„Der Bräu ist nett, aber die Gaststätte, die von jemand anderem betrieben wird, ist etwas, nun ja, merkwürdig“, hieß es im Vorfeld, aber wir ließen uns dadurch nicht davon abbringen, im Vorüberfahren im Amberger Ortsteil Raigering einzukehren und uns ein wenig zu stärken, und so stehen wir am späten Nachmittag vor dem Brauereigasthof Sterk, der Königlich-Bayerischen XXL Gaststätte.
Von der Brauerei selbst sieht man nicht viel. Sie ist im hinteren Gebäude untergebracht, zu dem es zumindest heute, am Sonntag, keinen Zugang gibt, und große Panoramafenster, hinter denen man kupferglänzende Sudpfannen erblicken könnte, gibt es auch nicht. Man sieht über das geschlossene Tor hinweg lediglich den Raigeringer Getränkefachmarkt.
Auf der anderen Seite ein Biergarten. Rund ein Dutzend Biergarnituren stehen hier im Kies, beschattet von saftig grünen Bäumen, aber im leichten Nieselregen heute natürlich verwaist.
Aber wenigstens der Brauereigasthof ist geöffnet, und jetzt gehen wir da auch hinein.
Gähnende Leere. Wir sind wohl etwas früh dran…
Der freundliche Kellner bringt uns die Speisekarte, und uns gehen die Augen über: Der Spruch von der Königlich-Bayerischen XXL-Gaststätte draußen auf dem Wirtshausschild ist in der Tat Programm: Es gibt große Schnitzel (200 g), XL-Schnitzel (500 g) und XXL-Schnitzel (1000 g). Oder einen Panduren XXL-Spieß, ein Schaschlik mit 1000 g Rohgewicht. Oder einen XXL-Burger mit 28 cm Durchmesser…
Vor unserem inneren Auge füllt sich die Gaststätte mit übergewichtigen, gedrungenen Oberpfälzern, die ihre Fettberge nur noch mit Mühe auf die Stühle wuchten können, um sich dann durch die XL- und XXL-Portionen zu kämpfen. Was müssen das für Menschen sein…
Wir beschränken uns auf normale Portionsgrößen, auf Schnitzel mit Pommes oder Spargel und Bratkartoffeln, und sind mit 200 g Fleischgewicht immer noch gut bedient. Dazu gibt es zunächst ein großes Glas Pandurenblut, ein rötliches Märzenbier mit 5,6% Alkohol. Kräftig malzig, ein bisschen fruchtig, schön süffig. Ein leckeres Bier und ein guter Begleiter zum ebenso leckeren Essen.
Die Gaststätte fühlt sich langsam, nach und nach kommen die Gäste zum Abendessen, und unser Albtraum wird wahr: Es kommt, wie befürchtet. Eine Gestalt nach der anderen wuchtet ihren unförmigen Körper auf Stühle und Bänke und verlangt nach großen Schnitzeln, mindestens in XL-Format. Lediglich ein alter Herr, der sich an den Stammtisch setzt, macht eine Ausnahme. Schlank ist er, und er beschränkt sich auf ein einziges Bier, das er in aller Seelenruhe genießt.
Während an den anderen Tischen jetzt schwer gearbeitet und der Beweis erbracht wird, dass man beim Essen gewaltig ins Schwitzen kommen kann, bestelle ich mir ein Raigeringer Zoigl. Überrascht bin ich, als es in der Flasche serviert wird – eine kleine 0,33-l-Longneck-Flasche. Ein wenig untypisch für ein Zoigl. Da hätte ich hier, in der Oberpfalz, etwas Anderes erwartet. Aber es schmeckt. Leicht trüb nur, eine feine Restsüße, schön trinkbar. Süffig sogar, und damit erweist sich die Drittelliter-Flasche als eigentlich zu klein. So ein Bier gehört in eine Halbliterflasche, finde ich.
Gespannt beobachten meine holde Ehefrau und ich das Geschehen an den Nachbartischen. Egal ob Frau oder Mann, egal ob etwas älter oder noch recht jung – es geht offensichtlich nicht um den Genuss, sondern eher darum, in möglichst kurzer Zeit möglichst große Portionen herunter zu schlingen. Große Brocken werden abgesäbelt, kaum gekaut, rasch verschlungen. Und irgendwie scheint es noch nicht einmal Freude zu bereiten. Wir sehen nur verkniffene Gesichter, hören keine Unterhaltung, nur das Klappern des Bestecks.
Nicht wirklich einladend, aber auch nicht so abschreckend, dass ich nicht erst noch ein drittes Bier probieren würde, bevor wir gehen – das Raigeringer Hell. Ein einfaches Bier, wie es hier in der Region gerne getrunken wird. Mild-malzig, nur schwach gehopft, fast schon ein wenig süßlich. Goldgelb und klar, die Spundung nicht allzu hoch. Ein Bier für große Schlucke. Eigentlich das Richtige, um XL-Schnitzel herunter zu spülen, aber an den Nachbartischen hält man sich lieber an Cola. Cola Light, um genau zu sein.
Wir haben unsere eigenen Portionen mittlerweile gegessen, die Biere haben gut geschmeckt, und es ist Zeit, wieder aufzubrechen. Und gerade, als wir die Gaststube verlassen wollen, winkt uns der alte Herr vom Stammtisch zu sich rüber. „Heh, wo kommt’s Ihr denn her?“, fragt er, „Ihr seid’s nicht von hier, oder?“ – „Nein“, antworten wir wahrheitsgemäß und müssen uns ob seiner Reaktion auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen: „Naa, Ihr seid’s nicht von hier. Ihr seid’s so nett und freundlich…“
Die kleine Privatbrauerei Sterk gibt es seit 1723. Ihre Biere sind solide und süffig; keine Experimente. Der Getränkefachmarkt direkt an der Brauerei ist montags und mittwochs bis freitags von 09:00 bis 17:00 Uhr, sonnabends von 09:00 bis 13:00 Uhr geöffnet. Dienstags und sonntags ist zu. Der Brauereigasthof direkt neben der Brauerei, der sich auf XL- und XXL-Gerichte spezialisiert hat, ist mittwochs bis sonntags von 17:00 bis 23:00 Uhr geöffnet; sonntags zusätzlich auch über die Mittagszeit. Montags und dienstags ist zu. Zu erreichen sind Brauerei, Getränkemarkt und Gasthof am günstigsten mit dem eigenen Auto, man kann auf dem Brauereiparkplatz gebührenfrei parken. Es geht aber auch mit dem öffentlichen Nahverkehr, der Bus 414 hält an der Haltestelle Raigering Dorfplatz, nur zwei Minuten entfernt.
Privatbrauerei Sterk
Hofmark 2
92224 Amberg
Bayern
Deutschland
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