Ach ja, auch dem erfahrensten Bierreisenden passiert es, dass er mal auf eine „todsichere“ Empfehlung reinfällt.
Meistens bilde ich mir ja ein, zwischen guten und schlechten Empfehlungen unterscheiden zu können. Die guten, wenn mir Bars oder kleine Gasthausbrauereien beschrieben werden, die ein vielfältiges, internationales Bierangebot haben, ein oder mehrere wirkliche Spezialitäten anbieten, dazu kommen gute Bierpflege, Personal, das weiß, was es ausschenkt, und nettes, bier-affines Publikum, mit dem mal schnell ins Gespräch kommt. Egal, ob im Internet oder persönlich – das sind die Empfehlungen, die ich gerne annehme, und dadurch auch schon die eine oder andere echte Perle entdeckt habe.
Die anderen Empfehlungen, die schlechten also, und meistens erkenne ich sie recht rasch, stammen häufig von Menschen, die ein anderes Verständnis von Bierkultur haben als ich. Da ist dann die „todsichere“ Empfehlung eines Rauchers die einzige Bar, deren Raucherbereich größer als der Nichtraucherbereich ist, und vom Fass gibt es Warsteiner, als Flaschenbier Warsteiner alkoholfrei. Oder es ist die Bar, in der das Holsten Pils ganze fünf Cent billiger ist als in den Kneipen der Nachbarschaft, deswegen ist es eine echte Empfehlung! Sehr beliebt auch, besonders in Wien, die Empfehlung „Das ist eine Kneipe, die haben ihr eigenes Hausbier!“ – welches sich dann zum hundertsten Mal als ein umetikettiertes Ottakringer Zwickel erweist. Oder die geniale Bierbar hat gar kein Fassbier und nur eine einzige Flaschenbiermarke, aber der Kenner hatte seinerzeit einen so heißen Flirt an der Theke, dass er bis heute dort nur mit rosaroter Brille verkehrt und alles ins Unendliche positiv verklärt.
Beim heutigen Tipp schien aber eigentlich alles ganz stimmig. Nette Einrichtung, freundliches Personal, acht Biere vom Fass, ein typisches englisches Pub, wie man es auf dem Kontinent nur selten findet. Und jetzt stehe ich auf der Piazza Bellini und stelle fest, dass in allen Bars rund um die Piazza – und das sind viele! – der Bär los ist, nur das Saint James Pub, unsere Empfehlung, ist, obzwar hell erleuchtet, gähnend leer. Mein Arbeitskollege und ich, die wir nach einem langen Verhandlungstag jetzt endlich abschalten wollen, schauen uns fragend an und machen uns an die genauere Erkundung.
Die Inneneinrichtung: Schon ansprechend, sehr an ein englisches Pub erinnernd, aber wenn die gemütlichen Polstermöbel mit dickem Plastik überzogen sind, dann mag das angesichts einer vielleicht eher rustikalen Neapolitaner Touristen-Klientel zweckmäßig sein, von Gemütlichkeit bleibt so aber nicht viel übrig.
Die Bar zeigt in der Tat die versprochenen acht Zapfhähne. 3 x Leffe, 3 x Bass, 1 x Spaten, 1 x Tennent’s. Sieben Mal AB InBev Konzernbier, ein Mal, mit Tennent’s Caledonian, ein national irischer Player, dem die schottische Marke gehört. Also Biere, die weltweit erhältlich sind. Nichts Besonderes. Auch nicht in dieser Anzahl. Zu allem Überfluss tippt der Barmann auf die Zapfhähne. Dieses Bier gebe es derzeit gerade nicht, dieses hier auch nicht, und jenes leider auch nicht. Bleiben also nur noch fünf.
Wir bestellen ein Leffe Royale Whitbread Golding und ein Spaten Bockbier. Das Leffe Royale gehört zu der Serie von Bieren, mit der der Konzern ein wenig auf den Bierspezialitätenzug aufspringen möchte. Das durchaus leckere Royale mit einzelnen, besonderen Hopfensorten zu verfeinern, ist eine gute Absicht. Es so zurückhaltend zu tun wie der Konzern, ist hingegen feige und ein Zugeständnis an den Massengeschmack. Etwas Besonderes darstellen zu wollen, ohne etwas Besonderes zu sein, weil letzteres ja polarisieren und Kunden kosten könnte, ist halt unmöglich. Die Quadratur des Kreises. Aber es ist schon in Ordnung – ein gut trinkbares Bier, aromatisch, ohne Ecken und Kanten. Nicht mehr und nicht weniger.
Das Bockbier von Spaten hingegen ein völliger Reinfall. Muffig und dumpf, fast schon faulig. Als ob wir die ersten Gäste seit einer Woche sind, die aus diesem Fass trinken, und das Bier auch schon so lange in der ungereinigten Leitung gestanden hat. Untrinkbar.
Als Ersatz bestellen wir das Tennent’s. Beworben wird auf dem Tap Handle das Tennent’s Super, ein Starkbier mit 9,0% Alkohol, was jedoch ins Glas rinnt, ist nur ein müdes helles Bier von undefinierbarem Geruch und Geschmack. Könnte irgendein Allerweltslager sein. Oder ein schlappes Ale? Auf alle Fälle keine 9,0% stark. Und „super“ schon gar nicht.
Enttäuscht bezahlen wir und gehen weiter. Nein, das war kein guter Tipp. Wir drehen uns noch einmal um: Die Terrasse ist nach wie vor gähnend leer. Ein einzelner Herr sitzt mittlerweile ganz am Rand, neben sich ein Glas Wasser, in seinen Laptop vertieft. Von ihm abgesehen waren wir heute Abend die einzigen Gäste.
Das Saint James Pub ist täglich ab 17:30 Uhr bis 03:00 Uhr morgens geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es in drei Minuten zu Fuß von der bekannteren und größeren Piazza Dante, an deren Südrand die Metro-Linie L1 hält.
Saint James Pub
Piazza Bellini, 73
80 138 Napoli
Italien
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