Der Bergbauernwirt
Sonderdorf
DEU

Es gibt Regionen in Deutschland, von denen weiß man, dass es dahinter eigentlich nicht mehr weitergeht, dass danach nicht mehr viel kommt. Das Oberallgäu, beispielsweise. Spätestens, wenn kurz nach Sonthofen die vierspurige Straße endet, dann wird deutlich, dass ab jetzt das ganze Tal nur noch eine große Sackgasse ist. Links Berge, rechts Berge und geradeaus auch nur noch Berge. Ein paar winzige Dörfchen sind noch dazwischen gestreut, aber sonst gibt es nur noch Natur.

Und in einem dieser kleinen Dörfchen, Sonderdorf, gibt es – Psst! Geheimtipp! – eine winzige Brauerei. So winzig, wie kaum eine andere in Deutschland. Und so abgelegen, wie kaum eine andere in Deutschland: Der Bergbauernwirt.

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Der Bergbauernwirt

Nach ein wenig Rumkurverei, weil die vom Navi vorgeschlagene Route wegen einer Baustelle gesperrt ist, erreichen wir am 18. Mai 2017 den Gasthof, bestaunen kurz die große, eindrucksvolle Fassade und den traumhaften Blick ins Tal und betreten die Gaststube. Urige Gemütlichkeit empfängt uns. Wir suchen uns ein kuscheliges Plätzchen, machen es uns bequem, atmen tief durch und denken: Hier haben wir mal eine Brauerei entdeckt, die kennt außer uns noch keiner.

Zufrieden greifen wir zur Karte: „Genussbierkarte“, steht groß darauf geschrieben, und sie enthält eine lange Liste von Craft- und Gourmetbieren aus Süddeutschland und Österreich, „Bier für den besonderen Genuss“. Eine wunderbare Liste von spannenden Bieren – allein deshalb hätte sich der Ausflug nach Sonderdorf schon gelohnt. Aber wir sind nicht hier, um Biere anderer Brauereien zu trinken, sondern wollen das Bier vor Ort testen, das hier gebraute.

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die Genussbierkarte

Die freundlichen jungen Bedienungen klären uns auf: Zwei Sorten aus eigener Produktion gebe es derzeit, und zwar das Schwarze Seele, ein obergäriges Dunkles, und ein helles Sonderbier, das der Chef speziell zu einem Wettbewerb, der BestBrew Challenge 2017, gebraut habe, den Sud II. Beide aus 0,33-l-Flaschen. Zum einen sei die Brauerei zu klein, um Fässer zu füllen, und zum anderen würde das Bier sowieso in der Flasche gären, gerade so, wie beim Hobbybrauer.

Das macht mich natürlich neugierig. Die Brauerei zu klein? Das möchte ich sehen!

„Kein Problem“, heißt es, und nachdem ich meine ersten Schlucke des BestBrew Challenge 2017 Sud II genommen habe, gehe ich in den Nachbarraum, wo die Brauerei steht. An der Stirnseite ein langgestrecktes Regal und darauf … zwei Hobbybrauanlagen vom Typ Braueule. Zwei Mal 25 l. Mehr nicht. „Hobbybrauen plus“, gewissermaßen. Rechts neben den beiden schmucken Kupferanlagen ein großer Kühlschrank, umfunktioniert zum Gärkeller: Zwei Stahlwannen fassen die Würze, und hinter der Glasscheibe kann man die Gärung beobachten. Wenn gerade was gärt…

Heute offensichtlich nicht, leider …

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das Sudhaus – zwei Braueulen

Ich muss wohl etwas enttäuscht gekuckt haben, denn neben mir taucht der Brauer, Wolfang Semet, auf und erklärt mir, dass der nächste Brautag erst morgen wieder sei, denn dann fände die BestBrew Challenge 2017 statt. Ein Wettbewerb, organisiert von der Mälzerei Best. Weltweit werden gleichzeitig am 19. Mai 2017 Biere mit Best-Malz gebraut, und wer Lust hat, kann das dabei entstandene Bier zur Verkostung an die Mälzerei schicken und so am Wettbewerb teilnehmen.

Ich nicke. Von der BestBrew Challenge habe ich schon gehört und kann mitreden. Und so kommen wir ins Gespräch. Neben einer „individuellen Brauereiführung“, also einer detaillierten Betrachtung beider Braueulen, einer etwas älteren und einer brandneuen (der Unterschied ist an der elektronischen Steuerung gut sichtbar), bekomme ich noch einen witzigen Zeitrafferfilm gezeigt, der die Gärung in einer der Wannen auf ein paar Sekunden reduziert, und am Schluss hat Wolfgang noch einen Tipp. Zwei Testsude habe er für die Challenge gemacht, und wenn ich ausdrücklich danach fragen würde, dann bekäme ich auch noch eine der allerletzten Flaschen aus dem Sud I serviert.

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BestBrew Challenge – Sud I

Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen, und kaum bin ich zurück am Tisch bei meiner holden Ehefrau, frage ich nach einer Flasche BestBrew Challenge Sud I. Es schmeckt deutlich anders als der Sud II – es waren also in der Tat zwei völlig unterschiedliche Rezepte, die Wolfgang für die Challenge getestet hat. „Also ich würde den Sud II nehmen“, besserwissere ich, „der ist ausgewogener, balancierter.“

Wolfgang nickt und stimmt mir zu. „Die Entscheidung ist tatsächlich für das zweite Rezept gefallen, und morgen geht es dann los“, sagt er.

Die Schwarze Seele muss ich natürlich auch noch probieren, und im Nu steht auch davon eine kleine Bügelflasche vor mir auf dem Tisch. Ich schenke mir ein Glas ein, mache das obligatorische Dokumentationsfoto und nehme einen Schluck. „Diese Brauerei hier“, sage ich zu meiner holden Ehefrau, „die kennt bestimmt noch keiner aus meinem Bekanntenkreis. So winzig, so weit weg. Ein echter Geheimtipp! Das gibt bestimmt große Augen, wenn ich davon erzähle und darüber schreibe.“

Ich habe den Satz noch nicht zu Ende gesprochen als die Tür aufgeht. Herein kommt, ich verschlucke mich fast an meiner Schwarzen Seele, Detlef Rick. Biersommelier und Bierfanatiker aus Köln. „Was machst Du denn hier?“ staunen wir uns im Chor an, „Ausgerechnet hier, am gefühlten Ende der Welt?“ So klein und so weit weg kann eine Brauerei also gar nicht sein, als dass man nicht doch noch völlig unverhofft auf alte Weggefährten trifft. Fernab von jedem Bierfestival, von jedem offiziellen Ereignis, aber offensichtlich der gleichen Kalibrierung der Spürnase geschuldet…

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Volker & Detlef

Klar, dass nun aus der kurzen Einkehr eine längere wird, und dass die Fachsimpelei zwischen Wolfgang, Detlef und mir ebenfalls länger wird. Wir schwätzen und schwätzen, bis irgendwann unsere Ehefrauen dazwischen gehen. Einer – Wolfgang – muss wieder arbeiten, der zweite – Detlef – soll sich endlich zum Essen hinsetzen, und der dritte – ich – muss zurück ins Hotel, morgen ginge es früh raus…

Ein letzter genießerischer Blick mit dem Bierglas in der Hand hinunter ins Tal, über die saftig grünen Wiesen und den gelb leuchtenden Löwenzahn auf die schneebedeckten Berge, die sich strahlendweiß vor dem wolkenlosen, blauen Himmel zeigen. Allgäu-Idylle pur.

Der Bergbauernwirt ist täglich ab 10:00 Uhr bis 23:30 Uhr durchgehend geöffnet; dienstags und mittwochs erst ab 15:30 Uhr; kein Ruhetag. Zu erreichen ist die Herberge mit eigener Brauerei eigentlich nur mit dem Auto; das Parken vor dem Haus ist gratis. Übernachtungsgäste werden aber auch vom Wirt am Bahnhof in Fischen, wenige Kilometer entfernt, abgeholt.

Nachtrag 4. August 2019: Satte zwei Jahre sind vergangen. Bestes Bergwetter hat uns gelockt, und ein paar Stunden lang sind wir durch die Allgäuer Alpen gewandert, haben schmale und steile Wege bezwungen, wunderbare Talblicke genossen, und irgendwann sind wir dann auch wieder hinabgestiegen. Durstig, natürlich.

Dagegen hat Wolfgang natürlich ein hervorragendes Mittel. Strahlend kredenzt er uns ein Erdbeer-Sommer im strahlenden Sonnenschein. Ein „fruchtiges Bier mit erntefrischen Erdbeeren vergoren“ verrät uns das Etikett. Nur einen Hauch von Röte bringen die Erdbeeren in das ansonsten kräftig gelblich-orange strahlende Bier, aber ein feines Erdbeeraroma begeistert unsere Nasen schon beim Einschenken. Dann der erste Schluck. Eine ganz feine Säure nur, eine angenehme Fruchtigkeit und ein knochentrockener Abgang – ein wunderbares Bier, um sich nach einer langen Wanderung zu erfrischen. Mit 5,6% (mindestens, denn wer weiß, was die Nachgärung in der Flasche noch so alles gebracht hat) allerdings ein wenig zu stark, um als alleiniger Durstlöscher zu dienen.

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Erdbeer-Sommer

Eine zweite vorzügliche Spezialität habe er aber noch zu bieten, freut sich Wolfgang und bringt uns eine Flasche Rosmarin-Ale. Deutlich schwächer im Alkohol, nur 4,2%. „Rosmarin aus der Toskana trifft Hopfen und Malz aus Bayern“ steht auf dem Etikett. Der Rosmarinduft ist betörend. Für einen Moment spüren wir die würzige, nach Heu reichende Allgäuer Bergluft gar nicht mehr, sondern schwelgen in würzigen Kräutern südlicher Länder… Hmm!

Das Rosmarinaroma dominiert das Bier, vom ersten Schnuppern über Zunge und Gaumen bis weit in den Rachen hinein. Vielleicht ist es schon einen Hauch zu intensiv, aber es ist eine schöne und ganz besondere Erfahrung.

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Rosmarin-Ale

Die winzige Ausschlagmenge der beiden Braueulen erlaubt es Wolfgang und Manuela, in ihrem Bergbauernwirt immer wieder neue Biere anzubieten. Spannende Ideen genauso wie neue Interpretationen altbekannter Stile. Und wenn dazu so ein traumhaftes Wetter kommt wie heute, mit einem paradiesischen Blick ins Tal und feiner Eiscreme mit geröstetem Malz, dann sind wir uns sicher: Es lohnt sich immer wieder auf’s Neue, hier einzukehren.

Bilder

Der Bergbauernwirt
Sonderdorf 18
87 538 Bolsterlang
Bayern
Deutschland

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3 Kommentare

  1. Nicht nur eine wunderbare Mini-Brauerei, sondern seit Jahren für uns unser Zufluchtsort für einen entspannten Urlaub mit leckerem Essen und guten Getränken.

    • Wir haben vor, das im nächsten Jahr auch mal auszuprobieren, Michael. Wir sind schon gespannt – bisher kennen wir ja nur die grundsätzlich nette Atmosphäre und das Bier.

      Mit bestem Gruß,

      Volker

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