Delirium Tremens – es bedarf schon einer gehörigen Portion schwarzen Humors, um ein Bier so zu nennen. Aber die belgischen Brauer der Familienbrauerei Huyghe haben davon wohl reichlich, denn auch La Guillotine ist ein Biername aus ihrem Portfolio.
Alkoholstarke und wuchtige Biere, für den behutsamen und bewussten Genuss, mit einer Geschmackskomplexität, die ihresgleichen sucht – das sind die Eigenschaften, auf denen der Ruhm des belgischen Biers ruht, und neben den berühmten Trappistenbieren ist es wohl die Marke Delirium, die außerhalb des Landes diesen Ruhm am häufigsten repräsentiert.
Das Markenzeichen des Biers, der rosa Elefant, ist zum Wappentier belgischer Bierkultur geworden, und das Delirium Café in Brüssel setzte einst bei seiner Eröffnung mit rund 2000 verschiedenen Bieren im Angebot eine Wegmarke, die jahrelang als Weltrekord bestand hatte.
Mittlerweile sind Delirium und der rosa Elefant aber mehr als nur ein Bier und ein Bier-Café in Brüssel. Eine ganze Reihe von starken und aromatischen Bieren aus dem Hause Huyghe trägt den Namen Delirium, und mittlerweile dreißig Delirium-Biercafés rund um den Globus sind zu Botschaften der belgischen Bierkultur geworden.
Das am 8. März 2018 in der Kurrentgasse in Wien eröffnete Delirium Cafe Vienna ist das jüngste Kind dieser Gemeinschaft.
Die rosa Elefanten im Logo zeigen uns, dass wir richtig sind, als wir eine Woche nach Eröffnung die Kurrentgasse entlanggehen und auf der Suche nach einem guten Bier sind. Als wir die paar Stufen in die Bar hinuntergehen, begrüßt uns geduckt im Tiefgeschoss des alten Bürgerhauses die Theke mit einer langen Reihe von Zapfhähnen – natürlich ebenfalls mit dem Wappentier des Delirium-Konzepts verziert.
Rechter Hand geht es in den Gastraum. Weit gestreckte Ziegelbögen tragen die Decke, die Rückwand ist verspiegelt, und alle freien Flächen sind mit Bierwerbeplakaten tapeziert. Durch die Spiegelflächen wirkt der Raum deutlich größer und luftiger, als er in Wirklichkeit ist. Die Getränkekarte bietet eine illustre Auswahl an starken und noch stärkeren Bieren der Huyghe-Brauerei, aber auch einen repräsentativen Querschnitt durch den Rest der belgischen Bierkultur, die vor anderthalb Jahren erst in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden ist.
Die Auswahl fällt schwer, insbesondere, da man nicht, wie in einem fränkischen Bierkeller, mal eben achselzuckend sagen kann: „Na gut, dann trinke ich drei oder vier Halbe, lauter unterschiedliche, und dann habe ich mir einen Überblick verschafft!“ Bei Alkoholgehalten von bis zu 10% könnte dieser systematische Ansatz voll in die Hose gehen.
Abhilfe schafft ein Probierbrett: Sechs kleine Gläschen mit jeweils etwas mehr als 100 ml summieren sich zwar auch noch zu einem Dreiviertelliter Starkbier, sind aber über den Abend hinweg gut zu verkraften. Zum Probierbrett werden ein paar Scheiben würziges, dunkles Brot serviert – ideal, um zwischen den Sorten die Zunge und den Gaumen ein wenig zu neutralisieren.
Beginnen wir also unsere Testreihe. Den Anfang macht das Flaggschiff-Bier, also Huyghes Delirium Tremens selbst. Sehr voll, sehr rund, sehr estrig und komplex setzt es für den Abend einen hervorragenden Maßstab. Die 8,5% Alkohol sind wunderbar maskiert, das Bier schmeckt kräftig, aber keinesfalls spritig, spielt ein wenig auf der Zunge und wärmt dezent im Rachen. Fünf Sterne. Wird wohl nur schwer zu toppen sein heute Abend.
Das ähnlich dezent benannte La Guillotine aus derselben Brauerei steht dem ersten Bier kaum nach. Die Komplexität der Aromen ist ein wenig geringer, aber das Bier deswegen eindimensional zu nennen, wäre zu streng. Der Alkohol – ebenfalls 8,5% – ist ein wenig präsenter, das Bier wirkt etwas schärfer.
Eher enttäuschend das Artevelde, ebenfalls von Huyghe. Etwas getreidig schmeckt es, ein wenig malzig, aber simpel, fast schon flach. Ist es der direkte Vergleich zu den beiden hervorragenden Bieren vorher, oder ist dieses Bier mit seinen doch auch immerhin 5,7% einfach nur langweilig?
Es folgt als Nummer 4 das Abdij van Averbode, ein bei Huyghe für die Norbertinerabtei Averbode gebrautes Bier. 7,5% Alkohol, goldgelb, klar. Deutliche Hopfennoten, sehr spritzig. Ein spannendes Bier, allerdings im Kontrast zwischen Hopfenherbe und fruchtigen Estern nicht ganz ausgewogen, es könnte besser ausbalanciert sein.
Und schließlich das letze Bier aus dem Hause Huyghe für heute: Das Delirium Nocturnum. Der dunkle Bruder des Delirium Tremens. Bräunlich-rote Farbe, leicht gelblicher Schaum, kräftige Aromen nach dunklen Früchten, ein Hauch von Lakritz, ein bisschen röstig und schokoladig, 8,0%. Eine hervorragende Kombination zum mit Kümmel und einem Hauch Anis gewürzten dunklen Brot. Sehr schön.
Bleibt noch das letzte Glas – und hier bin ich heute enttäuscht. Viel habe ich mir vom St. Bernardus Tripel erhofft. Immerhin gilt die Brauerei in Watou als eine der besten belgischen Brauereien überhaupt, und insbesondere das St. Bernardus Abt 12 setzt absolute Maßstäbe in der ersten Klasse. Aber merkmwürdig: Das Tripel heute wirkt kratzig, rau und ein wenig dumpf, fast schon, als sei es kräftig oxidiert oder eine Weile überlagert. Wobei… Überlagert kann in einer vor acht Tagen erst eröffneten Bar doch eigentlich gar nicht sein? Ich frage den netten Kellner, der mir aber auch nicht weiterhelfen kann. Ratlos schnuppert er an meinem fast geleerten Glas.
Vielleicht passt dieses Bier einfach nur nicht in den Reigen der anderen fünf? Oder es passt nicht zum Brot? Beißt sich mit den dunklen Aromen des Biers Nummer Fünf? Ach, ich weiß es nicht. Für heute lasse ich es gut sein und nehme mir vor, das St. Bernardus Tripel bei nächster Gelegenheit einmal wieder zu probieren.
Noch einen Moment bleiben wir sitzen, genießen die angenehme und zwanglose Atmosphäre. Nichtraucher (muss man ja in Österreich immer noch extra betonen…), zeitlose Rockmusik, laut genug, um sie bewusst wahrzunehmen, aber nicht so laut, dass man dagegen anschreien muss, aufmerksamer Service, ein bunt gemischtes, gut gelauntes und kommunikatives Publikum. Letzteres ist in Wien auch nicht mehr selbstverständlich, wie wir vor wenigen Wochen erst im Mel‘s Craft Beers & Diner (das übrigens denselben Betreiber hat wie das Delirium Cafe Vienna) erlebt haben, als alle um uns herum mit einer langen Flappe und schlechter Laune ihr Bier „genossen“.
Das Delirium Cafe Vienna ist täglich von 11:00 bis 02:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Durch seine Lage im Fußgängerbereich der Innenstadt muss man ein wenig durch die kleinen Gässchen streifen, um es zu erreichen; trotzdem sind es nur fünf Minuten Fußweg von den U-Bahn-Stationen Herrengasse (Linie U3) oder Stephansplatz (Linien U1 und U3).
Delirium Cafe Vienna
Kurrentgasse 12
1010 Wien
Österreich
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