Das, was wir in Deutschland als Erlebnisgastronomie bezeichnen, also Wirtschaften, Kneipen oder Restaurants, die rund um Essen und Trinken auch noch eine üppige Einrichtung und ein großes Rahmenprogramm bieten, ist in Tschechien noch nicht weit verbreitet. Zwar findet man in Prag und Brünn schon solche Zugeständnisse an den Tourismus, und auch in manchen Kurorten wie Marienbad oder Touristenzentren wie Krumau gibt man sich Mühe, den Geschmack der vorwiegend deutschen und österreichischen, im Fall von Karlsbad auch russischen und arabischen Gästen zu treffen, aber auf dem Land sind Wirtschaften nach wie vor meistens schlichte Bierhallen, Pivnice genannt.
Einfaches und robustes Mobiliar, eine eher schlichte Einrichtung, wenig Dekoration, kaum Nippes auf den Tischen. Einfach nur große, zweckmäßige Räume, in denen sich die Menschen auf ein Feierabendbier und ein einfaches, preiswertes, aber schmackhaftes Essen und stundenlange Gespräche treffen. Wichtig ist, dass das Bier schmeckt, dass die Preise niedrig sind, dass es warm und trocken ist. Der Rest passt dann schon irgendwie.
Auch die Minipivovar a Pivnice U Stočesů in Rokycany macht kein Aufhebens, und doch ist sie in ihrer Schlichtheit ansprechend und gemütlich.
Der Schankraum erinnert an eine klassische Trinkhalle. Ein paar simple Tische und Stühle, keine Tischdecken. Die Wände sind mit Bilderrahmen behängt, die Szenen aus der Geschichte der Brauerei beziehungsweise des Wirtshauses zeigen. Darüber ein langes Brett mit gesammelten Bierflaschen. Fertig. Und trotzdem fühlt man sich hier wohl.
Am Tisch neben der Theke sitzen zwei junge Kellnerinnen und warten auf Gäste. Als meine holde Ehefrau und ich uns setzen, kommen sie rasch angeflitzt und fragen uns nach unseren Wünschen. Mit dem Englisch holpert es ein wenig, aber beide sind ausgesprochen freundlich und haben ganz offensichtlich einen großen Spaß daran, uns zu bedienen. Wir werden ausgefragt, was wir haben wollen, und erfahren, dass derzeit Wildtage sind und es drei Tage lang Ragout und Keule vom Wildschwein gebe. Man braue hier eigenes Bier, und zur Zeit gebe es neben dem normalen Lager zwei ganz besondere Spezialitäten, ein American Pale Ale und ein Ingwerbier, wir müssten beide unbedingt probieren. Zwei begeisterte Gesichter strahlen uns an.
Nun, die Entscheidung fällt nicht schwer. Einmal das Ragout, einmal die Keule, einmal mit Bramboráčky (Kartoffelpuffern) und einmal mit Knedlík (tschechischem Knödel). Serviert werden beide Gerichte landestypisch mit viel Soße, so dass man auch am Ende noch etwas zum Auftunken hat. Dazu passt das Ingwerbier, das Zázvorová 13°, ganz vorzüglich. Die fruchtigen und leicht scharfen Ingwernoten im Bier passen bestens zum kräftigen Aroma des Wildschweins, und das für tschechische Verhältnisse recht hoch gespundete Bier spült die Zunge von der dicken, sämigen Soße wieder frei und ermöglicht so nach jedem Schluck wieder neuen Genuss. Eine feine Kombination.
Während wir genießen, betrachte ich nachdenklich die Bierdeckel, die hier auf den Tischen liegen. Mit dickem Filzstift sind sie verunstaltet, und neugierig frage ich eine der beiden Damen, was es damit auf sich habe. Nun, erklärt sie, es gebe leider viele Sammler, die unverschämt ganze Stapel dieser Deckel mitnehmen würden, so dass man mit dem Neukauf kaum hinterherkäme. Seit die Deckel mit Filzstift bemalt sind, interessieren sich die Sammler nicht mehr dafür. Einzelne Deckel könne man ja immer noch bekommen, aber dieses gierige Mitnehmen von ganzen Stapeln, nein, das wolle man nicht unterstützen.
Selbstverständlich muss ich nun auch noch das APA probieren. Mit 14° Stammwürze ist es etwas stärker als das Ingwerbier, und seine Farbe passt nahezu perfekt zu den simplen Kupferkesseln des kleinen Sudwerks, das direkt am Rand des Raums steht. Die klaren Linien, der fehlende Schmuck, die schlichte Eleganz – die Brauerei passt sich stilistisch nahtlos in den Schankraum ein. Gleiches gilt auch für das Bier. Schnörkellos, ohne übertriebene Bittere, geradlinig und süffig fügt es sich in ein stimmiges Gesamtbild. Kein Schnickschnack, sondern einfach nur ein gutes Trinkbier.
So könnten wir problemlos hier sitzen bleiben. Gutes Essen, gutes Bier, ein einfaches, aber ansprechendes Ambiente, zwei ausgesprochen nette Kellnerinnen. Aber wie immer: Es ist nur ein kurzer Zwischenhalt, und es treibt uns weiter.
Einen Kaffee trinken wir jeder noch, und während wir ihn schlürfen, sehen wir interessiert zu, wie ein Gast hereinkommt und Bier zum Mitnehmen haben möchte. Wie in vielen Kleinbrauereien hier im Land kann man sich Bier in große PET-Flaschen abfüllen lassen und mit heimnehmen. Die Flaschen eignen sich nicht dazu, das Bier lange zu lagern, aber um es mitzunehmen und daheim am gleichen oder spätestens am nächsten Tag zu trinken, dafür sind sie sehr praktisch. Ähnlich, wie man es vor hundert Jahren gemacht hat, als es noch gang und gäbe war, sich in der Kneipe einen großen Krug Bier zu holen und ihn daheim mit der Familie zu trinken.
Viele Brauereien haben dafür sogar schon ein passendes Gewinde am Zapfhahn, so dass die leere PET-Flasche direkt befüllt werden kann. Hier in der Minipivovar a Pivnice U Stočesů läuft es etwas improvisierter: Vorsichtig klemmt die junge Dame die PET-Flasche unter den Zapfhahn und stellt den Boden auf ein umgedrehtes Bierglas. Dann wird der Zapfhahn ganz leicht geöffnet, so dass das Bier ohne zu schäumen in die Flasche rinnt. Ganz langsam füllt sich die Flasche, das Kohlendioxid bleibt weitgehend im Bier gebunden, und nach einigen Minuten läuft ein kleines bisschen Schaum über – ein Zeichen, dass die Flasche voll ist. Zufrieden bezahlt der Kunde, klemmt sich die Flasche unter den Arm und verlässt die Brauerei. Eigentlich ein schöner Brauch, aber in Deutschland würde er sich aufgrund einer pauschalen Verurteilung von Bier in PET-Flaschen („Bier aus Plastikflaschen kann man ja nicht trinken…“) wohl nicht durchsetzen.
Die Kellnerin lacht uns an. Sie hat gemerkt, dass wir ihr Zeremoniell amüsiert beobachtet haben, und erzählt, dass so rund zwei bis drei Dutzend Flaschen am Tag auf diese Weise verkauft würden. Ein durchaus einträgliches Geschäft, und Übung mache den Meister. Stolz fügt sie hinzu, dass sie bis zu vier Flaschen gleichzeitig unter die Zapfhähne klemmen könne, ohne dass ihr etwas daneben ginge.
Jetzt müssen wir aber wirklich los. Beim Bezahlen macht meine holde Ehefrau große Augen. Zweimal Wildschwein, zwei Biere, zwei Kaffee und eine Cola – alles zusammen kostet uns gerade einmal 324,- Kronen, also dreizehn Euro.
Die Minipivovar a Pivnice U Stočesů – eine empfehlenswerte kleine Dorfbrauerei mit klassischem Wirtshausbetrieb.
Die Minipivovar a Pivnice U Stočesů ist täglich ab 14:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Vom Bahnhof Rokycany aus sind es etwa fünf, sechs Minuten zu Fuß bis hierher.
Minipivovar a Pivnice U Stočesů
Sokolská 282
337 01 Rokycany
Tschechien
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