Gnadenlos leitet mich mein Navigationssystem in einen Hinterhof im Tech Packing District in San Blas-Canillejas, irgendwo nordostwärts des Zentrums von Madrid. Einen Hügel bin ich schon hinaufgelaufen, und jetzt stehe ich vor etwas, was mich an den Lieferanteneingang eines Supermarkts oder eines kleinen Logistikzentrums erinnert. Ein paar Autos stehen vor den großen Hallentoren, dazwischen große Paletten mit abgepackten Säcken, was immer da auch drin sein mag. Ich gehe die Zufahrt entlang und rechne damit, jeden Moment von einem großen Sattelschlepper aus dem Weg gehupt oder von Gabelstaplerfahrer Klaus aufgespießt zu werden.
Aber nichts dergleichen.
Stattdessen taucht am Ende der Zufahrt rechter Hand eine Reklame auf: Mad Brewing – Fábrica de Cerveza. Passenderweise direkt über einem Müllcontainer, dessen orangefarbener Deckel mehr auffällt, als das schwarzweiße Logo. Viel abschreckender kann man den ersten Eindruck einer Brauerei nicht gestalten, denke ich mir, gehe noch ein paar Schritte weiter und staune:
Hinter dem Müllcontainer ein Biergarten. Also, nicht das, was ein eingefleischter Bayer unter einem Biergarten verstehen würde, aber ein paar Tisch- und Bankgruppen, an denen man draußen sitzen und sein Bier genießen kann. Mit stählernen Pfosten gesichert, auf dass kein Lieferant den Biertrinkern über die Füße fahren möge.
Durch zwei große Fenster kann man in den Innenraum sehen: Ein gemütlicher, mit hellem Holz eingerichteter Schankraum, und sofort ist die Bronx-Hinterhof-Atmosphäre vergessen. Ich gehe hinein, an einer Vitrine mit Bierflaschen vorbei und setze mich an die Theke. Zehn schlichte Zapfhähne, montiert auf einer ebenso schlichten Metallplatte. Meine Augen kreisen durch den Raum – ich vermisse die obligatorische schwarze Kreidetafel. Das Bierangebot ist geheim, oder wie?
Der Barmann schiebt mir ein Klemmbrett zu, die braunen Papierbögen wellen sich schon ein wenig. Aha, die Bierliste. Und, auf den folgenden Seiten auch ein paar leckere Speisen. Snacks, aber auch größere Portionen. Ich suche mir ein eher leichtes Bier aus, um den ersten Durst zu stillen: Das San Blas Estilo Kölsch. Ich bin gespannt, was die hier unter einem Kölsch verstehen. Doch halt: Da sehe ich neben den Zapfhähnen an der Bar eine Art Cricket-Schläger liegen, mit vier runden Löchern. Ein Halter für Tasting-Flights?
„Klar, kein Problem“, nickt mir der Barmann zu, schnappt sich einen dieser Cricket-Schläger und zapft mir statt eines großen Kölschglases vier kleine Probiergläser. In der Getränkekarte auf dem Klemmbrett war von dieser Möglichkeit nicht die Rede – gut, dass ich die Holzprügel noch rechtzeitig gesehen habe!
Das San Blas Estillo Kölsch entpuppt sich als überraschend leichtes, aber süffiges helles Bier. 3,8% Alkohol nur, und mit zwei großen Schlucken ist es verschwunden, der Straßenstaub aus meinem Mund gespült. Ein erfrischender Auftakt.
Es folgt ein Honigbier, das Biere de Miel aus der Mad Series. Mit 7,0% Alkohol nicht zum raschen Kippen, sondern für den langsameren Genuss. Feine Honignoten sind zu spüren, es ist süßlich, ein wenig klebrig, aber gut trinkbar. Lecker!
Nicht ganz so überzeugend, weil nicht so hopfig und blumig wie erwartet, das Mad City Pale Ale mit 5,1%. Könnte auch ein x-beliebiges Helles sein. Zisch, und weg. Besser dann wieder das Double IPA namens Doble Mad. 9,2% Alkohol sind eine Ansage. Ein kräftiger Körper, eine dicke, fette Hopfennase, kernige Bittere auf der Zunge. Ein wuchtiges Bier. Schön, aber nix für große Schlucke, nix für heiße Sommertage.
Ich mache eine kleine Pause und sehe mich ein wenig um. Auf der Theke stehen überdimensionierte Reagenzgläser, gefüllt mit Hopfendolden, Weizenmalz, Röstmalz, Pilsner Malz. Daneben eine Holztafel, die stolz von der unlängst errungenen Silbermedaille in der Barcelona Beer Challenge 2017 zeugt. Das Camarillo Oatmeal IPA hat in der Kategorie American IPA den zweiten Platz belegt. Ich werde neugierig und freue mich auf den zweiten Flight, beziehungsweise das zweite Cricket, wie es hier heißt.
Während der Barmann die nächsten vier Probiergläser zapft, blicke ich durch die große Panoramascheibe neben der Bar in das Sudhaus. Eine große Lagerhalle, die Gär- und Lagertanks stehen und liegen rechts aufgereiht, ganz am anderen Ende der Halle sieht man das Sudwerk, leere Europaletten stapeln sich mitten im Raum. Keine Schaubrauerei, sondern eine zum Arbeiten.
Eher was für’s Auge ist die Kombination aus Tasting-Cricket und einer Wurstplatte, die jetzt vor mir steht. Die ohnehin schon fetten Wurstscheiben sind noch zusätzlich mit etwas Öl beträufelt und glänzen mich appetitlich an. Und so ungesund… Aber lecker!
Besonders in Kombination mit den Bieren, die jetzt folgen: Ich beginne mit dem Trigo Hoppy Wheat IPA, ein stark gehopftes Weizenbier mit 5,2%. Ich bin kein Weißbierfan, aber dieses hier schmeckt mir. Knackige Hopfennoten, die Spritzigkeit des Weizens – fein! Und ich mache gleich weiter mit dem Camarillo Oatmeal IPA, dem Preisträger vom Barcelona-Wettbewerb. Wirklich gut. Das Hafermehl gibt dem India Pale Ale eine zarte, samtige Note, rundet das knackige Bier ein bisschen ab, macht es sanft und weich. Den Alkohol (6,1%) spürt man gar nicht. Ein zu Recht ausgezeichnetes Bier.
Das Happy Barry Brown Ale erweist sich als graue Maus unter den angebotenen Bieren. 5,5% Alkohol, ein bisschen Säure (Milchsäure?), ein großer Schluck. Weg. War da was? Vielleicht tue ich dem Bier auch unrecht, vielleicht passte es einfach nicht zur deftigen Wurst.
Objektiv aber eine Enttäuschung das letzte Bier aus diesem Flight, das Scotch Ale mit dem Namen Ginger Scotch. Statt frisch fruchtiger Ingwerschärfe eine eher adstringierende Note. Kartonartig oxidiert scheuert das Bier über die Zunge, lässt sie rau werden, und nur zäh rinnt es den Rachen hinab. Kratzig, unausgewogen. Das einzig angenehme ist die leichte alkoholische Wärme, die nach dem Schluck bleibt – die 8,8% sind deutlich spürbar.
Ein Bier fehlt noch, und zum Glück erweist es sich als die Krönung des Abends! Ein Kollaborationssud ist es, zusammen mit der Brauerei Laugar aus Gordexola ist es entstanden. Ein Imperial Stout mit 10,3%, das Doble Coffee Brain. Schöne Kaffee- und Röstnoten schon in der Nase. Dann auf der Zunge eine knackige, röstige Bittere, rund und aromatisch, durch die weiche Konsistenz des Biers ganz sanft verpackt. Der Sandpapiereindruck vom Ginger Scotch verschwindet, die Kombination aus röstiger Bittere, Kaffee und malziger Restsüße überzeugt vollkommen. Das perfekte Dessert nach acht Bierproben und einer großen Wurstplatte. Glück gehabt – dies war der bestmögliche Abschluss!
Einen Moment bleibe ich noch sitzen, beobachte die Köche durch die offenen Fenster, wie sie an den Pfannen und Töpfen hantieren und appetitlich aussehende Speisen bereiten. Ich lausche dem Sprachgewirr, neben Spanisch höre ich auch Englisch, Französisch und irgendetwas Slawisches. Trotz der Abgelegenheit, versteckt in der Lieferantenzufahrt, sind hier viele internationale Gäste. Bunt, wie die hier produzierten Biere, ist die Atmosphäre.
Es hat sich gelohnt, hierher zu kommen!
Der Taproom der Mad Brewing – Fábrica de Cerveza ist sonntags bis dienstags von 13:00 bis 17:00 Uhr geöffnet, also zur spanisch-typischen Mittagszeit, an den anderen Tagen von 13:00 Uhr bis Mitternacht; kein Ruhetag. Zu erreichen ist die Brauerei problemlos per Auto, wenn man das Bier in Flaschen kaufen und mitnehmen möchte; wenn man vor Ort trinken möchte, ist die U-Bahn die bessere Option. Die Station Ciudad Lineal der Linie 5 ist etwa sieben bis acht Minuten Fußweg entfernt.
Mad Brewing – Fábrica de Cerveza
Calle Julián Camarillo, 19
28037 Madrid
Spanien
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