Gefühlt siebenundachtzig verschiedene Glühwein- und Punschrezepte haben wir beim Bummel über die Weihnachtsmärkte in Erfurt und Bamberg gezählt, und wir sind uns sicher, anderswo hätten die Zahlen nicht anders ausgesehen.
Adventszeit.
Wer etwas auf sich hält, besorgt sich preiswerten bis billigen Rotwein (nur ganz wenige Ausnahmen gibt es, bei denen vielleicht auch mal ein echter Qualitätswein verwendet wird, und noch viel seltener trifft man auf Rosé- oder Weißwein), füllt einen großen Kocher bis knapp unter den Rand damit, und dann beginnt das feierliche Zeremoniell: Küche und Keller werden nach Weihnachtsgewürzen durchforstet, angebrochene Päckchen und Tütchen vom Vorjahr (War das wirklich vom letzten Jahr? Wieso steht dann „haltbar bis Ende 2007“ auf der Tüte?) zutage gefördert, Mutti nochmal zum Supermarkt geschickt (Hol doch mal eine Packung Gewürznelken oder irgendwas Ähnliches!), und irgendwo finden sich auch noch ein paar angedellte Orangen, die sorgfältig in Scheiben geschnitten werden können. All dieser Kram wird, ohne dass man dafür ein Rezept bräuchte (Schütt‘ mal den ganzen Rest rein, das passt schon!), dem Wein zugegeben, und dann unter sanftem Rühren der Inhalt des Topfes auf 70° erhitzt.
„Um Himmels willen nicht kochen, dann wird das Zeug bitter!“, warnt die Frau des Hauses noch, aber da ist das Malheur schon passiert. Natürlich hat keiner auf die Temperatur geachtet, natürlich ist alles übergeschäumt, natürlich klebt jetzt die ganze Küche. Aber egal. Der Glühwein ist fertig und kann ausgeschenkt werden.
Genießer, die diesen Fusel goutieren, finden sich rasch und in großer Zahl. Bereits zur Mittagsstunde sieht man die geröteten Nasen im Sprühregen zwischen den Büdchen stehen, und der Becher in ihrer Hand ist für heute sicherlich nicht der erste. Hauptsache es knallt, lautet das Motto.
Tolle Mischungen sind dabei. Nicht immer nur Glühwein, oft auch Punsch oder undefinierbare, aber heiße Mischgetränke. Fantasievolle Namen begleiten sie: Prager Schokolade, Wiener Schlosspunsch, Luttendorfer Lumumba. Manchmal auch weniger fantasievoll: Flotter Feger, Lustige Linda, Rote Zora, Heiße Hilde oder Geile Gabi. Man darf alles reinpanschen, was weg muss oder Kopfschmerzen bereitet. Niemanden stört’s.
Am Ende des Marktes, an einer hübsch hergerichteten Bude: Glühbier. Kirschglühbier. Glühkriek. Feines belgisches Kriek, jahrelang in Holzfässern gereift, ungewürzt oder nur ganz dezent verfeinert, und dann per Thermostat auf exakt 70° erhitzt. Sorgfältig und trotz der Wärme mit einer feinen Schaumkrone gezapft. Fruchtig, leicht süß, aber auch mit einer feinen Grundherbe. Ein herrliches Aroma, ein komplexes Geschmackserlebnis. Ganz wunderbar.
Fast schon zu edel für einen Allerwelts-Weihnachtsmarkt.
Aber da höre ich schon das Raunen, sehe das Kopfschütteln: „Ein Glühbier!“ – „Was für eine Panscherei.“ – „Das kann man doch nicht trinken.“ – „Kriegt man Kopfweh von.“ – „Wer weiß, was die da alles reintun.“ – „Schade ums gute Bier.“ – „Nee, das probiere ich gar nicht erst.“ – „Widerlich.“
Dichotomie des Geschmacks.
Was beim Wein kann, darf, soll und sogar muss, ist beim Bier nicht erwünscht, streng verboten, geächtet. Wer Bier erwärmt und mit Gewürzen panscht, wird mit Alkoholentzug nicht unter zwei Wochen bestraft. Bei geringen Gewürzzugaben oder niedrigen Temperaturen kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.
Versteh‘ einer die Welt.
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