ich das kräftig gehopfte, aber auch spürbar starke Bier (8,2%!) genieße, studiere ich den Rest der Anzeige. Ein paar Flaschenbiere werden noch beworben und ein paar Dosen. Und schließlich sind nette Karikaturen des hier arbeitenden Personals angezeigt – ich identifiziere Jacopo und Alessandro. Fabrizio ist der Chef und heute nicht da, und nach den beiden Damen, Jessica und Noemi, halte ich ebenfalls vergeblich Ausschau. Nette Idee aber!
Vor den Zapfhähnen auf der Theke liegen kleine Schieferbrettchen, darauf frisch aufgeschnittene Weißbrotstangen mit unterschiedlichen Belägen. Wer vom Bier Appetit bekommt, darf nach Herzenslust zulangen. Gratis.
„Ich bin mir nicht sicher, ob das in Deutschland funktionieren würde“, sage ich zu Jacopo. „Da kämen bestimmt reichlich Gäste, die ein kleines Alibi-Bier trinken würden und sich mit den Baguettes den Bauch vollschlagen würden. Am besten jeden Abend.“ Jacopo grinst. „Ja, ein paar von der Sorte haben wir auch, aber die sind recht berechenbar, kommen immer zur gleichen Zeit. Für die gibt es dann nur einfachsten Brotbelag, nichts Besonderes. Leckere Spezialitäten bereiten wir dann vor, wenn die wieder weg sind.“ Er schüttet sich aus vor Lachen…
Ich greife noch einmal zu, bestelle mein nächstes Bier. Nach einem winzigen Probeschluck des Bière de Garde von Extraomnes – nein, nach dem Double IPA schmeckt das jetzt nicht so sehr – entscheide ich mich für das Triple, ebenfalls von Extraomnes. Passt besser.
Ob ich denn selber die Musik aussuchen wolle, die heute gespielt wird, fragt mich Jacopo und deutet auf ein weiteres Tablet, das vor den Zapfhähnen angebracht ist. Die Steuerung für die mp3-Musik. Jeder Gast kann seine Lieblingslieder aussuchen und laufen lassen, wenn er denn mag. Und wenn er denn konfliktfähig ist und seinen individuellen Musikgeschmack in lautstarker Diskussion mit Gästen, die gerne etwas völlig anderes würden hören wollen, zu verteidigen vermag.
„Eine tolle Idee, um Diskussionen unter den Gästen zu fördern“, denke ich mir. Vermutlich aber auch mit einem gewissen Eskalationsrisiko.
Rechts neben der Theke entdecke ich den verglasten und blutrot illuminierten Kühlraum für die Fässer. Ein wildes Durcheinander, aber Alessandro weiß genau, welche Leitung zu welchem Hahn führt, und mit traumwandlerischer Sicherheit klemmt er ein leeres Fass ab, ein neues an.
Musikinstrumente an der Wand, rohe Ziegel, eine recht ordentliche Sammlung von Büchern über Bier, kleine Gratissnacks zum Bier, reichlich Popcorn (auch gratis) – die Bar Mosto – Birra & Distillati ist attraktiv. Offensichtlich besonders bei den Damen – ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich in einer Craftbierbar einen deutlichen Frauenüberschuss registriere. Würde nicht – ach, es ist ein Kreuz, immer beruflich unterwegs zu sein… – morgen eine wichtige Präsentation auf mich warten, hier könnte ich jetzt schön versacken. Stattdessen packe ich meine Notizen und mein Telefon, zahle (ganz konservativ mit Karte, nicht mit irgendeiner App und zweiunddreißig Tipp- und Wisch-Bewegungen) und mache mich auf den Weg zurück ins Hotel.
Die 2015 erst eröffnete Bar Mosto – Birra & Distillati ist täglich ab 19:00 Uhr durchgehend bis in die Morgenstunden geöffnet (nicht jeder hat am nächsten Morgen wichtige Präsentationen und muss früh zu Bett…); kein Ruhetag. Neben Craftbieren bietet sie auch eine große Auswahl an Rum, Gin, Whisky und Wodka. Zu erreichen ist sie im Gassengewirr des Stadtteils Chiaia am besten zu Fuß – von der Piazza Vittoria sind es vielleicht fünf Minuten, wenn man sich nicht verläuft.
Mosto – Birra & Distillati
Vico II Alabardieri, 28
80 121 Napoli
Italien
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