Von einem verkaterten Beginn des Jahres 2015 konnte überhaupt keine Rede sein – entgegen aller Erwartungen, dass nach einem rauschenden Fest zum Jahreswechsel und zahlreichen guten Vorsätzen, in 2015 vielleicht nicht mehr so viel zu trinken, etwas weniger Teilnehmer zum Lahnsteiner Bierseminar auftauchen würden, zeigte sich der Schalander der Lahnsteiner Brauerei am 8. Januar 2015 bis fast auf den letzten Platz besetzt.
Und es hat sich gelohnt – wohl keiner der Seminarteilnehmer ging am Ende durstig oder unzufrieden nachhause.
Zum Auftakt gab es – wie immer – ein Bier der Lahnsteiner Brauerei, und zwar diesmal das Lahnsteiner Alt. Nichts Exotisches, aber lecker und süffig; nicht zum detaillierten Verkosten, sondern um den ersten Durst zu stillen und die Aufmerksamkeit auf die folgenden Biere zu richten und die Sinne zu schärfen. Parallel dazu ehrte Seminarleiter und Brauerei-Eigner Markus Fohr fünf Seminarteilnehmer für regelmäßige Teilnahme – an fünf bis zu sage und schreibe 35 (von bisher 38!) Seminaren haben sie bereits teilgenommen.
Jetzt war es allerdings an der Zeit, die Reise durch die Geschmäcker der Bierwelt zu beginnen. Als erstes gab es ein Lahnsteiner Obergäriges, das mit Hüll Melon Hopfen gestopft worden war. Das Obergärige bietet sich aufgrund seines milden Charakters hervorragend als Basisbier an, um die Spezifika der modernen Hopfenzüchtungen wunderbar zur Geltung zu bringen. Hüll Melon ist eine deutsche Neuzüchtung, eine Kreuzung aus dem schon länger bekannten Cascade-Hopfen aus den USA und dem Hüll Male, also einer männlichen Hopfenpflanze aus Deutschland. Frische, fruchtige, ein wenig an Ingwer, Koriander, Melonen und Litschis erinnernde Duft- und Geschmacksnoten bringt dieser Hopfen ins Bier, ohne dabei mit einer zu dominanten Bittere den unerfahrenen Biertrinker zu verschrecken. Ein interessantes und fruchtiges Bier, das derzeit unter der Bezeichnung Lahnsteiner Melon in 0,33-l-Flaschen verkauft wird.
Nun machten wir uns auf in Richtung Osten, und Euer Chronist bekam die Möglichkeit, drei polnische Biere aus der Pracownia Piwa in der Nähe von Krakau persönlich vorstellen und präsentieren zu können. Die Bierwerkstatt, das heißt Pracownia Piwa nämlich auf Deutsch, ist von Tomasz Rogaczewski und Marek Bakalarski im Frühjahr 2013 erst gegründet haben. Auf einem 10 hl Sudwerk brauen sie seitdem gute Biere, die ihnen aus den Händen gerissen werden. Der Verkaufsdruck ist so hoch, dass die beiden schon im Herbst 2014 eine große Halle an ihre Brauerei angebaut und dort ein neues 25 hl Sudwerk errichtet haben, um die Nachfrage decken zu können. Die Biere sind „Kultbiere“ und nur schwer zu bekommen; in den meisten Getränkemärkten ist die Anzahl der Flaschen pro Sorte, die man kaufen darf, auf zwei beschränkt, und so konnten sich die Seminarteilnehmer auch von jeder Sorte lediglich fünf Halbliterflaschen teilen.
Alle Biere der Pracownia sind wortspielerisch benannt, und den Auftakt machte das „Huncwot“, das bayerische Schimpfwort „Hundsfott“, das in Krakau durchaus verstanden wird, lautmalerisch wiedergegeben. Ein kräftig gehopftes American India Pale Ale, das mit sage und schreibe fünf verschiedenen Aromahopfen gebraut worden ist: Citra, Amarillo, Centennial, Columbus, Cascade. Mit 14% Stammwürze, 5,9% Alkohol und sage und schreibe 75 Bittereinheiten (ein kräftig gehopftes Pils hat gerade einmal 35 Bittereinheiten) forderte es die Seminarteilnehmer ein wenig heraus, aber nach dem ersten, kleinen Schluck öffnete sich die gesamte Palette an interessanten Aromen.
Die Pracownia ist dafür bekannt, auf den Etiketten ihrer Biere nicht nur die „technischen Daten“ anzugeben, sondern auch Schank- und Speiseempfehlungen zum Bier anzugeben. Im Falle des „Huncwot“ wie folgt: Rindfleischgerichte, Obst, scharfe Gerichte; Schanktemperatur 10° – 14°.
Es folgte das „Hey Now“. Auch hier ein Wortspiel. Als Krakau im dreizehnten Jahrhundert von den Tartaren angegriffen wurde, warnte der Turmbläser die Bevölkerung mit einer auf der Trompete geblasenen Melodie, dem „Hejnał“. Mitten während dieses Warnsignals traf den Bläser jedoch ein Tartarenpfeil in die Brust, und das Lied bracht mittendrin ab. Seitdem wird jeden Tag zur Mittagszeit diese wunderschöne Melodie auf dem Kirchturm neben dem großen Marktplatz gespielt, und wie damals mittendrin abgebrochen. „Hejnał“ spricht sich wie „Hey Now“ aus, was bei englischsprachigen Touristen während der Stadtführung immer zu Begeisterung führt. Das Bier, das sich hinter diesem Namen verbirgt, ist ein American Wheat Beer. Gerade mal 11% Stammwürze und 3,8% Alkohol machen es zu einem wunderbaren Session-Bier, von dem man auch größere Mengen trinken kann. Die reichliche Hopfengabe (28 Bittereinheiten) und der Weizenzusatz, der das Bier spritzig macht, täuschen über den geringen Alkoholgehalt hinweg – es ist eine intensive Geschmackserfahrung, kein Leichtbier. Die Empfehlungen lauten gemäß Etikett: Geflügel, Fisch, Käse; Schanktemperatur 9° – 12°.
Das dritte Bier aus Polen war das „Dwa Smoki“. „Smok“ hat im polnischen eine doppelte Bedeutung. Es heißt entweder Drache oder Schnuller, je nach Kontext. Und da der Drache das Wappentier Krakaus ist, hatten Tomasz und Marke sowieso die Absicht, irgendwann einmal ein Drachenbier zu brauen. Als Tomasz aber am Tag, als er die Rezeptur für das Bier entworfen hat, Vater von Zwillingen geworden ist, war klar: Das Bier wird nicht Drachenbier heißen, sondern „zwei Drachen“ beziehungsweise „zwei Schnuller“! Es ist ein Wit India Pale Ale, also gewissermaßen eine Kombination der beiden vorher vorgestellten Biere. Auf Basis eines Witbier entstanden, aber stark und kräftig gehopft wie ein India Pale Ale. Ein kräftiger Körper, viel Hopfenbittere und ein komplexes Aroma amerikanischer und englischer Hopfensorten mit fruchtigen und harzigen Noten machen dieses Bier als Begleiter zu Fischgerichten, Kuchen oder chinesischem Essen geeignet. Es hat 14% Stammwürze, 5,8% Alkohol und 55 Bittereinheiten und sollte bei 9° – 12° ausgeschenkt werden.
Nach dieser Ausflug nach Polen wendeten wir uns nun gen Westen. In der Nähe von Oostende, in Ichtegem, gibt es die Brauerei Strubbe, und wie das unter Brauereien so üblich ist, wurde ein Geschäft über gebrauchte Kältekompressoren, das die Lahnsteiner Brauerei mit der Brauerei Strubbe abgeschlossen hatte, mit ein paar Kästen Bier besiegelt. Drei Biere aus Belgien standen nun also auf dem Plan.
Das erste spaltete die Seminarteilnehmer in zwei Gruppen: Große Begeisterung und schroffe Ablehnung. Das Ichtegem‘s Grand Cru, das in Eichenfässer gereift war, wies deutliche Noten von einer wilden Hefe, der Brettanomyces, auf, und auch Milchsäurebakterien hatten ganze Arbeit geleistet. Die resultierende Aromakombination von feuchter Pferdedecke und balsamicoartiger Säure hatte mit dem, was sich ein deutscher Genießer unter „Bier“ vorstellt, so wenig zu tun, dass der eine oder andere richtig verschreckt worden ist. Der Geschmack war allerdings nicht ganz so heftig und ungewohnt – neben den Holz- und Ledernoten kam noch eine angenehme Restsüße heraus und versöhnte manchen Kritiker dann doch noch mit diesem 6,5% starken, dunkelroten Bier.
Das Keyte Oostendse Tripel mit 7,7% Alkohol folgte. Herbe, kräuterige Noten im Aroma, ja sogar Wacholder wurde identifiziert, wiesen in eine völlig andere Richtung. Dazu die helle Farbe – der Kontrast zum vorherigen Bier hätte nicht größer sein können. Wäre nicht ein hohes Niveau an Gerbstoffen in diesem Bier gewesen, die die Zunge nach dem Schluck recht kräftig belegt haben, hätte dieses Bier rundum überzeugt. Gebraut worden ist dieses Bier im Jahr 2004 zum ersten Mal, und zwar im Gedenke an die Belagerung Oostendes durch die Spanier von Juli 1601 bis September 1604.
Strubbe wäre keine echte belgische Brauerei, wenn sie nicht auch noch eine noch stärkere Version dieses Bieres anbieten würde, und so konnten wir uns noch an einem Keyte Dobbel-Tripel erfreuen. Obergärig, 9,2% Alkohol, dunkelbernsteinfarben und sehr komplex. Aber in dieser Komplexität keine zu exotischen, keine überfordernden Noten, sondern ein rundes sensorisches Erlebnis. Seit 2007 gibt es dieses Bier, und genauso wie die „leichtere“ Version soll auch dieses Keyte an die Belagerung Oostendes erinnern. Beide Keyte-Rezepturen gehen übrigens auf Rezeptvorschläge der örtlichen Bierliebhaber De Oostendse Bierjutters zurück, die sich zum Ziel gesetzt haben, die belgische Bierkultur in allen ihren Facetten wie Tradition, Lebensstil und Gastronomie zu bewahren und zu fördern.
Zum Abschluss des Seminars ging es aber wieder zurück nach Deutschland, in das heimische Lahnstein. Aber nicht, dass nun etwas weniger Progressives in die Gläser gekommen wäre. Ganz im Gegenteil. Serviert wurde ein Sandelholzbock – ein helles Bockbier, das mehrere Monate auf Sandelholz-Chips im Fass gereift ist. Das würzige Holz hat seine Aromastoffe in das Bier abgegeben, und bereits beim ersten vorsichtigen Schnüffeln am Glas setzte es eine unglaubliche Vielfalt von Eindrücken frei. Frank Michel, Mitarbeiter der Lahnsteiner Brauerei und ausgebildeter Bierbotschafter, kam bei der Vorstellung dieses Bieres ins Schwärmen. Vor lauter Begeisterung bei der Beschreibung der verschiedenen Duftnoten kam bei den Gästen Sorge auf, ob man denn dieses Bier sich nur erriechen dürfe, oder ob am Ende auch ein Schluck die Zunge benetzen könne. Aber auch im Geschmack überzeugte dieser holzgereifte Bock – ein krönender Abschluss für das 38. Lahnsteiner Bierseminar!
Das nächste, also das 39. Bierseminar findet statt am 5. Februar 2015, wie immer im Schalander der Lahnsteiner Brauerei in der Sandgasse in Oberlahnstein.
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