Der Gozsdu Udvar, ein Ensemble aus einem halben Dutzend Bürgerhäusern mitten im ehemaligen jüdischen Viertel Budapests, die jetzt einen zusammenhängenden Gebäudekomplex zwischen der Kiraly und der Dob Straße bilden, hat sich zu einem Touristen- und Partyzentrum der Stadt entwickelt. Restaurants, Kneipen, Karaoke-Bars – eine bunte Reklame reiht sich an die andere, und den meisten Touristen fällt es schwer, sich dem Sog zu entziehen und nicht sofort irgendwo einzukehren. Und doch lohnt es sich, zunächst tapfer zu bleiben und nicht in die erste oder erstbeste Bar abzutauchen, sondern sich einen Überblick zu verschaffen und dann mit Bedacht auszuwählen. Denn nur dann findet man, etwas am Rand des Innenhofes, direkt an der Holló Straße, die Craftbier-Bar Léhűtő Kézműves Söröző, die angenehmerweise auf einen lauthals rufenden oder die Menschen direkt ansprechenden Reinschnacker verzichtet.
Durch die mit Bierstil-Namen dekorierten Scheiben kann man von außen schon in den Schankraum blicken, sieht das vorwiegend junge Publikum im violetten Schein der Beleuchtung an einfachen Holztischen sitzen und ahnt mehr, als dass man es wirklich sehen kann, die große Auswahl an Bieren.
Ich öffne die Tür und gehe langsam die Treppenstufen hinunter in die Kellerbar. Jetzt sehe ich die Theke deutlicher, insbesondere die dahinter hängende schwarze Tafel, die insgesamt sieben Fassbiere verspricht. Rechts daneben stehen zwei innenbeleuchtete Kühlschränke und offerieren, sorgfältig sortiert, noch bestimmt fünfzig verschiedene Flaschenbiere.
Es dauert einen kleinen Moment, bis sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben – die Léhűtő Kézműves Söröző ist nur recht spärlich beleuchtet. Dann aber studiere ich die Bierliste und entscheide mich für ein Saison Wit der ungarischen Brauerei Horizont Sörök aus Miskolc. Ich bekomme das Bier in einem einfachen Becherglas, einer robusten und recht gedrungenen Stange, einem Düsseldorfer Altbierglas nicht unähnlich.
Aber das Bier schmeckt gut. Ich rieche die leicht phenolischen, etwas wilden Aromen einer typischen Saisonhefe, die sich mit leicht fruchtigen Noten paaren, die vielleicht vom Hopfen oder vom mit verbrauten Weizen stammen, wer weiß. Auf der Zunge ist das Bier schlank, dennoch würzig, und erfrischend. Es gäbe wohl ein gutes Sommerbier ab – bei den Temperaturen heute, deutlich unter dem Nullpunkt, ist es eher unpassend. Trotzdem aber ein gutes Bier!
Ich blicke mich ein wenig in der Bar um. Die üblichen Versatzstücke sind in die Dekoration integriert. Hier eine BrewDog-Reklame, dort ein paar Bierkartons, dazwischen leere PET-Fässer. Die Fenster, die in über Augenhöhe hinaus auf die Straße gehen, sind mit dem Schriftzug Léhűtő dekoriert, darunter jeweils ein Bierstil-Name mit einem mehr oder weniger sinnigen Spruch dazu. Die Stirnwand der Bar, direkt neben der Theke, ist von oben bis unten sorgfältig mit Bierstilen beschrieben – breite, rote Kreidestriche auf schwarzem Untergrund. Und die Theke selbst ist beklebt mit mittelgroßen Bierplakaten. Eine bunte Mischung.
Die Luft ist, obwohl die Bar noch gar nicht ganz voll ist, schon zum Schneiden dick – das eiskalte Wetter draußen lädt allerdings auch nicht gerade zum Lüften ein. Jeder ist froh, sich hier beim Bier ein wenig aufwärmen zu können.
Rasch ist mein Glas geleert, und ich studiere die Bierliste erneut. Ein einfaches Pils möchte ich jetzt nicht, und mir steht der Sinn auch nicht nach einem Hammer wie dem angebotenen Russian Imperial Stout, das mit 14,0% Alkohol aufwartet. Das Saison Wit habe ich gerade getrunken, und der derzeit für mich völlig unverständlich so hochgehypte Stil New England India Pale Ale, NEIPA, begeistert mich auch nicht gerade. Ich schaue also statt auf die Fassbierliste lieber in den Kühlschrank, und als erstes stechen mir ein paar mit einfachen Nummern beschriftete Flaschen ins Auge.
„Was hat das denn mit den Nummern auf sich?“, frage ich den Barmann. „Das ist die Pilot Series von Horizont Sörök, die sind einfach nur durchnummeriert“, antwortet er mir und erklärt mir zu jeder Nummer den dazugehörigen Stil. Irgendetwas im Schankraum lenkt mich ab, und ich höre nur halb zu. „Und welche Nummer möchtest Du nun haben?“
Ich schrecke aus meinen Gedanken auf. Nun, ich möchte mir nicht alles noch einmal erzählen lassen, und so entscheide ich mich blind und spontan für die Nummer 6, und Sekunden später halte ich Flasche und Glas in der Hand.
Horizont Brewing – Pilot Series #6 steht auf dem Flaschenetikett. Und darunter, recht klein gedruckt: Tripla New England Inspired IPA. Na, klasse, da habe ich mir ja jetzt selbst einen gemacht. Ich wollte nichts Starkes, und lande bei 10,5% Alkohol, und ich wollte kein NEIPA, und ende mit einem New England Inspired IPA, bei dem das Wort „Inspired“ wohl nur die reichliche Abweichung nach oben beim Alkohol entschuldigen soll.
Was soll’s. Jetzt habe ich die Flasche hier stehen, und jetzt wird sie auch getrunken. Mit Begeisterung sogar, denn das Bier gefällt mir außerordentlich gut. Der Alkohol ist genauso wenig spürbar wie die 75 Bittereinheiten, die auf dem Etikett vermerkt sind. In kleinen Schlucken genieße ich und fühle mich wohl dabei. Und erst, als ich später die Treppe zum Ausgang hochsteige, spüre ich ein wenig den Alkohol, wie er mir die Wangen wärmt.
Léhűtő Kézműves Söröző – sieben Zapfhähne und ein paar Dutzend Flaschenbiere, vorwiegend von kleinen, ungarischen Kreativbrauereien, einige aber auch aus dem internationalen Umfeld. Ab sechzehn Uhr ist hier geöffnet, mindestens bis Mitternacht, freitags und sonnabends für die Nachtschwärmer (und dem Partyumfeld des Gozsdu Udvar angepasst) sogar bis vier Uhr morgens. Kein Ruhetag. Zu erreichen ist die Bar mit der Straßenbahn oder U-Bahn, Deák Ferenc Tér, und dann zwei, drei Minuten zu Fuß in Richtung Ost-Nord-Ost, die Kiraly-Straße entlang bis zur Party-Meile, die man gar nicht verfehlen kann.
Léhűtő Kézműves Söröző
Holló utca 12-14. (Gozsdu udvar)
1076 Budapest
Ungarn
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