Der Lidl unter den Gasthausbrauern? 1988 wurde die erste Gordon Biersch Brauerei eröffnet, und angesichts ihres Erfolgs entstanden immer mehr Filialen. Bis heute über dreißig Stück, über die ganzen Vereinigten Staaten verteilt. So einfach kann Erfolg aussehen.
Die Wirklichkeit ist allerdings etwas komplexer. Dan Gordon und Dean Biersch (ja, die beiden heißen wirklich so, und der Name der Gasthausbrauereikette Gordon Biersch ist mitnichten nur ein Kunstwort, das pseudodeutsch klingen soll…) haben ihre erste Brauerei in der Tat 1988 eröffnet und dann weitere Filialen gegründet, aber dann kam 1999 der große Einschnitt. Die Gasthausbrauereien wurden verkauft, gingen in einer großen Firma, der CraftWorks Restaurants & Breweries, auf, die neben den dreißig Gordon Biersch Brauereien auch andere Gasthausbrauereiketten betreibt (zum Beispiel die ChopHouse & Brewery Kette, deren Filiale in D.C. ich erst gestern besucht habe), und was blieb, ist eine große Brauerei mit Abfüllung in San Jose in Kalifornien, in der unter anderem Bier für die Aldi-Tochter Trader Joe’s gebraut wird.
Hier und heute, am 16. Juni 2017, stehe ich aber nicht in Kalifornien, sondern in Downtown Washington D.C. und blicke auf die hiesige Gasthausbrauerei Gordon Biersch Brewing Company – Washington D.C.
Eine riesige Halle, am linken Ende hinter einer zwei Stockwerke hohen Glaswand ein stählernes Sudwerk mit Gär- und Lagertanks von beachtlichem Ausmaß – manche regionale Brauerei in Deutschland wäre froh, so großes und modernes Equipment zu haben. Am anderen Ende der Halle eine verhältnismäßig kleine Theke, und ich wundere mich, wie man von hier aus all die Biere zapfen kann, die an den Tischen getrunken werden.
Wir haben für heute keinen großen Hunger mehr, waren ja eben schon im City Taphouse of DC essen, also gehen wir direkt an die Theke und setzen uns dort hin. Nur auf ein kleines, schnelles Bier.
Der Bartender (warum heißt es eigentlich in einer Gasthausbrauerei nicht Biertender?) bietet ein Schauspiel selten anzutreffender Effizienz. Mit einer Hand balanciert er die leeren Gläser in Richtung Zapfhahn, mit der anderen zieht er im Vorübergehen die Kreditkarte eines Gastes durch den Leseschlitz an der Kasse. Während er mit rechts weiterzapft, sortiert er mit links ein paar Zitronenschalen für einen Drink. Es ist faszinierend, ihm zuzusehen, wie er konsequent mit der linken Hand irgendwelchen sekundären Hilfstätigkeiten erledigt und mit der rechten Bier zapft, Drinks mixt, serviert oder was auch immer. Stets voll konzentriert, immer aufmerksam, und auch meine dazwischengerufene Frage, ob es denn auch einen Tasting-Flight der hier angebotenen Biere gebe, überhört er nicht, sondern – im Gegenteil – erläutert uns noch die Konditionen dafür und welche Biere dazugehören.
Moment mal … Tasting-Flight? Meine holde Ehefrau schaut mich kritisch an. „Wir wollten doch nur noch auf ein einziges letztes Bier? Du hattest doch eben schon genug!“ Ach, sie hat ja recht, aber wie oft kommen wir denn hierher? Und wenn es hier schon so einen Flight mit sechs Sorten gibt, wie kann ich den denn auslassen? Ich versuche, ihr vorzurechnen, dass sechs kleine Gläser auch nicht so viel mehr als ein großes seien, gebe es aber schnell wieder auf, als ich merke, dass mir da die Mathematik mit ihrer gnaden- und emotionslosen Korrektheit vielleicht doch nicht wirklich helfen wird…
Aber egal, die Bestellung ist ja schon raus, und für jegliche Intervention durch meine Frau ist es nun eh zu spät.
Kopfschüttelnd lässt sie mich gewähren und bestellt für sich, sich streng an unsere Abmachung haltend, ein einziges Bier, das Marzen. Also eigentlich wohl Märzen, aber mit den Punkten auf den Umlauten, das werden die Amerikaner wohl nie begreifen. Und weiterhin in Munster in der Lüneburger Heide landen, wenn sie doch eigentlich einen Ausflug nach Münster in Westfalen machen wollten…
Marzen also, ein zunächst süffiges, aber nicht beeindruckendes Märzen mit 5,7%. Etwas zu intensiv, das Aroma vom Münchner Malz, und dadurch dann doch überraschend schnell sättigend und ermüdend.
Die sechs kleinen Gläser meines Flight bieten Höhen und Tiefen. Aber bevor ich anfangen kann, zu verkosten, erklärt mir der Bartender erst, dass das Flugblatt mit seinen sechs Feldern, auf denen die Gläser nach Geschmacksrichtungen sortiert abgestellt werden sollten, leider nicht zur derzeitigen Bierauswahl passe. Man habe je zwei Biere für die Kategorien fruity & spicy und hoppy, dafür aber keines für malty und für roasty. Beziehungsweise für roasty habe man schon eines, das hätte ich aber nicht bestellt, denn es gebe ja insgesamt acht hauseigene Biere, und mein Sechser-Flight plus das Bier meiner Ehefrau seien nur sieben. Dass er, während er mir all das und noch viel mehr erklärt, nebenbei drei Drinks gemixt und den Thekennachbarn abkassiert hat, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Der Mann ist ein Multitasking-Genie.
Ich mache mich an die Verkostung. Das Golden Export mit 5,0% ist in Windeseile in der Kehle verschwunden, ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen, das Total Cluster India Pale Ale mit 6,0% ist ebenfalls recht unauffällig. Es folgt das Two Americas Pilsner mit 5,8%, ein schönes und glattes Bier ohne Höhen und Tiefen, aber auch – und das ist bei einem Pilsner eigentlich gar nicht so einfach – ohne Geschmacksfehler. Recht gut gemacht!
Das Belgian Abbey Ale schmeckt trotz nur 6,5% ein wenig zu stark nach Alkohol, fast schon ein wenig spritig, aber das Saison, das nun folgt, versöhnt mich rundum. 6,0% Alkohol und eine spannende Phenolnote. Gerade so viel, dass sie deutlich spürbar ist, aber nicht so stark, dass der raue, kantige Geschmack des Saison ins Apothekenartige wechseln würde. Ich bin hochzufrieden.
Und gleiches gilt für den 7,5%igen Maibock – auch hier bin ich durchaus angetan. Ein weicher, malziger Körper, etwas Restsüße, eine feine Hopfenbittere und sehr süffig. Der Alkohol ist gefährlich gut maskiert – dies ist ein Bier, das man auch aus großen Krügen trinken könnte. Nur, um sich hinterher zu wundern, woher und wie schnell denn dieser Rausch habe kommen können …
Eine breite Bierauswahl mit Höhen und Tiefen also. Eine trotz der Größe der Halle angenehme Atmosphäre und ein ungeheuer effizienter Bartender, der als Herr über die Zapfhähne tatsächlich in der Lage ist, genügend Bier für die vielen, vielen Gäste in der Halle zu zapfen und servieren zu lassen, und der sich gleichzeitig auch noch hervorragend um die Thekensitzer kümmern kann.
Die Gasthausbrauerei Gordon Biersch Brewing Company – Washington D.C. ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 10:00 Uhr; kein Ruhetag. Sie liegt zentral Downtown, mittendrin, zu erreichen in weniger als drei Minuten von der Metro Station Gallery Place / Chinatown Station, bedient von der grünen, der roten und der gelben Linie.
Nachtrag 30. September 2018: Zum heutigen Tag schließt die im Courtyard by Marriott Hotel untergebrachte Filiale der Gordon Biersch Brewing Company ihre Türen. Für immer. Und zwar gemeinsam mit dem Hotel. Wie das lokale Portal Washington City Paper bereits am 24. August 2018 berichtete, werden beide Geschäfte geschlossen, zunächst die Brauerei, einen Monat später dann das Hotel:
„Gordon Biersch will close at 900 F St. NW on Sept. 30 after 17 years. The Courtyard by Marriott hotel it shares an address with will also go kaput, closing its doors about a month later.”
Nach Aussagen der Betreiber wird das Personal innerhalb der Company anderweitig eingesetzt, und der Braubetrieb in der Hauptstadt wird sich auf die Niederlassung Gordon Biersch Navy Yard konzentrieren, wo auch der derzeitige Brauer, Scott Lasater, weiterbeschäftigt werden wird.
Gordon Biersch Brewing Company
900 F Street NW
Washington
DC 20004
USA
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