À la Bécasse
Brüssel
BEL

Wie oft erlebt man als Bierliebhaber die Diskussion mit Otto Normalbiertrinker, wenn man ihm ein hopfenbetontes IPA oder ein schokoladiges Stout vorsetzt. „Das ist ja gar kein richtiges Bier mehr“, heißt es dann, „geh‘ mir weg!“

Ähnliches kann aber auch mit hartgesottenen Biertestern passieren, wenn es um belgische Lambics geht. Diese spontanvergorenen, sauren und fast ungespundeten Biere sind von den modernen Craftbieren geschmacklich genauso weit weg, wie diese vom Fernsehbier und Einheitspils. „Das ist ja gar kein richtiges Bier mehr…“

Nach dem ersten Schreck, also dem ersten Schluck, eröffnet sich aber eine völlig neue Geschmackswelt, und was bietet sich dann eher an, als viele weitere Schrecke und Schlucke in der anheimelnden Atmosphäre einer belgischen Lambic-Bar zu trinken?

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A la Bécasse

Das bereits 1877 gegründete A la Bécasse, Zur Schnepfe, ist eine solche Bar, und obwohl sie nur wenige Schritte vom Grand Place in Brüssel entfernt liegt, ist sie nicht völlig von Touristen überlaufen, noch nicht zum Disneyland der Bierszene geworden.

Die rue de Tabora ist nur eine kleine Gasse, aber selbst in dieser Gasse läuft man schnell an dem unscheinbar schmalen Eingang zur Bécasse vorbei. Zwar ist in den Boden ein Messingornament eingelassen, aber davon wird der Durchlass auch nicht breiter. Zehn Meter zwischen den Häusern durch, und dann ist man in der zweiten Häuserreihe auch schon in der Lambic-Bar.

Zeitloses, einfaches Holzgestühl, nur wenig Dekoration an den Wänden – alles wirkt, als sei es schon immer so. Und in der Tat, sieht man sich die wenigen uralten Photos an der Wand an, die vor vielen Jahrzehnten hier gemacht worden sind, so bestätigt sich der Eindruck. Hier wurde geputzt, aufgeräumt und gelegentlich repariert, aber sonst eigentlich fast nichts verändert.

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Blick in den zeitlos-altmodischen Schankraum

Am 13. September 2015 bringt mit der mit etwas rustikalem Humor ausgestattete Kellner eine Probierpalette der angebotenen vier Fassbiere der Brauerei Timmermans.

Bier eins, das Lambic Doux, ist völlig ohne Rezens, ohne Schaum. Wie ein Glas Apfelmost steht es vor mir, riecht leicht säuerlich, schmeckt leicht säuerlich. Eine kremige Säure, gepaart mit Fruchtnoten und leicht vorbeihuschenden, strengen Aromen, die an Pferdestall, altes Leder oder für einen Moment an die verschwitzten Medizinbälle damals im Schulsport erinnern. Klingt schlimm, ist es aber gar nicht, sondern unterstreicht eigentlich nur die Komplexität dieses Getränks. Dieses, fast will es mir gar nicht über die Lippen kommen, dieses Biers. Denn, ja, es ist ein Bier. Es ist aus Malz gebraut, es ist auch gehopft und mit Hefe vergoren – auch wenn es so gar nichts mit „richtigem“ Bier gemein hat.

Das zweite Glas, das Lambic Blanc, hat den Hauch einer Schaumkrone, eine ganz leichte Rezens. Frische Koriander- und Orangenschalen-Noten in der Nase und auch auf der Zunge. Dazu eine erfrischende, tja, wie übersetzt man jetzt den englischen Begriff crispyness in diesem Kontext, Spritzigkeit, vielleicht? Obwohl, das impliziert eine höhere Rezens. Wörtlich Knusprigkeit passt für ein Bier aber auch nicht. Aber man merkt halt eine gewisse Frische, einen gewissen Biss vom Weizen, der hier verbraut wurde.

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Lambic Blanc

Als drittes das Kriek. Süßlich und fruchtig. Nicht so mein Fall, da habe ich schon bessere Krieks getrunken. Knochentrockene, komplett ausgegorene, die den Gaumen fordern. Dieses hier ist zu zuckrig, zu fruchtig, erinnert zu sehr an ein Biermischgetränk. Obwohl es, im Gegensatz zu manchen furchterregenden Produkten anderer Brauereien, weder mit Kirschsaftkonzentrat noch gar mit künstlichen Aromen oder Süßstoff versehen ist.

Als letztes schließlich das Bourgognes des Flandres, ein dunkles, nur leicht säuerliches Bier, im Holzfass gelagert, und dementsprechend mit holzigen Gerbstoffnoten, einem Wechselspiel zwischen der balsamicoartigen, weichen Säure und den rauen Tanninen aus dem Holz. Wunderbar!

Nach langem Überlegen entscheide ich mich für das Lambic Blanc zum Weitertrinken, bestelle noch einen knackigen und würzigen Brüsseler Käse dazu. Kontraste auf der Zunge. Salzig und ammoniakscharf der Käse, kremig die Zunge belegend, und mit dem ersten Schluck des sauren Lambic spürt man, wie die Geschmackspapillen wieder freigespült werden, die Koriander- und Orangennoten sich breit machen, nur um beim nächsten Bissen wieder der fettigen Textur des Käses weichen zu müssen.

So könnte es ewig weiter gehen, aber irgendwann ist der Käse aufgegessen, der zweite Tonkrug Lambic Blanc geleert, und auch das Bécasse beginnt, sich langsam zu leeren. Das Stimmengewirr der bunten Gästeschar durch alle gesellschaftlichen Schichten und alle Altersklassen wird leiser, man hört noch das eine oder andere Glas klirren, ein kurzes Lachen, und nach und nach kehrt Ruhe ein. Obwohl: Ruhe? Die habe ich auch vorher gefunden. Keine plärrende Musik (Muzak – ach wie ich sie und diesen Begriff hasse!), kein Geschrei von brüllsaufenden Touristen, sondern Fröhlichkeit, Entspannung und (innere) Ruhe!

A la Bécasse ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Es liegt nur wenige Schritte nordwestlich vom Grand Place, ist also am besten zu Fuß zu erreichen, aber auch mit Bus oder Metro ist es natürlich kein Problem. Das Auto hingegen ist definitiv keine Option!

Nachtrag 18. Juni 2018: Fast drei Jahre sind vergangen, und heute ergibt sich die Gelegenheit, zusammen mit drei Arbeitskollegen nach erledigtem Tagwerk hier noch einzukehren. Ich habe sie vorher noch auf Herz und Nieren geprüft: „Seid Ihr bereit für eine wirklich neue Biererfahrung? Jenseits von Veltins und Warsteiner?“ Eifriges Nicken, und ihre Neugier war geradezu körperlich zu spüren.

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Lambic Doux

Und trotz der Ankündigung sehe ich in erstaunte Gesichter, als der Bembel mit dem stillen, völlig ungespundeten Lambic Doux serviert wird. Neugierige, sehr vorsichtige Probeschlucke und dann die schon erwartete Frage: „Bist Du Dir sicher, dass das Bier ist?“ Oh, und wie sicher ich mir bin. Ich erkläre den Hintergrund dieses doch sehr speziellen Bierstils und beobachte, wie sich mit jedem weiteren Schluck die verkniffenen Gesichter entspannen und genussvolle Freude zeigen.

Viel zu lange bleiben wir hier sitzen. Tief entspannt in der ruhigen und von Touristen freien Atmosphäre. Aufmerksam bedient, verwöhnt mit leckeren Käse- und Wurstsorten und verzückt von exzellenten und außergewöhnlichen Produkten belgischer Braukunst. Eigentlich ein ganz großes Geschmackskino. Aber schön wäre es, bliebe es auch weiterhin ein absoluter Geheimtipp, ohne Heerscharen von Ratebeer- und Untappd-Freaks, ohne andere Touristen, ohne Geschrei und Überfüllung.

Also, bitte: Nicht weitersagen, wie schön es hier ist. Ich werde es auch für mich behalten!

Bilder

A la Bécasse
rue de Tabora 11
1000 Brüssel
Belgien

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