Grain – Rooftop Beer Garden
Norfolk
USA

Eine mehrstündige Zugfahrt von Washington DC nach Norfolk VA. Ankunft am späten Abend. Der Zug ist zwar auf die Minute pünktlich, aber es bleibt dabei: Es ist bereits später Abend. Ein paar Stationen mit der Straßenbahn noch, zwei Minuten zu Fuß bis zum Hotel, dann einchecken und das Zimmer beziehen. Und der Entschluss: Ausnahmsweise, aber wirklich nur ausnahmsweise, geht es heute Abend nicht mehr auf die Bierpirsch, sondern nur noch auf, ja, ich gebe es zu, auf „irgendein Feierabendbier“. Wenn es sein muss, auch irgendeine Konzernplörre. Ein kleiner Absacker, dann gut schlafen und morgen einen anstrengenden Konferenztag bewältigen.

Also auf zum Grain – Rooftop Beer Garden des Hotels. Rein in den Fahrstuhl, etwas lustlos auf den 5. Stock gedrückt, ausgestiegen. Es empfängt uns laute Musik und – in Konferenzhotels offensichtlich wirklich unvermeidlich – jede Menge Krawattenträger, die auch hier, in der Bar, meinen, ihre Konferenztags am Halsband tragen zu müssen. Wie Karnevalsorden hängen sie ihnen um die Brust, verheddern sich mit den Schlipsen, werden beim Essen in die Soße eingetunkt, aber offensichtlich steigern sie das Selbstwertgefühl dieser Menschen. Anders kann ich mir nicht erklären, warum so viele Konferenzmenschen weltweit an ihren Tags hängen und auch in ihrer Freizeit damit herumlaufen müssen. Puh! Fast schon möchte ich umdrehen und auf das Feierabendbier ganz verzichten, denn diese Sorte von Gesellschaft kenne – und hasse – ich leider zur Genüge.

Doch da fällt mein Blick auf das große Schild: „Grain – Roof Top Beer Garden – 80 Craft Beers on Tap“. Es dauert einen Moment, bis ich schalte, denn zu überraschend kommt diese Information, muss sich erst langsam den Weg in meine Gehirnwindungen bahnen. „80 Craft Beers on Tap“?

Meine holde Ehefrau stößt mir strahlend den Ellenbogen in die Rippen und saust voran; Augenblicke später nur sitzen wir an der Theke und blättern in der umfangreichen Bierkarte. Nun ja, achtzig Biere sind es vielleicht nicht ganz – die dreispaltige Kreidetafel an der Wand neben der Theke, die theoretisch auf 3 x 27 Zeilen bis zu 81 Biere verkünden könnte, ist nur bis zur Nummer 68 beschriftet, und mittendrin klaffen auch etwa eine Handvoll Lücken. Aber trotzdem: Das sind dann immer noch über sechzig verschiedene Biere vom Fass!

Wir blättern und blättern und können uns, der Müdigkeit nach der langen Reise geschuldet, gar nicht so recht entscheiden. Mir steht der Sinn nach einem Saison, ich habe diesen Bierstil in den letzten Jahren richtig lieb gewonnen und entdecke das Salad Days der Pale Fire Brewing Company in Virginia, ein Bier hier aus der Region. Es entpuppt sich als Glücksgriff. Kräftige, aber nicht ermüdende oder dominierende phenolische Aromen, ein trotz 7,0% Alkohol erfrischend leichter Körper – genau das richtige Bier für den Abschluss des Tages. Prima!

Weniger Glück hat meine holde Ehefrau. Obwohl – was heißt weniger Glück? Das von ihr gewünschte Hefeweizen einer amerikanischen Brauerei ist leider aus, stattdessen empfiehlt ihr der Bartender die Brooklyner Weisse. Ohne großes Nachdenken wird der Vorschlag akzeptiert, und wenige Sekunden später steht das Bier vor ihr. Schneider Weisse, vermerkt der Barmann stolz. Wie bitte? Schneider? Etwa die Hopfen-Weiße aus Kelheim? Ein erster Schluck, und der Verdacht scheint sich zu bestätigen. Ein kernig gehopfter Weizenbock, also vermutlich das TAP 5?

Ja und nein. Die Brooklyner Weisse ist das Bier, das entstanden ist, als Garret Oliver von der Brooklyn Brewery und Hans-Peter Drexler vom Weissen Bräuhaus Schneider jeweils auf dem Sudwerk des anderen ein Bier brauten. In Kelheim entstand so ein Sud von Garret Oliver, in Brooklyn einer von Hans-Peter Drexler. Und so ähneln sich das TAP 5 und die Brooklyner Weisse zwar, sind aber nicht identisch.

Der langen Rede kurzer Sinn: Vor uns steht die Brooklyner Weisse, protzt mit 8,2% Alkohol, kräftigem Hopfenaroma und einer knackigen Bittere. Ein tolles Bier!

„Wenn auch im falschen Glas serviert…“, mäkelt der Besserwisser in mir, als er die Pilstulpe betrachtet. Ein richtiges Weißbierglas ist das nicht…

Wir nehmen die Hotelbar etwas näher in Augenschein, und ich muss zugeben: Im Gegensatz zu fast allen Hotelbars dieser Welt würde ich hier jederzeit wieder hergehen. Nicht nur die wirklich tolle Bierauswahl (in der Getränkekarte auch fein säuberlich sortiert nach lokalen Bierspezialitäten aus der Region und Bieren aus aller Welt), auch die Lage oben auf einem Seitenflügel des Hilton-Hotels mit malerischem Blick in Richtung Hafen überzeugt. Dazu ein Barmann, der sein Geschäft versteht und weiß, was er zapft beziehungsweise anbietet. Und seine Kollegin, die auf der anderen Seite der Bar bedient, vermutlich auch.

Einzig die Preise sind heftig: Umgerechnet etwas über 20 EUR für die beiden Biere. Schluck!

Die Bar Grain – Rooftop Beer Garden des Hotels Hilton Norfolk The Main ist täglich ab 15:00 Uhr geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 12:00 Uhr; kein Ruhetag. Sie befindet sich auf dem Dach des Seitenflügels des Hotels und bietet einen schönen Blick über die Stadt und den Hafen. Zu erreichen ist sie mit dem Auto (hoteleigene, kostenpflichtige Tiefgarage) oder mit der Straßenbahn, der Light Rail „The Tide“, Haltestelle MacArthur Square, etwa 200 m entfernt.

Bilder

Grain – Rooftop Beer Garden
100 East Main Street
Norfolk
Virginia 23510
USA

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