Ein bisschen außerhalb der historischen Altstadt Dijons, am Rande des Place de la République, bleibt mein Blick an einer dunkelblau angestrichenen Wand hängen. Ein Pub vielleicht? In Frankreich, Belgien und auch dem Mutterland der Public Houses, England, sind Pubs häufiger mal so farbenfroh aus der Tristheit der grauen Steinmauern hervorgehoben.
Diagonal bummeln wir über den großen Platz, und als wir näher kommen, können wir die Aufschrift lesen: The Craft Beer Pub. Nicht nur ein Pub also, sondern sogar eines mit Craft Beer.
Was immer Craft Beer auch heißt. Die sozialen Medien, Blogs und Zeitschriften sind voll von langen Diskussionen, was darunter zu verstehen sei; unversöhnlich und wenig konstruktiv werden die immer gleichen Argumente gegeneinander gefahren. Die Amerikaner, deren Definition die Betriebe wie Oettinger oder Warsteiner als Craftbrauereien mit einschließen würde, die Handwerkspuristen, denen schon eine automatische Temperaturkontrolle und eine Umwälzpumpe zu viel Technik sind, die Kreativen, denen nur das als Craft gilt, was nicht nach dem sogenannten „Reinheitsgebot“ gebraut wird – es gibt viele Gruppierungen und noch mehr Meinungen.
Hier und heute, im Craft Beer Pub Dijon am 17. Oktober 2019, geht es wohl in erster Linie um Biere aus kleinen Brauereien der Region. Jedenfalls lässt die Bierliste das vermuten.
Wir nehmen an einem der Tische direkt am Fenster Platz und beginnen, in der Bierliste zu blättern. Schon nach wenigen Augenblicken kommt eine junge Dame an unseren Tisch, und mit spürbarer Begeisterung beginnt sie, zu jedem der Biere eine kleine Geschichte zu erzählen. Die Worte sprudeln nur so aus ihrem Mund, ihr Enthusiasmus ist beeindruckend, aber irgendwann gelingt es uns – „Halt, halt, halt!“ – sie lachend zu unterbrechen. Verdutzt schaut sie uns an, dann fällt der Groschen: „Oh, you don’t speak French?“
Mit vor Freude blitzenden Augen beginnt sie mit dem gleichen Enthusiasmus von vorn, diesmal auf Englisch. Es gebe die und die Biere vom Fass, dazu aber auch noch ganz, ganz viele aus der Flasche, alle seien sie konsequent aus der Region, und sie würde uns am liebsten empfehlen, doch alle der Reihe nach zu versuchen, es seien so viele tolle Sachen dabei!
„Ach, ich komme einfach mal mit nach vorne an die Bar, und dann entscheide ich spontan“, erkläre ich ihr, und wir gehen einmal quer durch den Raum. Zwölf Zapfhähne zähle ich, von denen einer aber gerade abgeklemmt ist. Oder „nicht bespielt wird“, wie ich es auch schon gehört habe. Fässer werden nicht mehr angeschlossen, sondern in der Szene werden Zapfhähne bespielt…
„Wie wäre es denn, wenn wir ganz konservativ mit einem klassischen IPA begännen?“, richte ich meine Frage über die Schulter zurück an meine holde Ehefrau. „Okay, für Dich gerne, aber für mich bitte was Dunkles, Starkes“, lautet die Antwort.
Na gut, das geht dann schnell. Ich kehre an unseren Tisch zurück, und Augenblicke später bringt die Barfrau, Cécile, die beiden Gläser. Das IPA stammt von der Brasserie de Ducs aus Longchamps, vielleicht zwanzig Kilometer von hier. Eine schöne orangene Farbe, nicht allzu viel und etwas großblasiger Schaum, der fast wie Seifenschaum aussieht, darunter verbergen sich aber sehr schöne fruchtige und leicht harzige Aromen und ein kerniger, herber Geschmack. 6,5% Alkohol. Ein gelungenes IPA. Nichts Besonderes, nichts, wovon ich in zehn Jahren noch schwärmen werde, aber ein feines Bier für einen schönen Auftakt hier im Craft Beer Pub.
Ganz anders das „Dunkle, Starke“, das sich meine Frau gewünscht hat. Gebraut von der Brasserie des Babouins Jurassiens, was man so ungefähr als Jurapavian-Brauerei übersetzen könnte. Auf halbem Wege zwischen Dijon und Genf, in Poligny befindet sie sich. Das Bier selbst nennt sich Impérial Baboonator, ist ein Imperial Stout, steht pechschwarz im Glas, wird geziert von einer zwar kleinen, aber schön cremigen, beigefarbenen Schaumkrone und hat sagenhafte 14,0% Alkohol.
Kritisch schaut mich meine holde Ehefrau an. „Was hast Du mir da bloß mitgebracht?“, fragt sie, erwartet aber keine ernsthafte Antwort. Dunkel und stark wollte sie, dunkel und stark hat sie bekommen. Sehr dunkel und sehr stark. Nun ja.
Das Bier schmeckt ja gar nicht so schlecht. Im Gegenteil, es schmeckt sogar richtig gut. Kräftig röstig herb, mit leichten Mokkanoten, kernig, vollmundig, und nach dem Schluck macht sich eine feine, alkoholische Wärme im Gaumen und im Rachen breit. Sehr schön. Aber selbst 0,25 l sind da schon eine große Portion, an der sich meine Frau eine ganze, lange Weile festhalten kann. Bezeichnend, dass ausschließlich für dieses Bier auf der großen Kreidetafel keine Preise für die 0,5-l-Portion oder gar das 1-l-Glas angegeben sind…
Während ich also mein IPA recht rasch ausgetrunken habe, befindet sich meine bessere Hälfte immer noch im ersten Drittel ihres Biers. Zeit und Gelegenheit für mich, noch ein zweites Bier zu verkosten. Ich frage Cécile, was sie als Besonderheit empfehlen würde, und ohne zu zögern kommt die Antwort: „Das Montbéliarde Triple!“ Sie beschreibt es mir als ein alkoholstarkes Bier mit immerhin 9,0%, gebraut in der Brasserie La Rouget de Lisle in Bletterans, ebenfalls von Dijon aus gesehen auf dem Weg nach Genf. Das besondere an diesem Bier sei nicht, dass es ein alkoholstarkes Triple ist, sondern dass es mit Rohmilch gebraut sei, ein Triple Au Lait Cru, also.
Mit Bedacht stelle ich das frisch gezapfte Glas, das auch das Logo dieses Biers trägt, auf meinen Bierteppich und zücke die Kamera. „Halt, halt“, ruft Cécile und drückt mir ein kleines Reklameschild in die Hand. „Das muss auch mit auf das Bild drauf!“ Unter viel Herumalbern und Gelächter rücken wir Glas, Teppich und Pappaufsteller hin und her, bis die Perspektive irgendwann so halbwegs stimmt.
Das Bier, und um das sollte es ja eigentlich vorrangig gehen, ist, nun ja, etwas gewöhnungsbedürftig. Der leicht milchsaure Geschmack verleiht dem Triple etwas Besonderes, Eigenes, aber wirklich harmonisch ist es nicht. Man kann es gut trinken, und auch ein zweites Glas wäre durchaus drin, aber irgendwie habe ich mir von der Idee, Rohmilch mit zu verbrauen, mehr versprochen. Vielleicht ist das ja der Geschmack der Nachkriegsbiere, als wegen Rohstoffmangel beim Bierbrauen Molke verwendet wurde?
Auf alle Fälle aber eine durchaus unterhaltsame und originelle Idee.
Etwa gleichzeitig trinken wir unsere Gläser, das Rohmilchtriple und den Impérial Baboonator, aus. Für heute muss es reichen. Den ganzen Tag in der Stadt unterwegs, so viele Sehenswürdigkeiten – da werden nicht nur die Augen müde. Aber ein sehr schöner Abschluss war es, in einem liebenswerten, gemütlichen Pub mit einer sehr sympathischen und fachkundigen, vor Begeisterung überschäumenden Barkeeperin und drei interessanten Bieren. Zufrieden machen wir uns auf den Weg ins Hotel.
The Craft Beer Pub Dijon ist täglich ab 17:00 Uhr geschlossen, sonntags und montags ist Ruhetag. Die Haltestelle der Straßenbahn, République, ist gerade mal 100 m entfernt.
Nachtrag 18. Oktober 2019: Bereits am nächsten Abend kehren wir erneut hier ein. Ein spannender, vollgepackter Urlaubstag und auch schon das eine oder andere Bier liegen hinter uns, aber wir können nicht widerstehen: Ein Absacker muss sein. Gar zu nett war es gestern.
Cécile begrüßt uns, als seien wir Stammkunden… Aber es muss heute bei einem Bier für jeden reichen, das Hotelbett ruft. Meine holde Ehefrau entscheidet sich für ein Blanche, ein Witbier der Brasserie de Ducs, von der wir gestern schon das IPA getrunken haben. Das Bier ist überraschend kräftig in der Farbe, nicht so blassgelb wie die typischen belgischen Wits. 5,0% hat es, und einen frischen Geschmack, der allerdings einen Hauch mehr fruchtige Aromen vertragen könnte. Nicht ganz so der Sommerdrink, als den wir ein Wit oft empfinden.
Sommerlicher wirkt hingegen das Ingwerbier der Brasserie de Vezelay, das ich mir bestelle. Ginger – Bière blanche au gingembre steht in der Karte. 4,4%, also ganz leicht. Frische Ingwernoten in der Nase, eine leichte Schärfe auf der Zunge, Spritzigkeit vom Weizen, fruchtige Aromen vom Ingwer. Ein in der Tat sehr angenehmes Sommerbier.
Findet auch meine Frau. Mit einer raschen Handbewegung vollzieht sie eine Rochade, und schon stehen die Gläser andersherum. „Du magst das normale Blanche doch sicher genauso gern wie das Ingwerbier, oder?“, flötet sie unschuldig, und ich füge mich wieder einmal in mein Schicksal. Heute allerdings in dem Bewusstsein, das nicht ganz so zufriedenstellende Bier nicht mit einem weiteren, hoffentlich besseren kompensieren zu können. Für heute reicht es in der Tat.
Ein paar freundliche Worte noch mit der Barfrau, großes Lob für ihr Craft Beer Pub, aber dann ist es für heute wirklich genug. Wir haben die gemütliche Atmosphäre an zwei Abenden rundum genossen. Die geradlinige Rockmusik aus den 70er Jahren, die nicht zu laut im Hintergrund läuft, hat uns gefallen, und hätten wir Hunger gehabt, so wären die Wurst- und Käseplatten, die wir an den Nachbartischen gesehen haben, wohl vorzüglich gewesen – jedenfalls sahen sie so aus.
Gerne also wieder, sollte uns der Weg erneut nach Dijon verschlagen.
The Craft Beer Pub Dijon
1 Boulevard de la Trémouille
21 000 Dijon
Frankreich
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