„Na, das sind doch endlich mal ordentliche Öffnungszeiten“, denke ich mir, als wir in Prag vor der Brauerei Hostivar H2 stehen. Hatte es mir eben schon sehr gefallen, dass wir ein Schild und einen dazugehörigen Schalter „Drive-in“ am Brauereigebäude gesehen haben, so bin ich jetzt angesichts der Öffnungszeiten gleich ganz aus dem Häuschen:
Montags bis freitags 07:00 bis 23:00 Uhr, sonnabends und sonntags 08:00 bis 23:00 Uhr. Bier schon zum Frühstück. Oh, Prag, ich liebe Dich!
Auf den ersten Blick wirkt die Brauerei Hostivar H2 wie ein perfekter Zwilling der nur etwa einen Kilometer Luftlinie entfernt stehenden, etwas älteren Brauerei Hostivar. Letztere ist 2011 gegründet worden und firmiert seit Fertigstellung der zweiten Brauerei als Hostivar H1; ihre Zwillingsschwester gibt es seit April 2017.
Offensichtlich ist hier in der Prager Satellitenstadt Horní Měcholupy der Durst der Einwohner so groß, dass es sich lohnt, zwei nahezu identische Brauereien zu betreiben. Die gleiche Architektur, das gleiche Konzept, sehr ähnliche Biergärten, die gleichen Biere, die über die Saison hinweg im Angebot sind. So ähnlich, dass man nach dem vierten oder fünften Bier überlegen muss: „Verflixt, in welcher der beiden Brauereien bin ich denn gerade?“
Und doch, es gibt Unterschiede. Der erste Unterschied ist der Drive-in-Schalter in der Hostivar H2. Man kann mit dem Auto an das kleine Fensterchen fahren, seine Bestellung aufgeben, bekommt eine Tüte in die Hand gedrückt und kann weiterfahren. Und das in einem Land, in dem eine 0,0‰-Grenze gilt…
Der zweite Unterschied, und der erklärt dann allerdings sowohl den Drive-in-Schalter als auch die extrem frühen Öffnungszeiten, ist eine in die Brauerei integrierte Bäckerei. Frühmorgens um sieben, wenn die Welt noch in Ordnung scheint, geht es wohl doch eher um ein paar frische Brötchen statt um das erste Frühstücksbier.
Wir sind aber nicht zum Frühstück hier, sondern am Sonntagnachmittag. Die Sonne steht noch recht hoch am Himmel, es ist knallheiß, und dementsprechend ist der kleine Biergarten auch kaum besetzt. Die Gäste ziehen es vor, am Brauereigebäude auf der Terrasse unter der Markise im Schatten zu sitzen. Auch wir finden hier noch ein freies Plätzchen, in der einen Richtung mit Blick in den Schankraum, in der anderen mit Blick in den Biergarten, dessen perfekt gepflegter Golfrasen in leuchtendem Grün erstrahlt.
Die freundliche Kellnerin bringt uns die Speisekarte, und natürlich haben wir längst den kleinen Prospekt, der am Tisch lag, durchgeblättert und wissen somit schon, was wir trinken möchten. Ein Světlá Jedenáctka 11° für mich, ein Desítka Světlý Ale 10° für meine holde Ehefrau.
Das einfache, helle Elfer erfreut. Ein kräftiges Hopfenaroma, ein bisschen grasig, ein bisschen kräuterig, aber fein und ausgewogen, so dass der Verdacht naheliegt, dass der gute einheimische Saazer Hopfen hier reichlich verwendet wurde. Dann ein Antrunk, so wunderbar frisch und klar, gefolgt von einer kernigen, so sauberen Bittere, dass ich überzeugt bin: Besser kann es nicht mehr werden. 4,7% Alkohol sind auch nicht zu viel, und so passt gerade einfach alles.
Besser kann es nicht mehr werden? Ich beobachte meine holde Ehefrau beim ersten Schluck ihres Desítka Světlý Ale 10°, das ebenfalls mit 4,7% Alkohol gelistet ist. In tiefstem Entzücken verdreht sie die Augen. Neugierig greife ich rüber und nehme ebenfalls einen Schluck aus ihrem Glas. Besser kann es nicht mehr werden? Oh, doch, denn hier paaren sich alle Hopfen- und Malzaromen, die ich eben schon im Elfer so wunderbar fand, mit feinen, fruchtigen Estern der obergärigen Hefe und tanzen ein Ringelreihen in Nase, Mund und Rachen. Feinstperlige Kohlensäure bizzelt ein wenig auf der Zunge und macht das Bier zu einem perfekten Begleiter der nachmittäglichen Sommerhitze. Ich möchte mich bis auf die Unterhose ausziehen und dann mit kühnem Hechtsprung in dieses Bier eintauchen…
„Bitte, nur noch einen weiteren Schluck!“
„Nichts da!“ Mit einem schnellen Griff entwindet mir meine Ehefrau das Glas und führt es an ihre Lippen. „Sonst gerne, aber hier und heute und von diesem Bier bekommst Du keinen einzigen weiteren Tropfen mehr ab!“
Wehmütig notiere ich eine Fünf-Sterne-Bewertung in mein Biertagebuch und überlege ernsthaft: Trinke ich jetzt ebenfalls das Ale, oder ist mein Forscherdrang stärker und bestelle ich mir ein anderes Bier, um auch das wenigstens einmal probiert zu haben? Der Forscherdrang siegt, und ich bitte die Kellnerin um ein Polotmavá Dvanáctka 12° mit 5,0% Alkohol.
Ich werde nicht enttäuscht. Auch dieses Bier landet mit guten vier Sternen auf den vorderen Plätzen. Leichte Karamellnoten, ein bisschen Biskuit, eine ebenso fein gebundene Kohlensäure wie in den anderen beiden Bieren, dazu eine leuchtende, orangene Farbe – ach, es ist wunderbar. Drei ausgezeichnete Biere im Sonnenschein – der Sonntagnachmittag könnte schöner nicht sein. Ein tiefes Gefühl der Entspannung macht sich breit.
Die Kellnerin tritt erneut an unseren Tisch, stellt zwei große Teller vor uns ab. Fast hätten wir vor lauter Schwelgerei in den Bieren vergessen, dass wir ja auch etwas zu essen bestellt hatten… Auch hier passt alles. Frischer und knackiger Salat, mit einem feinen Dressing. Bauchspeck, mit einer knusprigen und krossen Kruste, sauer eingelegte, scharfe Paprika, frisch geriebener Meerrettich. Das Essen treibt uns zwar den Schweiß auf die Stirn, aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an – die Straßenbahn- und Busfahrt hierher hatte uns sowieso schon schweißnasse T-Shirts beschert. Es ist Hochsommer, also lass laufen, den Schweiß.
Vollgefuttert und glücklich lehnen wir uns zurück, schmecken dem letzten Schluck des Biers noch hinterher. Ach, schön!
Bevor es wieder nach draußen geht, werfen wir noch einen Blick in den gemütlichen, heute aber unbesetzten Schankraum. Gemütlich, viel Holz im skandinavischen Stil verbaut, hinten eine Schanktheke mit einer Reihe von Zapfhähnen, und daneben die Theke mit den Backwaren. Brauerei und Bäckerei einträchtig nebeneinander. Und natürlich gibt es hier, so wie in fast allen tschechischen Kleinbrauereien, das Bier auch frisch abgefüllt in PET-Flaschen zum Mitnehmen. Nur dass es sich hier nicht um die üblichen Allerwelts-PET-Flaschen handelt, sondern um eine besondere Form, die eher an eine Likör- oder Slibowitz-Flasche erinnert.
Witzig schaut’s aus und macht gleichzeitig ein bisschen mehr her, und nur schwer widerstehen wir der Versuchung, unsere Rucksäcke mit den Flaschen zu füllen. Übermut wäre es, denn unser Programm in den nächsten Tagen lässt gar keinen Biergenuss zu, ganz zu schweigen davon, dass unser Hotelzimmer keinen ausreichend großen (groß genuchen, würde der Niedersachse in mir jetzt sagen) Kühlschrank hat.
Also, auf geht’s – ohne flüssige Wegzehrung! Ade, Hostivar H2, es war schön!
Die Brauerei Hostivar H2 ist täglich von 07:00 bis 23:00 Uhr durchgehend geöffnet; sonnabends und sonntags „erst“ ab 08:00 Uhr. Kein Ruhetag. Die Buslinien 154, 183 und 224 halten nur drei Minuten entfernt, und auch der Bahnhof Horní Měcholupy, wo die Nahverkehrszüge aus Prag halten, ist gerade um die Ecke.
Hostivar H2
Hornoměcholupská 750/115
109 00 Praha
Tschechien
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