L’Académie de la Bière – die Bierakademie. Bereits seit 60 Jahren gibt es dieses belgische Restaurant im 5. Arrondissement von Paris, das sich auf gute, vorwiegend belgische Biere und Muscheln spezialisiert hat. Muscheln und Bier, das ist eine vorzügliche Kombination, und ein bisschen bereuen wir es jetzt, dass wir nach und nicht zu einem guten Mittagessen hier eingekehrt sind.
Geplant war es nicht, sondern hat sich, wie so oft, beim Herumstreunen durch die Stadt ergeben. Eben noch haben wir gut gegessen und getrunken, und jetzt machen wir in einer völlig anderen Ecke der Stadt einen Verdauungsspaziergang. Kaufen mal hier auf dem winzigen Markt des Stadtteils eine Kleinigkeit, entdecken dort eine Skurrilität, die in keinem Reiseführer steht, und schließlich haben wir das Gefühl, uns mal für einen Moment hinsetzen zu müssen.
Parkbank? Ach, nein, so schön ist das Wetter heute auch nicht.
Und so landen wir nach noch weiteren 200 Metern in der Académie de la Bière, irgendwie in der Erwartungshaltung, hier einfach nur eine beliebige Pariser Brasserie vorzufinden, also irgendeine kleine Wirtschaft, die eben auch Bier ausschenkt.
Aber gefehlt. Kaum gehen wir zwischen den beiden überdachten Terrassen auf dem Bürgersteig hindurch und betreten den kleinen Schankraum, sehen wir schon eine lange Batterie von Zapfhähnen auf der Theke, und hinter der Bar stehen lange Reihen von Bierflaschen aus Belgien, die in immer wechselndem Farbenspiel beleuchtet werden.
Okay, für mich also schon mal keinen Kaffee, stelle ich fest.
Wir nehmen Platz und schauen uns um. 1960 ist die Académie de la Bière gegründet worden, und ein bisschen wirkt der Schankraum, als hätte man seit damals nichts geändert, nichts renoviert, sondern höchstens mal feucht durchgewischt. Braunes Flair und abgestoßene Möbel – eine Atmosphäre, wie sie nicht von heute auf morgen entsteht.
Die in eine etwas pappige und gewellte Plastikhülle geschobene Bierkarte listet mehr als ein Dutzend Fassbiere (Bières Pression) auf, aber Hinweise an der Wand empfehlen weitere rund 150 Flaschenbiere. Und dazu eben Muscheln. In zahlreichen unterschiedlichen Zubereitungsarten, lauter verschiedene Gerichte, aber immer wieder Muscheln.
Abgesehen von einem einsamen Draußen-auf-der-Terrasse-Sitzer-und-Raucher sind wir in der ruhigen Phase zwischen Mittag- und Abendessen die einzigen Gäste. Am Nachbartisch sitzt der Barmann und wartet geduldig, bis wir uns entschieden haben.
Meine holde Ehefrau beschränkt sich auf einen Kaffee: „Ich habe eben schon ein Bier zum Mittagessen getrunken, und Du sogar zwei. Da wäre Kaffee jetzt angebracht!“. Ich erfülle ihr ihren Wunsch, ignoriere aber die zwischen den Zeilen versteckte Botschaft und bestelle für mich eben keinen Kaffee, sondern ein Pale Ale.
Freundlich, aber mit unendlich müden Augen nimmt der Barmann die Bestellung auf, und nach wenigen Augenblicken hat meine Frau ihren Kaffee und ich habe mein … Imperial Stout.
„Hm, hatte ich nicht ein Pale Ale bestellt?“, frage ich den Barmann, und er schaut mich mit großen Augen an. „Ich tausche es aus“, beeilt er sich, aber bevor er das gute Bier in den Ausguss schüttet, winke ich lieber ab. „Lass gut sein, ein Imperial Stout ist auch was Feines!“
Vorwurfsvolle Blicke treffen mich. Meine Frau hat die Bierkarte studiert und festgestellt, dass das Bier 9,5% Alkohol enthält: „Neuneinhalb Prozent, und das am frühen Nachmittag! Na, dann wirst Du nachher um sieben Uhr ins Bett gehen!“, entrüstet sie sich.
„Mit Dir? Auch nicht schlecht!“, schäkere ich und nehme ihr den Wind aus den Segeln.
Das Yeti Imperial Stout der Great Divide Brewing Company aus Denver schmeckt vorzüglich, es überzeugt nicht nur durch den hohen Alkoholgehalt und die leichte Wärme, die es dadurch im Rachen verursacht, sondern auch durch einen wuchtigen, vollen Körper und komplexe Aromen, die umso stärker werden, je wärmer das Bier wird. In winzigen Schlucken genieße ich es und hangele mich an diesem einen Glas durch den Nachmittag.
Meine Frau hat den Kopf an die Wand hinter sich gelehnt und sinniert vor sich hin. Der völlig übermüdete Barmann sitzt wieder am Nachbartisch und wartet geduldig, wie die Zeit vergeht. Im Hintergrund läuft dezente, entspannende Barmusik. Ein bisschen Klaviergeklimper. Eine rauchige Damenstimme mit irgendwelchen uralten Chansons. Mitten in der hektischen Großstadt Paris steht für einen Moment die Zeit still. Augenblicke dehnen sich ins Unendliche, es ist Zeit für lange und tiefe Gedanken.
Noch eine Stunde, und dann werden die ersten Menschen auf ein Feierabendbier kommen. Etwas später dann die hungrigen Gäste. Der Barmann wird seine Müdigkeit überwinden müssen und bekommt hoffentlich auch etwas Verstärkung. In der Küche werden die Muscheln auf den Herd gesetzt, die kleinen Tische im Schankraum und auf den beiden überdachten und windgeschützten Terrassen werden überquellen. Der hektische, kurzatmige Takt der Großstadt wird sich des kleinen Lokals wieder bemächtigen. Das Bier wird fließen, die Flaschen und Gläser werden klirren.
Noch ist alles weit weg, und das einzige, was sich der träge und zäh wie Honig dahinfließenden Zeit nicht unterordnet, ist die LED-Installation, die die Flaschen hinter der Bar unruhig in immer neue Farben taucht.
Jetzt gerade ist es gut. Genau so, wie es im Moment ist. Aber wir werden ein Andermal wiederkommen, am Abend, wenn das Leben wieder zurückgekehrt ist und die Zeit wieder dahin fliegt, und dann werden wir mehr als nur ein einziges Bier verkosten. Werden Spaß haben, Witze reißen, Muscheln essen, Sprüche klopfen und mit den Biergläsern auf den Tisch hauen. Denn so bescheiden, wie die Académie de la Bière von außen auch aussehen mag – das Bierangebot hat es in sich und verdient eine ausgiebigere Betrachtung und Verkostung.
L‘Académie de la Bière ist täglich von 10:00 Uhr morgens bis 02:00 Uhr in der Nacht durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zwischen 15:30 Uhr und 19:30 Uhr ist Happy Hour. Zu erreichen ist die Bierakademie am besten mit der Regionalbahn RER, Station Port-Royal, und von dort anderthalb Minuten zu Fuß in Richtung Osten. Oder mit den Bussen der Linien 83 und 91, die direkt gegenüber an der Haltestelle Port Royal – Saint-Jacques halten.
L’Académie de la Bière
88bis Boulevard de Port-Royal
75 005 Paris
Frankreich
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