Heartland, die Zwote.
Gerade eben noch haben wir im Erdgeschoss des Empire State Building gesessen, in dem Brauhaus, was wohl das Mutterhaus der Heartland-Kette zu sein scheint, in der Heartland Brewery and Rotisserie. Haben gut gegessen und getrunken und danach einen kleinen Spaziergang gemacht. Haben uns hierhin und dorthin treiben lassen und dabei nur ganz grob immer die Richtung auf das Port Authority Bus Terminal beibehalten, weil dort in der Nähe auch unser Hotel steht.
Und jetzt stehen wir vor einem Schriftzug, der uns bekannt vorkommt. Rot leuchtende Neonröhren bewerben die Heartland Brewery, den Ausschank Heartland Brewery Midtown West.
Natürlich können wir nicht widerstehen, und nur Augenblicke später sitzen wir an der Bar und beäugen die Bierauswahl. Es passt ja ganz hervorragend: Zwar sind hier grundsätzlich die gleichen Biere am Hahn wie vor einer Stunde in der anderen Lokation, aber daneben scheint es entweder noch ein paar individuelle Sachen zu geben, oder wir haben die entsprechenden Sorten eben übersehen gehabt. Jedenfalls ist die Auswahl schnell getroffen, und genauso schnell stehen zwei Biergläser vor uns. Und zwar ausnahmsweise mal normal große Gläser, keine winzigen Probiergläser. Wir haben nämlich Durst. Durst vom scharf gewürzten Hühnchen vorhin, und Durst von der schwülen New Yorker Sommerhitze.
Bier Nummer 1, das Not Tonight Honey Porter mit 6,5% ist kräftig, röstig, leicht süßlich, aber von Honig ist nicht viel zu spüren. Außer der leichten Restsüße ist da nichts. Oder es ist sehr wenig da, und es wird vom Röstgeschmack überdeckt. Oder, auch das ist natürlich möglich, der Name des Porters, Not Tonight Honey, hat gar nichts mit den Bierzutaten zu tun, sondern soll einfach nur originell klingen. Wäre irgendwie auch denkbar.
Bier Nummer 2, das Summertime Apricot Ale, zeigt deutlich mehr Übereinstimmung zwischen Name und Geschmack. Ein ganz leicht säuerlich-erfrischendes Bier, mit feinen Aprikosen-Aromen, fruchtig, spritzig und mit normalen 5,0% Alkohol auch gut trinkbar. Die perfekte Erfrischung, um den New Yorker Straßenstaub von der Zunge zu spülen.
Während wir so an der Bar sitzen, sehen wir uns ein wenig um. Es ist nicht ungemütlich. Die große Bar dominiert den Schankraum, es gibt noch ein paar Tische mit hohen Stühlen und einige normale Tische am Fenster zum Sitzen und Speisen. Über der Bar zwei Reihen von Holzfass-Deckeln übereinander. Sie verleihen dem Raum etwas Rustikal-Gemütliches und laden zum Lesen und Buchstabieren ein. Wir finden das Cornhusker Lager, das Summertime Apricot Ale und andere Biere, die hier ausgeschenkt werden, aber auch eher ungewöhnlich klingende Biernamen, wie zum Beispiel den Mother’s Milk Maibock. Hoffentlich nur wegen der Alliteration so originell benannt, und nicht wegen irgendwelcher geschmacklicher Assoziationen oder gar der Zutaten wegen. Das hätte mit Maibock, ja, vermutlich nicht einmal mit Biergenuss überhaupt noch etwas zu tun…
Eigentlich könnte es hier sehr gemütlich sein, die Einrichtung ist sehr ansprechend, das junge Mädchen hinter der Theke außerordentlich freundlich, fleißig und – Achtung, Chauvinismus! – auch sehr attraktiv. Aber irgendwie herrscht Hektik. Geschäftsleute, Männer wie Frauen, stürzen herein, schieben sich an die Bar, bestellen ungeduldig ein Bier, und nachdem es serviert ist, lenzen sie es innerhalb von zwei Minuten weg, stürzen es geradezu herunter, sehen ungeduldig zu, wie die Bardame die Kreditkarte in das Lesegerät steckt, und hetzen schon wieder weiter.
Echter Biergenuss kann das nicht sein, und um einfach nur den Durst nach einem langen Arbeitstag rasch zu stillen, sind die hier angebotenen Biere mit Masse nicht geeignet. Und eigentlich auch zu teuer. – Warum dann? Um dazugehören zu können? Den anderen Krawattniks am nächsten Morgen sagen zu können „Hört her, ich war gestern auch in einer Brauerei“?
Wir versuchen uns von dieser gehetzten Unruhe nicht anstecken zu lassen und genießen unsere Biere, schütteln höchstens ab und an den Kopf ob dieser Unvernunft, die – jedenfalls für unsere heutigen Beobachtungen – darin gipfelt, dass ein Geschäftsmann und eine Geschäftsfrau hereinstürzen, der Mann bestellt für die Frau ein Bier mit, beide legen ein paar Papiere auf die Theke, sprechen schnell zwei Absätze durch, und dann müssen sie weiter. Der Mann trinkt nebenbei in mehreren Zügen sein Bier aus, die Frau nippt nur einmal, verzieht unzufrieden ihr Gesicht. Als beide aufbrechen (wollen? … müssen?), möchte die Frau ihr Bier stehen lassen. Der Mann bemerkt es, deutet mit dem Finger darauf, und ohne weitere Worte setzt die Frau das Glas pflichtbewusst an ihre Lippen, trinkt es widerwillig in zwei Zügen aus und folgt dem Mann.
So vieles könnte man in dieses kurze Schauspiel der beiden hineininterpretieren, so viele Möglichkeiten gibt es, so viele Begründungen, warum die beiden so agieren, wie sie agieren. Aber keine der Begründungen gefällt mir. Bei keiner Version kommt der Mann mit seinem chauvinistischen Verhalten gut weg, bei nur sehr wenigen die Frau. Gar nicht schön. Eher armselig.
Draußen ist es mittlerweile dämmrig geworden, und uns zieht es weiter, hin zum Lichtermeer des Times Square. An der silbrig glänzenden Fassade des New York Times Building gehen wir entlang, die rote Leuchttschrift Heartland Brewery verschwindet langsam hinter uns.
Der Ausschank (es ist vermutlich nur ein Ausschank, den ein Sudwerk haben wir hier nicht entdeckt) Heartland Brewery Midtown West ist täglich ab 11:30 Uhr geöffnet; sonntags erst ab 12:00 Uhr. Kein Ruhetag. Er befindet sich direkt gegenüber des New York Times Building, in der Frontseite des Port Authority Bus Terminals. Dementsprechend ist er auch perfekt an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden. Knapp 50 verschiedene Buslinien halten hier am PABT, Nah- und Fernverkehr, und die blaue Linie der Metro mit den Strecken A, C und E verteilt die Passagiere über die ganze Stadt.
Heartland Brewery Midtown West
625 8th Avenue
New York
NY 10018
USA
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