Ob das jetzt in Ordnung ist, was ich mache? Ich mein‘, ich habe noch nie ein Orca-Bier getrunken, und jetzt sitze ich trotzdem hier am Schreibtisch, sammele meine Gedanken und schreibe über die Brauerei Orca Brau in Nürnberg.
Na klar, vor Ort war ich am 26. September 2017 schon, habe in alle Kessel, Pfannen und Töpfe reingekuckt, habe mir alle Winkel der großen Halle genau angesehen und mich mit Felix vom Endt, dem Maître de Brasserie, lange unterhalten. Aber trocken, ohne etwas zu zwickeln, zu zapfen oder zu nassauern.
Felix‘ Schuld war das nicht – es war eher meinen eigenen Plänen geschuldet. Einige Stunden schon hinter dem Steuer, viele weitere Reisestunden noch vor mir, und dazwischen ein Zeitfenster von maximal zwei Stunden. Dabei dann ein Bier zu trinken wäre wahrhaftig nicht gut gewesen, hätte mich am frühen Vormittag aus der Spur geworfen und den Rest des Tages zu völlig verlorener Zeit gemacht.
Immerhin: Ich habe ein halbes Dutzend Flaschen gekauft. Nicht geschnorrt oder stibitzt, sondern ehrlich gekauft und bezahlt. Ich habe sie sorgfältig im Bierkühlschrank in der Garage eingelagert, und da stehen sie bis heute. Denn anstelle sich gemütlich hinzusetzen und die Schätzchen in Ruhe zu verkosten, habe ich mich gleich im Anschluss auf die nächste Reise gemacht, schreibe also gewissermaßen aus der Ferne und hoffe, dass die Flaschen nach meiner Rückkehr noch wohlbehalten auf mich warten.
Ein kleines Zeitfenster also, zwei Stunden Aufenthalt in Nürnberg, bevor es mit dem Flieger weitergeht. Eine kurze Textnachricht über den Messenger – „Felix, bist Du um 10:00 Uhr da?“ – und eine ebenso kurze Antwort: „Yep. Kannst kommen.“
Nur ein paar Minuten sind’s von der Autobahn bis ins kleine Industriegebiet im Nürnberger Norden, zweimal abgebogen, und dann stehe ich vor dem Hallentor. Ich gehe hindurch und mache große Augen: Die Halle ist riesig. Platz für Zuwachs. Vorne ein paar Tische und Bänke, ein Kühlschrank und eine Kühlkammer, rechter Hand, deutlich durch den versiegelten Bodenbelag vom Rest der Halle zu unterscheiden, der Produktionsbereich mit Pfannen, Kesseln und Gärtanks, linker Hand ein Sammelsurium von unterschiedlich großen Holzfässern, und ganz hinten, inmitten von Malzsäcken, Schrotmühle, Leergut und sonstigem Kram, sehe ich Felix.
Felix vom Endt, im richtigen Leben mal in der Sozialarbeit tätig gewesen, dann nebenbei als Bierblogger bekannt geworden. Mit seinem Blog lieblingsbier.de provozierte er gerne mal, schrieb nicht immer nur gefälliges und schönfärberisches Zeug, sondern legte auch gerne mal den Finger in die Wunde oder sich mit den Großen der Branche an. Irgendwann arbeitete er dann bei Sylvia Kopp in deren Berlin Beer Academy mit, und dann tauchte er immer öfter bei Johannes Heidenpeter in dessen Brauerei in der Markthalle Neun in Berlin auf. Lernte das Braugeschäft, war immer da, wenn Johannes Hilfe brauchte, und dann…
Ja, dann, als Johannes seine Brauerei erweiterte und sich ein neues Sudwerk zulegte, war Felix‘ Chance da. Und es ging alles blitzschnell:
„Ich wollte immer schon in den Fränkischen Raum“, erzählt Felix, „und als ich dann die Gelegenheit hatte, Johannes‘ altes Sudwerk zu fairen Bedingungen zu übernehmen, und es gleichzeitig auch fast sofort geklappt hat, hier in Nürnbergs Norden eine große Halle anzumieten, ging es ruckzuck.“
Er strahlt: „Die zuständigen Behörden hier sind prima. Die wissen genau, was notwendig ist, sind hilfsbereit, und wenn man von Anfang an mit offenen Karten spielt, dann sagen sie einem auch genau, was möglich ist und was nicht. Dann zeigen sie sich flexibel und wenden die Vorschriften mit gesundem Menschenverstand an. Die helfen ganz konstruktiv bei der Suche nach Lösungen mit. Klasse!“
Felix kommt ins Schwärmen. „Kuck hier: Der eigentliche Produktionsbereich ist vom Rest der Halle nicht komplett abgetrennt, aber durch den andersfarbigen, versiegelten Fußboden weiß jeder sofort, wo gebraut werden darf, und wo nicht. Und der versiegelte Bereich ist so groß, da besteht auch kein Risiko, dass ich den mal ‚aus Versehen‘ verlasse. Es ist also alles deutlich genug getrennt, so dass ich keine zusätzlichen Wände oder Türen brauche.“
Als die Kontrolleure vom Amt da waren, wurde nichts mehr beanstandet, alles sei im Vorfeld abgesprochen gewesen, erzählt Felix weiter. Da sei das mit dem Beginn der Produktion ganz schnell gegangen. „Weißt Du, die Anlage selbst war mir ja vertraut; ich habe beim Johannes ja oft genug schon darauf gearbeitet gehabt. Da ging es also nur noch darum, die Abläufe an die etwas andere Geometrie und die ergänzenden Installationen rundherum anzupassen. Und seitdem läuft’s!“
Felix zeigt mir die Lagertanks. Ein paar davon haben eine Mantelkühlung, er ist also darauf eingestellt, auch untergärig zu brauen. „Und da drüben, das hast Du bestimmt schon gesehen, stehen die Holzfässer.“ Felix deutet zur anderen Seite der Halle. „Da kann ich Sauerbiere oder ähnliche Stile im Holzfass lagern. Das sind alles unterschiedliche Fässer, auch aus verschiedenen Quellen, da muss ich jetzt ein wenig experimentieren und schauen, wie die Biere sich darin entwickeln. Das ist wahnsinnig spannend!“
Wir laufen zu den Holzfässern rüber. Ich klopfe mal hier auf dem Fass rum, rüttele mal dort. Plötzlich lockert sich ein Fassreifen und rutscht ab. Mir rutscht das Herz in die Hose. „Nee, nee, keine Sorge“, lacht Felix, „An diesem Fass muss eh noch gearbeitet werden. Da ist auch kein Bier drin – das ist gar nicht dicht!“
„Aber kuck mal hier“, fährt er fort und zeigt auf das Fass daneben. „Hier hat der Büttner Fasern zwischen die Dauben geklemmt, damit wirklich alles dicht ist. Wenn das gewässert wird, quellen die Dauben auf und die kleinen Fugen werden richtig dicht, das klemmt alles mit Druck zu.“
Ich merke schon, Felix hat sich auch um viele Details Gedanken gemacht, und es wird spannend sein, zu verfolgen, wie seine holzfassgereiften Biere schmecken werden, wie sie sich entwickeln werden.
Vorerst hat er aber noch genug mit seinen „normalen“ Bieren zu tun.
Aber was heißt bei Felix schon „normal“… Mich packt wieder die Neugier. „Du braust hier in Bayern, und benutzt jede Menge Zutaten, die über das sogenannte Reinheitsgebot hinausgehen“, stelle ich fest. „Was sagen die Behörden denn dazu?“
„Auch da sind die Ämter hier sehr konstruktiv.“ Felix gibt sich betont gelassen. „Schau mal hier“, sagt er und kramt ein paar Etiketten hervor. „Auflage ist, dass ich bei den Bieren mit ungewöhnlichen Zutaten jeden Anschein vermeiden muss, dass es sich um Bier im herkömmlichen Sinne handeln würde. Also, keine Sudkessel auf die Etiketten, nicht vom Brauen sprechen, sondern höchstens von ‚alkoholhaltigem Erfrischungsgetränk auf Malzbasis‘ als einem ‚Lebensmittel eigener Art‘“
Er hält mir ein Etikett vom boomshakalaka Bier unter die Nase (ich darf es ja Bier nennen, die Freiheit nehme ich mir). Gebraut ist es mit Habenero-Pulver und frischen Himbeeren, also jenseits der überkommenen Regelung des vorläufigen Biergesetzes, das der Deutsche Brauerbund immer so gerne als angebliches „Reinheits“-Gebot bezeichnet. Und tatsächlich, groß und deutlich sind die Formulierungen auf dem Etikett zu sehen. Ein Lebensmittel eigener Art. Ich muss grinsen, und als ich drei Zeilen weiterlese, sogar laut lachen: „ACHTUNG: KEIN BIER!“ steht ausdrücklich unter der Zutatenliste.
Der Amtsschimmel wiehert entspannt, und die Reaktionäre des Brauerbundes wenden sich, zufrieden ihre Wampen streichelnd, wieder ihren Pfründen zu, pflegen ihr Oligopol und fahren fort, den Verbraucher für dummm zu halten. Dummm mit drei „m“. Für so dummm, dass er nicht in der Lage sei, ein Bier mit originellen Zutaten von einem Bier ohne originelle Zutaten zu unterscheiden. Weil, lesen scheint er nämlich nicht zu können, der Verbraucher, so, wie ihn die bayerischen Biermagnaten im Sinne haben.
Felix erzählt noch viel. Von seinen langen Arbeitstagen. Davon, wie ihn die Familie unterstützt und ihm den Rücken freihält. Vom Spaß, den es ihm bereitet, mit seinem kleinen Kombi quer durch die Republik zu fahren und seine Biere auf Bierfestivals oder bei Tap-Takeovers zu präsentieren, die Einweg-Kunststofffässer, die PETainer, selber auszuliefern. Davon, wie schön es sei, sein eigenes Bier plötzlich irgendwo in einem Getränkemarkt zu sehen und selber manchmal gar nicht so ganz genau zu wissen, wie es denn dorthin gekommen ist. „Zum Glück gibt es ja mittlerweile ein paar gute Distributoren in Deutschland, die genau wissen, wie sie ein Bier aus einer Kleinstbrauerei platzieren können“, freut er sich.
„Wie soll’s weitergehen?“ Meine Neugier kennt keine Grenzen, und ein paar Minuten habe ich noch.
„Na, Rezeptideen habe ich noch genug. Ein paar Standardrezepte braue ich jetzt regelmäßig, entwickle die Rezepte nur ganz behutsam weiter. Das ist gewissermaßen die Grundlast, die ich brauche, um finanziell solide über die Runden zu kommen. Die neuen und experimentellen Biere gibt es parallel dazu immer wieder. Dann kommen bald die Experimente mit den fassgereiften Bieren. Und dann, tja, wenn alles gut läuft, dann will ich auch ganz langsam weiter wachsen. Aber wirklich langsam, nichts überstürzen. Die Halle ist groß genug, die bietet noch viele, viele Möglichkeiten.“ Felix weiß, was er will und wie er es erreichen kann.
„Eine letzte Frage noch, Felix, dann muss ich weiter. Woher kommt der Name Orca Brau?“
„Du weißt doch, ich habe einige Zeit in Vancouver gelebt, und irgendwie sollte der Brauereiname einen Bezug auf diese Zeit enthalten. Darum der Orca, der schwarzweiße Wal, den ich dort so oft beobachten konnte. Und dann ‚Brau‘, ohne ‚ä‘, sondern mit ‚a‘. ‚Bräu‘ hätte mir zu altmodisch geklungen, zu rückwärtsgewandt. Das hätte nicht zu meinen experimentellen Bieren gepasst. Deswegen also ‚Orca Brau‘, nicht ‚Orca Bräu‘.“
Aha. Neugier gestillt. Den Durst hingegen nicht. Aus gutem Grund – siehe oben. Schnell werfe ich noch einen Blick in den kleinen Kühlraum, während Felix mir ein Sixpack zum Mitnehmen zusammenstellt. Vorräte sind genug da. „Ist alles schon verkauft“, ruft er über die Schulter. „Muss ich nur noch ausliefern.“
„Also eigentlich habe ich gar kein Bier für Dich da, muss erst wieder was abfüllen“, fügt er im Scherz noch hinzu, bevor er mir dann doch das Sixpack rüberschiebt und mich noch bis zum Auto begleitet.
Alles klar, Felix, viel Glück und Erfolg also. Und irgendwann in den nächsten Tagen bin ich wohl auch mal wieder daheim und werde die Biere verkosten können. Ich freu‘ mich drauf!
Die kleine Handwerksbrauerei Orca Brau hat keine festen Öffnungszeiten, aber einen Rampenverkauf jeden Donnerstag von 16:00 bis 19:00 Uhr. Einen regelmäßig betriebenen Ausschank gibt es noch nicht, aber es gibt Planungen. Verkostungen vor Ort gibt es nach Ankündigung im Internet. Zu erreichen ist die Brauerei von der Autobahn A3 oder A73 jeweils in wenigen Minuten; mit dem Linienbus geht’s aber auch: Linie 178 oder 179, Haltestelle Bislohe Nordring, und dann etwa zwei bis drei Minuten zu Fuß.
Nachtrag 15. Oktober 2017: Verkostung der ersten Flasche – fun days wheat ale – vic secret & mandarina bavaria. 5,6% Alkohol. Leider stark überspundet, das Glas füllt sich zunächst ausschließlich mit Schaum, trotz vorsichtigstem Einschenken. Danach aber angenehme und fruchtige Hopfenaromen, Orange, Mandarinenschalen, etwas Aprikose. Ein spritziger und erfrischender Schluck. Im Abgang eine nur kurz nachklingende Bittere. Eigentlich ein schönes Bier, wäre es etwas ruhiger, etwas weniger rezent.
Nachtrag 20. Oktober 2017: Das wanderlust pale ale, gebraut mit Citra, Amarillo und Mosaic und mit 5,4% Alkohol überzeugt mit schönen Fruchtaromen und einer ausgeprägten Spritzigkeit. Ein sehr schönes Sommerbier – vielleicht jetzt, im Herbst, nicht mehr ganz so angebracht, aber prima!
Nachtrag 29. Oktober 2017: Das BROKANTIE saison hallertauer blanc mit 6,3% weist kräftige, robuste Hefenoten auf, die den Hallertauer Blanc ein wenig zu sehr in die Schranken verweisen – er kommt gar nicht so richtig zur Geltung. Ein schönes Bier, aber ein weniger exotischer Hopfen hätte es angesichts des dominierenden Hefecharakters vielleicht auch getan.
Nachtrag 31. Oktober 2017: boomshakalaka – smoked | raspberries | habanero, 5,6%. Es gab mal Zeiten, in denen ich für ein paar Jahre nicht ganz ohne Erfolg im Bereich Projektentwicklung und -management dilettiert habe. Dort hätte man dieses Bier „Machbarkeitsstudie“ genannt. Ausprobieren, was geht. Und feststellen: Ziemlich viel. Eine wilde Kombination, aber durch den recht dezenten Einsatz trotzdem noch genießbar. Fruchtige Aromen, eine dezente Rauchnote, eine kräftige, aber nicht alles verbrennende Schärfe im Schluck. Ein schönes Degustationsbier. Nichts für den großen Durst, denn der geht wegen der Schärfe nicht weg, sondern wird immer schlimmer. Dazu eine Dose „Wasabi Coated Green Peas“ aus Korea als Knuspersnack. Genial. Aber bloß keinen Gedanken an morgen verschwenden. Boomshakalaka. Rosettenbrennen garantiert.
orca brau
Am Steinacher Kreuz 24
90 427 Nürnberg
Bayern
Deutschland
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