In freudig angespannter Erwartungshaltung sitzt der Chronist vor der Tastatur seines Laptops und lässt einen durchaus angenehmen Abend gedanklich Revue passieren. Eine Reihe interessanter Eindrücke möchte er zu Papier, elektronischem jedenfalls, bringen. Seine Gedanken schwingen frei und harmonisch durch die Gehirnwindungen.
Eine langgestreckte, verkehrsberuhigte Straße durch ein Wohngebiet der kleinen Gemeinde Jockgrim unweit des Rheins in der Abendsonne des 1. April 2015. Kleine Häuser, beschauliche Vorgärten.
Wie ein Wetterleuchten zuckt plötzlich ein störender Gedanke für Sekundenbruchteile durch die linke Gehirnhälfte, ist rasch wieder abgeklungen.
Der Chronist nähert sich einem etwas größeren Haus am Ende dieser kleinbürgerlichen Idylle. Gar nicht einschüchternd, die Architektur, sondern harmonisch sich einfügend in den Rest des Ensembles. Eine zeltartige Konstruktion überdacht einen kleinen Biergarten, und eine Leuchtreklame macht auf das Erste Jockgrimer Brauhaus und sein Jockgrimer Froschbräu aufmerksam.
Vorfreude macht sich breit. Kühles und erfrischendes Bier, leckeres Essen. Nette Gesellschaft. Deutsche Gemütlichkeit.
Erneut zuckt ein Blitz über den gedanklichen Horizont, ein fernes, bedrohliches Grollen, graue Wolkenschleier im Hinterkopf, sie sich langsam aufzutürmen beginnen.
Unwillig schüttelt der Chronist den Kopf, nein, das kann nicht sein. Nicht dieser Gedanke.
Die Assoziationen werden wieder angenehm. Ein Parkplatz ist rasch gefunden, direkt vor der Brauerei. Alles ist gut. Die eher an einen gewöhnlichen Wohnhaus-Eingang erinnernde Tür öffnet sich. Stimmengewirr, die Gaststube ist gut besucht. Es riecht nach leckerem Brathähnchen. Hm! Das Herz springt in der Brust.
Doch, o weh, elektrische Potentiale in den Synapsen bauen sich auf; der zitternden Nadel eines Potentiometers gleich zucken die Augen des Chronisten. Die Wolken am gedanklichen Horizont beginnen, sich aufzutürmen. Hoffentlich entlädt das Gewitter heute nicht. Nicht heute!
Kupfern glänzt das kleine Sudwerk der Firma Dreher, das Modell mit der Schublade für den Treber unten, wie ich es schon in anderen Brauereien gesehen habe. Seit 1999 wird hier, mitten in Jockgrim, mitten im Wohngebiet, Bier gebraut und ausgeschenkt.
Ich setze mich, die freundliche Bedienung kommt, ich bestelle ein kleines Helles, und im Nu steht es vor mir. Gut eingeschenkt, ein fester Schaum, goldgelbe Farbe, leicht trüb.
Ein erster Schluck: Grundsolides Bier. Nichts Exotisches, aber süffig. Ein schöner Durstlöscher nach einem langen Arbeitstag.
Um mich herum ein Querschnitt durch die Bevölkerung. Arbeiter am Tresen beim Feierabendbier. Turtelnde Paare in der kleinen Nische. Lärmende Gruppen mit großen Gläsern am Fenster. Mittendrin eine Familie, drei Generationen, beim guten Abendessen. Ein paar Rentner.
Da ist sie plötzlich wieder. Die Hochspannung. Gewaltige Ladungen ballen sich, einem überladenen Kondensator gleich. Jeden Moment muss es krachen. Nein, nicht hier. Nicht jetzt. Nicht heute. Ich werde mich doch nur wieder ärgern, wenn sich dieser Gedanke breit macht. Bedrohlich knistert es in den Hirnwindungen. Meine Muskeln kontrahieren. Langsam entlädt sich die Spannung wieder, der Gedanke verschwindet.
Zunächst…
Zurück in die Gaststube. Zwei Sorten Bier werden hier standardmäßig gebraut. Das eben beschriebene Helle. Und ein malzigeres Dunkles. Fast schon klar kommt das Dunkle auf den Tisch. Appetitlich schaut es aus, und es ist ebenfalls, wie sein heller Zwilling, ein solides Trinkbier. Nicht lang verkosten, nicht lang nachdenken. Den Durst löschen, das ist die Devise.
Eine Devise, die verstanden wird an den Nachbartischen. Ich bin der einzige, der kleine Gläser trinkt. Überall sonst stehen große Halbliter-Glaskrüge. Auch vor den eher zierlichen, weiblichen Gästen.
Alles passt!
„Nein! Gar nichts passt!“, jagt der eben noch so erfolgreich verdrängte Gedanke wieder durch mein Hirn. In immer wieder neu sich aufbauenden Kaskaden schießen die ungewünschten Assoziationen über das Firmament. Bauen sich aufeinander auf. „Schreib es nieder!“ grollt es aus den dunkelviolett gefärbten Gedankengewitterwolken. „Schreib es auf!“ donnert es und rauscht in den Ohren.
Ein letztes Mal gelingt es mir, den Gedanken zu unterdrücken. Ich studiere die Speisekarte. Eine lange Liste von Fischgerichten gibt es zur Zeit. Karwoche. Aktionswoche. Dazu die Brathähnchen, die ich beim Hereinkommen schon gerochen habe. Deftige Brauhausküche, aber auch leckere Salate. Spaghetti mit Meeresfrüchten. Eine große Auswahl, überraschend für ein so kleines Brauhaus am Rande des Wohngebiets. Angemessene Preise, freundliche Bedienung.
Das Ambiente nett. Die richtige Balance zwischen Gemütlichkeit, Originalität und einer kleinen Portion Kitsch. Keine Hipster-Bar wie in Berlin, sondern solide Bürgerlichkeit. Ein Brauhaus für das Feierabend-, das Nachbarschafts-, das Einfach-nur-mal-so- und das Familien-Bier.
Ich sinne nach, wie ich mein Lob formuliere, ohne zu übertreiben…
Arrgh! Ächz!
… solide, bürgerlich. Keine weite Anreise wert, aber wenn man in der Nähe ist…
Gnnngh! Meine Kiefer verkrampfen…
… dann lohnt es sich, hier einzukehren, sich an den Tisch neben dem kupfernen…
Ohhhh! Da ist es wieder. Das Böse! Der böse Gedanke. Nein…
… Sudkessel zu setzen, ein oder zwei oder drei Biere zu bestellen, eine Kleinig- oder Großigkeit zu essen…
… doch! Schreib es! Schreib es! Schreib es!!!
… und einfach zu entspannen. Vielleicht auch beim jahreszeitlich angemessen angebotenen…
Jetzt!!! Jetzt!!! Jetzt!!! Die Kräfte verlassen mich, mein Widerstand schwindet…
… Starkbier, das ich heute leider nicht probieren konnte, da ich noch fahren musste.
Ich winde mich, Schweiß tritt auf die Stirn, und wie ein gewaltiger Schlag, einem Vulkanausbruch gleich, das Wort fährt hernieder, krachend schlägt es ein und steht vor mir auf dem Bildschirm. Verzweiflung, ich wollte es nicht! Es hat mich übermannt. Da! Da steht es vor mir:
Deppen-Apostroph!!!
Ah, ich wollte es nicht schreiben, wollte das Brauhaus nicht provozieren, nein!
s’Fröschl!
Wo kommt er her, der böse Gedanke, der böse Apostroph, was hat er hier zu suchen. Verschwinde, Du verdirbst mir den Biergenuss, den schönen Abend, meinen gelungenen Text! Weg, nur weg! Fort von hier!
Ach, es ist zu spät.
s’Fröschl.
s’Fröschl! Mit Apostroph!!!
s’Fröschl.
Noch lange kreisen die Gedanken um den Apostroph. Nur langsam entlädt sich die Spannung. Es war doch eigentlich so schön am Kupferkessel zu sitzen, das Bier zu trinken, das eigene Spiegelbild am Sudkessel zu sehen.
Warum nur musste der Apostroph alles verderben? Warum sich so in den Vordergrund drängen? Warum diesen Bericht verhunzen? Ach, ich weiß es nicht.
Kalter Schweiß steht auf der Stirn, ich klappe den Laptop zusammen.
Nächstes Mal, lieber Leser, wieder ruhiger. Ohne Dissonanz. Wieder um reine Objektivität bemüht.
Sorry, liebe Leute vom Ersten Jockgrimer Brauhaus. Es war doch eigentlich so schön bei Euch! Im s’Fröschl.
Wie es im Flyer des Brauhauses heißt: Willkommen im s’Fröschl.
Das Erste Jockgrimer Brauhaus ist täglich geöffnet; montags und sonnabends ab 18:00 Uhr, dienstags bis freitags ab 17:00 Uhr uns sonntags schon ab 11:30 Uhr. Durch seine Lage im Wohngebiet findet man eigentlich immer einen Parkplatz in einer der Straßen rundherum, aber besser ist natürlich die Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der Bahnhof der Regionalbahn ist direkt nebenan, vielleicht zwei Minuten zu Fuß entfernt.
Erstes Jockgrimer Brauhaus s’Fröschl
Buchstraße 5
76 751 Jockgrim
Rheinland Pfalz
Deutschland
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