Die Tschechen sind nicht nur gewaltige Biertrinker, sondern offensichtlich auch fast alles heimliche oder unheimliche Hobbybrauer. Je mehr ich in Tschechiens Provinz umherreise und Brauereien besuche, desto öfter stoße ich auf die immer gleiche Geschichte:
Herr oder Frau X hat irgendwann einmal davon geträumt, Bier nicht nur zu trinken, sondern es auch selbst herzustellen. Nur für den eigenen Konsum, natürlich. Und – jedenfalls immer dann, wenn man öffentlich zugängliche Quellen liest; im privaten Gespräch hört sich das oftmals ganz anders an… – streng legal. Natürlich. Also, ähnlich wie in Deutschland, mit Anmeldung beim lokalen Zollamt, und beim Überschreiten der 200-l-pro-Jahr-Grenze auch alles versteuert. Natürlich, natürlich, alles korrekt.
Und dann kommen die Familie, die Freunde, die Nachbarn. Genießen das selbstgebraute Bier, trinken es dem Brauer, der Brauerin weg und trollen sich wieder, nicht ohne zu verkünden, dass dieses Bier so lecker sei, also so was von exzellent, dass man doch darüber nachdenken möge, eine eigene, „richtige“, soll heißen, kommerzielle Brauerei einzurichten. Und vor allem, größer möge sie sein, denn nur so einmal im Monat ein paar Biere trinken zu können, sei ja für richtige Tschechen überhaupt nichts. Ein Liter pro Tag und erwachsenem Biertrinker müsse es doch mindestens sein, das seien dann schon fast 400 Liter pro Person, rund 2000 Liter pro Familie, und wenn man Nachbarn und Freunde mitrechnen würde, sowie diejenigen, die sich dann als Freunde zu erkennen geben, wenn es Freibier gibt, dann wäre doch der Grundumsatz schon gesichert.
So folgt dann oftmals auf die Hausbrauexperimente recht rasch der Schritt zur offiziell angemeldeten und betriebenen Kleinbrauerei – ob mit oder ohne eigenes Restaurant oder eigene Schänke.
Mindestens einmal pro Woche passiert das derzeit irgendwo in Böhmen, Mähren oder Tschechisch-Schlesien.
Mit meiner holden Ehefrau stehe ich nun in Lipník nad Bečvou und schaue auf das Gebäude der První Soukromý Pivovar Společenský s.r.o., der Ersten Privaten Genossenschaftsbrauerei, und auf der Website dieser kleinen Gasthausbrauerei finde ich unsere altbekannte Geschichte erzählt:
„Tradiční vaření piva v Lipníku nad Bečvou se věnujeme ve zvláštní kapitole, takže v této snad pár řádků o naších začátcích a dlouhé cestě k vysněnému restauračnímu pivovaru. — Začalo to myšlenkou ……… nedala nám spát tak dlouho, až jsem si nakonec v lednu 2003 vybudovali varnu o objemu 2hl. Zpočátku jsme si pivo vyráběli pro svou vlastní potřebu. Zvýšená poptávka po našem zlatém moku nás přivedla k tomu, že jsme se od roku 2004 začali vařením piva zabývat profesionálně. — Chtěli jsme navázet na tradici vaření piva v Lipníku nad Bečvou, a i proto jsme se pro název našeho pivovaru nechali inspirovat jedním z již zaniklých místních pivovarů, Prvním parním pivovarem společenským (1896 – 1903). — První oficiální várka proběhla 14.2.2004 se začátkem v 16:30 h.“
Oder in meiner freien, nichtsdestotrotz holprigen Übersetzung:
„Der Brautradition in Lipník nad Bečvou widmen wir ein besonderes Kapitel, einschließlich ein paar Zeilen über unsere Anfänge und den langen Weg zur erträumten Gasthausbrauerei. — Es begann mit einer Idee ……… wir konnten nicht schlafen, bis ich schließlich im Januar 2003 ein Sudhaus mit einer Größe von 2 hl gebaut habe. Zunächst stellten wir Bier nur für den eigenen Gebrauch her. Die gestiegene Nachfrage nach unserem goldenen Trunk führte jedoch dazu, dass wir seit 2004 professionell und kommerziell brauen. — Wir wollten an die Tradition des Bierbrauens in Lipník nad Bečvou anknüpfen und ließen uns daher von einer der geschlossenen lokalen Brauereien inspirieren, der ersten genossenschaftlichen Dampfbrauerei (1896 – 1903). — Der erste offizielle Sud wurde am 14. Februar 2004 um 16:30 Uhr begonnen.“
Vom Hausbrauer zur Gasthausbrauerei also – wie so oft.
Wir betreten den Schankraum, und uns empfängt eine merkwürdig altmodische Szene. Altrosafarbene Wände, Stuckarbeiten, uralte Holzrahmen. Dazu Blümchentischdecken, messingfarbene Lampen, Holzpaneele. Unsere längst verstorbene Großtante Selma würde sich hier vom ersten Moment an wohlfühlen.
Das Publikum ist jedoch deutlich jünger als Tante Selma, gibt wenig auf die altmodische Einrichtung und spricht stattdessen lieber dem Bier zu. Die gängigen Sorten sind im Angebot – Helles und Halbdunkles, jeweils auch in verschiedenen Stärken. Dazu deftiges und leckeres Essen.
Ich beginne mit dem 12% Svatovar Světlý, einem goldgelben Bier mit einer unendlich lange haltbaren und stabilen Schaumkrone. Unvermeidlich: Die in Tschechien so geliebte Diacetyl-Note im Aroma. Abgesehen davon aber gut trinkbar. Ein feines und süffiges Bier, nach dem schaumbedingt langen Zapfen mit nur noch geringer Spundung. Ein großer Zug, und das Glas ist leer.
Zum Essen dann das 12% Svatovar Polotmavý, dem halbdunklen Bruder des ersten Biers. Eine schöne Bernsteinfarbe. Gebraut aus vier Sorten Malz: Pilsnener, Münchner, Karamell und Farbmalz. Nicht ganz so schaumstabil, aber genauso süffig. Ein bisschen vollmundiger und runder vielleicht als das Helle.
Und schließlich als Nachtisch, das 11% Svatovar Světlý. Deutlich schlanker als die ersten beiden Biere – als Aperitif hätte es eher gepasst. Eine feine Bittere, nur wenig Malzkörper, im Vergleich daher fast ein wenig wässrig wirkend. Dennoch gut trinkbar. Und – natürlich – mit einem Hauch buttrigen Diacetyls in der Nase.
Die Preise? Nicht der Rede wert. Mineralwasser wäre vermutlich teurer gewesen…
Das Essen? Deftig und sehr lecker.
Die Bedienung? Blitzschnell und freundlich.
Und das Sudwerk? Leider ein wenig versteckt hinter einer verschlossenen Glastür. Man kann die beiden Kupfergeräte sehen, auch durchs Glas fotografieren, aber einen richtigen Einblick in die Technik und den Produktionsprozess bekommt man nicht.
Trotzdem aber schön!
Die První Soukromý Pivovar Společenský s.r.o. ist täglich ab 10:30 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Sie liegt direkt am Straßenring, der die Altstadt einschließt, ist einfach zu finden, und das Auto kann direkt vor der Tür gebührenfrei parken. Alternativ bietet sich die Bahn an – der Bahnhof Lipník ist etwa 700 m entfernt. Bei gutem Wetter ein schöner Spaziergang.
První Soukromý Pivovar Společenský s.r.o.
Novosady 164
751 31 Lipník nad Bečvou
Tschechien
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