Bibere.
Trinken.
Bibo, bibis, bibit, bibimus, bibitis, bibunt.
Viel ist von meinem Lateinunterricht von vor 45 Jahren nicht übriggeblieben, nur etwas Wissen, das die Welt nicht braucht. Konjugationstafeln zum Beispiel, die ich heute noch herunterrattern kann. So sah halt damals der Lateinunterricht aus. Konjugationen und Deklinationen auswendig lernen, aber das so auswendig gelernte Wissen keinesfalls in den aktiven Gebrauch der Sprache umsetzen. Latein als Sprache? Nein, Latein als Gedankenübung. Als Herausforderung, grammatisch komplexe Strukturen zu analysieren, Bandwurmsätze zu komponieren und zu desintegrieren. Versuchte einer von uns Schülern, den Lateinlehrer mit einem mündlich gesprochenen Satz zu konfrontieren, stieß es auf völliges Unverständnis. Warum solle man Latein sprechen? Es reiche doch, die Sprache zu analysieren.
So hilft mir denn auch heute der Lateinunterricht nur um so viel weiter, als dass ich sofort verstehe, dass sich hinter der Bezeichnung Bibere ein Trinklokal verbergen muss. Und das griechische Präfix Μπυραρία, sinngemäß vielleicht Biererei, konkretisiert das ein wenig. Μπυραρία Bibere. Griechisch und Latein brüderlich vereint.
Meine Begeisterung hält sich zunächst aber noch in Grenzen. Zu auffällig sind mir die allfälligen deutschen Bierwerbetafeln. König Ludwig Weißbier. Hofbräu. Weihenstephaner. Hacker-Pschorr. Paulaner. Dazu noch die touristische Lage direkt am Jachthafen. Nee, das wird bestimmt wieder nur so eine Bierschwemme sein, in der sich frühmorgens schon die angetrunkenen und schlecht gekleideten deutschen Touristen in weißen Socken, Sandalen, bunten Boxershorts und Feinrippunterhemd unrasiert und unangenehm riechend an der Bar versammeln und sich für die Größten halten. Ich glaube, ich mache besser einen großen Bogen.
Oder doch nicht? Soll ich nicht wenigstens einen kurzen Blick riskieren? Schließlich darf ich mich ja eigentlich nicht vor meiner Chronistenpflicht drücken.
Na gut, sei’s drum. Ein kurzer Blick, ein paar Bilder wenigstens.
Die Überraschung ist groß!
Kaum habe ich die überdachte Terrasse betreten, kommt ein junger Kellner eilfertig auf mich zu. „Möchten Sie essen? Oder möchten Sie sich lieber durch unser Bierangebot verkosten?“ Ich lasse mir die Bierkarte geben und fange an, zu blättern. Und komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Schon die Liste der acht Fassbiere lässt alle meine Vorurteile in sich zusammenfallen. Zwar sind das Hofbräuhaus und Weihenstephan hier vertreten, aber das erste mit einem Dunkel, und das zweite sogar mit dem Vitus-Weizenbock, also nicht mit ihren Allerweltsbieren. Es gibt BrewDog und zwei tschechische Biere von Primátor, und schließlich sehe ich auch noch drei griechische Biere, und zwar nicht Mythos, Alfa oder Fix, sondern von Siris, 7 Islands und Corfu.
Aber damit nicht genug. Es folgt eine mehrseitige Liste von Bieren aus aller Welt. Trappistenbiere aus Belgien, amerikanische Spezialbiere, englische Ales, deutsche Braukunst. Vor allem aber auch mehr als ein Dutzend spannende Biere aus Griechenland, vom einfachen Pils oder Weißbier bis zum Imperial Red Ale mit neun oder einem Imperial Stout mit zehn Prozent Alkohol findet hier eigentlich jeder etwas für seinen Geschmack, ohne Griechenland bei seinem Biererlebnis verlassen zu müssen.
Selbst nach meinen durchaus positiven Erlebnissen der letzten Tage hätte ich das so nicht erwartet. Jedenfalls nicht hier, in einer touristischen Bierschwemme.
Ich beginne vorsichtig mit einem Yellow Donkey, einem einfachen Ale von der Brauerei Santorini. Schön ausgewogen, aromatisch gehopft, fruchtig, 5,0% Alkohol und mit einer feinen, aber nur dezenten Bittere. Als Aperitif hervorragend geeignet, und es bewährt sich insofern als solcher, als ich nach den ersten Schlucken bereits Hunger bekomme. Für hiesige Verhältnisse ist es zwar noch zu früh, zu Mittag zu essen, es ist schließlich noch nicht einmal 12:00 Uhr, aber nun zeigt sich der Vorteil einer Touristenschwemme: Man hat sich angepasst an die Bedürfnisse der Gäste. Ohne mit der Wimper zu zucken, nimmt der junge Mann meine Bestellung auf.
Die nur kurze Wartezeit nutze ich zu einem kleinen Rundgang. Im inneren Schankraum stehen bestimmt rund hundert oder mehr Bierflaschen wie auf einem Altar präsentiert – eine beeindruckende Auswahl. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass man sich hier bewusst weg vom reinen Saufkonsum hin zu abwechslungsreichem Genuss orientiert. Über eine kleine Treppe erreicht man eine Galerie, auf der es sich schön sitzen lässt, in der einen Richtung mit Blick auf den Biergarten, in der anderen mit Blick auf den Bier-„Altar“.
Kaum bin ich wieder an meinem Platz, wird auch schon das Essen serviert. Mensch, das ging aber wirklich schnell. Zum Essen darf ich mir auch etwas Stärkeres gönnen, sage ich zu mir, und bestelle mir das Freezing Moon von Dark Crops. Ein Imperial Stout. Tiefschwarz und fast ölig läuft es ins Glas, bildet nur wenig, dafür aber sehr kremigen und haltbaren Schaum. Fruchtige Aromen steigen auf. Trockenfrüchte, insbesondere Dörrpflaumen rieche ich, dahinter aber auch Röstaromen und feine Kaffee- und Kakaonoten. Der erste Schluck, und ich spüre sofort, wie sich alkoholische Wärme auf der Zunge und am Gaumen breit macht, vorbereitet auf die vielen weiteren Frucht- und Malzaromen, die dann kommen. Ein sehr komplexes Bier. Wuchtig mit seiner Geschmacks- und Aromenvielfalt, aber doch noch so ausgewogen, dass es nicht gleich ganz erschlägt. Und der Alkohol ist gut maskiert. Keinen einzigen Augenblick merkt man eine alkoholische Schärfe oder gar Spritigkeit, lediglich die Wärme im Mund lässt spüren, dass es sich hier um ein extra starkes Bier mit zweistelligem Alkoholgehalt handelt. Wunderbar!
Obwohl ich zugeben muss, dass es eigentlich das falsche Wetter und auch nicht ganz die richtige Tageszeit für so ein Hammerbier ist. Nicht nur wohlige Wärme, sondern auch Schläfrigkeit macht sich breit, und so bedarf es eines extrastarken, doppelten Espressos, um nun noch einmal frohgemut in einen abwechslungsreichen Nachmittag zu starten.
Heute Abend, so vermute ich, werden hier trotzdem einige trinkfeste Touristen an der Bar sitzen, aber die findet man ja – leider! – überall. Aber das Bierangebot und die auch sehr hilfreiche Beratung durch den jungen Kellner machen einen Unterschied. Μπυραρία Bibere – Beer House ist definitiv besser, als es der erste, oberflächliche Eindruck von außen vermuten lässt. Besuchenswert!
Die Μπυραρία Bibere – Beer House ist täglich von 09:00 Uhr bis mindestens 02:00 Uhr in der Nacht durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Vom Frühstücksbier bis zum letzten Absacker kann hier alles genossen werden. Die Küche bietet deftiges Frühstück zum Tagesbeginn, anschließend Burger und europäische Küche bis in die Nacht. Zu erreichen ist die Bierbar nebst Restaurant am besten mit dem O-Bus, Linie 20, Haltestelle Λιμην Ζεασ / Limin Zeas, auf der gegenüberliegenden Seite des kleinen Platzes.
Μπυραρία Bibere – Beer House
Aggelou Metaxa / Αγγέλου Μεταξά 5
185 34 Piräus / Πειραιάς
Griechenland
Hinterlasse jetzt einen Kommentar