Verdammt, eigentlich habe ich gar keine Zeit mehr. Es war alles so schön geplant – eine Fahrt von Brünn in Südmähren bis Frankfurt am Main, ohne großen Zeitdruck, und dann, an der Abfahrt Schlüsselfeld, ein kurzer Abstecher von der A3. Nur wenige hundert Meter. Ein Besuch in der Braumanufaktur Hertl, vielleicht ein kurzer Klönschnack, vor allem aber: Biereinkauf bei David.
David Hertl, ein Unikum unter den deutschen Brauern. Ein wahrer Tausendsassa. Ständig unter Volldampf, ständig mit neuen Ideen. Seinerzeit war er der jüngste Braumeister Deutschlands; mittlerweile ist die Zeit darüber hinweggegangen, wir alle werden älter. Alt ist er zwar noch lange nicht, aber eben nicht mehr der jüngste von allen. Vielleicht ist er noch der wildeste, der unruhigste, der aufrührerischste. Insbesondere seine Gurkengose spaltet die Welt der Biertrinker in zwei unversöhnliche Gruppen – in die, die sie hassen, und die, die sie lieben. Die stockkonservativen deutschen Brauerbünde hassen sie, passt sie doch nicht in die schöne, heile Einheitswelt des sogenannten „Reinheitsgebots“. Gurken! Der deutsche Bierdimpfl könnte ja vielleicht Schaden nehmen an diesem urgesunden, kalorienarmen klassischen Gemüse. Und so wurde David Hertl gezwungen, dieses Bier in Tschechien zu brauen und nach Deutschland zu re-importieren. Danke, lieber Brauerbund, für diesen Bürokratie-Scheiß und wirtschaftlichen Unfug! Es ist zum Kotzen! Aber Hauptsache ABInBev geht es mit seinen Münchner Bierfabriken gut!
Ich selber habe sie noch gar nicht trinken können, die Gurkengose – egal, wo ich hinkam, gab es sie gerade nicht mehr oder noch nicht oder gleich gar nicht. Und so soll es heute endlich sein: Heute will ich mir vor Ort eine Flasche dieses polarisierenden Biers kaufen und es dann später in Ruhe verkosten.
Aber ach, dichtes Schneetreiben schon in Jihlava / Iglau wirft meinen ganzen Zeitplan über Bord. Im Schritttempo geht es durch die böhmischen Berge, Kilometer um Kilometer. Ruhig und gleichmäßig wühlt sich der kleine Diesel durch den Neuschnee; zum Glück habe ich nagelneue Winterreifen aufgezogen und lasse so manchen leichtsinnig sommerbereiften Zeitgenossen am Standstreifen zurück.
Erst weit auf deutscher Seite wird es langsam besser, die Straße wieder frei. Jetzt rollt es wieder zügig, aber gute zwei Stunden habe ich schon verloren. Ein Besuch in Thüngfeld ist eigentlich nicht mehr drin.
Kurz vor Erreichen der Abfahrt Schlüsselfeld meldet sich die Tankuhr mit stetem, gelbem Blinken. Ich fahre ab, tanke, und dann ist der Entschluss schnell gefasst: Auf diese dreihundert Meter kommt es auch nicht mehr an. Augenblicke später rolle ich auf den Hof der Braumanufaktur Hertl.
Ein großes Wohnhaus, über und über mit bunter Reklame verziert. Der Innenhof steht mit Gerätschaften voll; alle Türen und Tore stehen offen, aber kein Mensch ist zu sehen. Vorsichtig betrete ich eine der Scheunen und sehe Berge von Kram. Kisten, Kartons, Werkzeug, Flaschen – ein auf den ersten Blick unbeschreibliches Durcheinander, auf den zweiten Blick ein Paradies für Bierliebhaber und Sammler. Ganz hinten aus der Ecke höre ich leises Klappern. „Hallo? Irgendjemand hier?“
Das Klappern erstirbt, und um die Ecke biegt Eddi, David Hertls Azubi. Dick unter einer Wollmütze verborgen, nur die Nasenspitze scheint herauszukucken. Freundlich stellt er mir eine Wunderkiste zusammen, also von jedem der hier gebrauten Biere eine Flasche. Fast zehn verschiedene kommen zusammen, darunter auch die Gurkengose. Prima, bald werde ich mir also ein eigenes Bild von diesem Wunderbier machen und zukünftig mitreden können!
Viel Zeit habe ich nicht, Eddi vermutlich auch nicht, aber für einen kurzen Blick in das Sudhaus reicht die Zeit zum Glück noch. Im Nachbarraum, winzig in eine kleine Ecke gequetscht, steht sie – die kleinste Brauerei Frankens. Selbst konstruiert. Gerade mal anderthalb Hektoliter pro Sud entstehen hier. Kleine Tanks, kleine Kessel, ein selbstgeschweißter Läuterbottich. Eddi greift in diesen Läuterbottich, holt den Läuterboden heraus und lacht: „Kuck mal, alles selbst gebohrt!“ Und in der Tat. Keine gelaserten Schlitze oder Spalte eines professionellen, aber sündhaft teuren Läuterbodens, sondern eine einfache Metallplatte mit hunderten, ach was, tausenden kleinen Löchern. Ein bisschen ungleichmäßig sind sie verteilt, man erkennt die Handarbeit. Jedes einzelne geduldig gebohrt, anschließend alles entgratet. Es muss eine gewaltige Arbeit gewesen sein.
Auf der anderen Seite des Raums der Flaschenfüller. Sechs Flaschen können hier parallel von Hand gefüllt werden. Auch nicht gerade eine großtechnische Lösung.
Nachdenklich nehme ich eine der Bierflaschen in die Hand. Wie oft diese eine Flasche während des Produktionsprozesses wohl angefasst worden ist? Wieviel Handarbeit vorher schon im Brauprozess und noch mehr in der Konstruktion der Brauerei steckte? Hier, bei den Hertls, wird wirklich noch echtes HANDwerk betrieben, das Bier mit eigenen Händen produziert.
Die Zeit läuft mir davon, und Eddi muss vermutlich auch wieder arbeiten. Ich verabschiede mich, trete vor die Tür, und in dem Moment fährt David vor. Großes Hallo, freundliche Begrüßung und – vor allem! – eine herzliche Gratulation zum gerade gestern bestandenen IHK-Koblenz-Sommelier. David ist nun nicht nur Braumeister und Diplom-Biersommelier, sondern hat die klassische (Wein-) Sommelierausbildung nun auch erfolgreich abgeschlossen. Prima, dann werden in Zukunft wohl noch viel mehr spannende Geschmäcker in den Hertl-Bieren zu finden sein.
Mittlerweile steht die ganze Hertl-Familie samt Azubi auf dem Hof – es hilft aber nichts, ich muss los.
Ein Blitzbesuch leider nur, ein schneller, gut betreuter Biereinkauf und ein flüchtiger Blick ins Sudhaus, und schon hat die A3 mich wieder.
Die Braumanufaktur Hertl wurde 2013 gegründet und im Schweinestall des elterlichen Hofs eingerichtet. Neben David Hertl und seinen Azubis selbst ist die ganze Familie mit eingespannt. Bierverkauf ab Hof ist täglich zwischen 10:00 und 20:00 Uhr, sonnabends nur bis 14:00 Uhr möglich. Sonntags ist zu. Die Anfahrt ist problemlos: Von der Autobahnabfahrt Schlüsselfeld sind es drei Minuten bis auf den Hof. Neben Bieren bietet Hertl auch ein umfassendes Angebot an Brau- und Bierseminaren sowie Geschenkgutscheine an, die auch im Online-Shop erworben werden können.
Braumanufaktur Hertl
Thüngfeld 61
96 132 Schlüsselfeld
Bayern
Deutschland
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