„Jetzt haben die zwei Bekloppten aus Schottland die bekloppte Immobilie von dem bekloppten Amerikaner übernommen, der hier gescheitert ist …“, war wohl die am stärksten zugespitzte Aussage, die ich im Zusammenhang mit dem alten Gaswerk in Mariendorf gehört habe.
Wir erinnern uns: 2016 hatte Greg Koch von Stone Brewing (das ist der „bekloppte Amerikaner“ in obigem Zitat) das ehemalige Gaswerk in Berlin Mariendorf (die „bekloppte Immobilie“) übernommen, es sich mit einem recht arroganten Auftritt mit den alteingesessenen deutschen Brauern verdorben, dann mit dem Konzept Stone Brewing World Bistro & Gardens eine beeindruckende Biererlebniswelt geschaffen, diese dann aber im Mai 2019 wieder geschlossen, weil er sie nicht aus den roten Zahlen herausbekommen hatte. „Zu groß!“, „Zu gewaltig!“, „Zu weit weg!“, so lauteten die Aussagen, die sein unternehmerisches Scheitern kommentierten.
Die Brauinfrastruktur und die Biererlebniswelt wurden von James Watt und Martin Dickie (die „zwei Bekloppten aus Schottland“) übernommen, den Gründern der äußerst erfolgreichen Brauerei BrewDog. Deren Absicht war, nach einem Umbau und einer Anpassung auf die Stil- und Formensprache von BrewDog die Biererlebniswelt wieder zu eröffnen, sich daneben aber stärker als Stone Brewing auf den deutschen Markt auszurichten und insbesondere Flaschenbiere abzufüllen, die sich im deutschen Getränkehandel besser positionieren lassen als Dosen, mit denen der umweltbewusste Konsument hierzulande nach wie vor fremdelt.
Und nicht zuletzt ging es wohl darum, für den Brexit, also den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union, einen Produktionsstandort in Kontinentaleuropa zu haben.
Nur ein paar Wochen hat der Umbau gedauert, und dann ging der Biererlebnisbetrieb wieder los, von mir bis heute, bis zum 19. November 2019, neugierig aus der Ferne beäugt.
Jetzt stehe ich aber in der Dunkelheit eines Herbstabends wieder vor dem alten Gaswerk. Der Biergarten hat sich nicht sehr verändert, liegt allerdings heute, bei nasskaltem Wetter, verwaist da. Durch die Türen an der Stirnseite der riesigen Halle betrete ich das DogTap Berlin, die neue alte Biererlebniswelt.
Schon auf den ersten Blick fallen zahlreiche Änderungen auf: Die Theke mit den Zapfhähnen ist vom linken Rand in die Mitte der Halle gewandert. Statt der zwar künstlich, aber doch edel wirkenden Dekoration von Stone Brewing herrschen jetzt kreischend bunte Farben und Graffitis vor, und an der gewaltigen Glaswand, die den großen Schankraum vom Sudhaus trennt, leuchtet nun in blutrot der Schriftzug „BIER OHNE GRENZEN“.
Nach wie vor verteilen sich in der Halle kleinere Stehtische, gemütliche Kuschelecken und größere Biertische und -bänke, auf einer überbreiten Treppe, die zu einer zweiten Ebene mitten in der Halle führt, kann man sich breit machen und mit dem Bier in der Hand von oben herab die anderen Gäste beobachten, und am Rand der Halle stehen zahlreiche Spielautomaten, vor allem nostalgische Flipper, an denen man sich die Zeit vertreiben kann.
Langsam spaziere ich einmal rundherum. Hinter der Theke, noch vor der Brauerei, stehen auf metallenen Rolltischen Dutzende von kleinen Edelstahlbehältern, elektrisch beheizt. Kleine Sudanlagen, Mini-Brauereien, auf denen regelmäßig Braukurse stattfinden. Zusammen mit dem Seminarbereich auf der zweiten Ebene, der „Beer School“, zeugen sie vom Sendungsbewusstsein, das die beiden BrewDog-Inhaber haben. Ihnen geht es nicht nur darum, Bier zu verkaufen, sondern auch darum, dass die Gäste ihr Lieblingsgetränk besser verstehen. Sie sollen den Brauprozess einmal selbst praktisch nachvollziehen können und sich der Geschmacks- und Aromenvielfalt unter Anleitung systematisch nähern können.
Ein rundes und umfassendes Konzept, also.
An der Theke hängt das vertraute, BrewDog-typische Billboard. Weiß von hinten beleuchtet informieren zahlreiche engbeschriebene und etwas unübersichtliche Zeilen über das Bierangebot. Stil, Biername, Alkoholgehalt und Preis – das sind die Mindestinformationen, die zu jedem Bier angegeben werden. Es gibt eine Reihe von typischen BrewDog-Bieren, die sogenannten Headliners, dann gibt es ein paar Biere, die exklusiv hier in Berlin gebraut und ausgeschenkt werden, die Berlin Exclusives, und schließlich noch jede Menge weitere BrewDog-Biere, aufgelistet unter der Überschrift More BrewDog. Aber damit nicht genug – es gibt auch noch ein paar Gastbiere und Biere, die unter der Überschrift Collabfest 2019 an anderen BrewDog-Standorten und in Zusammenarbeit mit anderen Brauern entstanden sind.
Eine beeindruckende Auswahl. Fünfundzwanzig Zapfhähne sind unter dieser weißen Leuchttafel angebracht, eine endlose Reihe, sorgfältig nummeriert. „Ist das ein schottischer Adventskalender? Fünfundzwanzig statt vierundzwanzig Hähne, weil Ihr ja erst am 25. Dezember die Geschenke bekommt?“, frage ich den Barkeeper und poste die Frage zusammen mit einem Bild der Zapfhahnbatterie auch in den Social Media im Netz. Ein Scherz soll es sein, aber sowohl mit dem Barmann als auch im Netz entspinnt sich eine spannende Diskussion, ob der ziemlich deutsche Brauch des 24-türigen Adventskalenders nicht tatsächlich in den Ländern, die erst am 25. die Weihnachtsgeschenke auspacken, angepasst werden müsste. Was habe ich da losgetreten?
Darauf erstmal ein Bier!
Ich beginne ganz zurückhaltend mit einem Zwickel Helles, einem der Biere, die BrewDog speziell für den deutschen Markt entwickelt hat und ausschließlich hier in Berlin braut. Für ein Zwickel ist das, was ich ins Glas bekommen, viel zu klar. Die typische Trübe eines aus dem Lagertank gezwickelten Biers? Fehlanzeige. Zudem ist das Bier ohne Schaum bis zum Glasrand gefüllt – nicht gerade deutsche Bierkultur. Geschmacklich ist es mild, unauffällig, neutral und charakterarm. 5,0% Alkohol. Hm. Keine Fehlgeschmäcker, aber auch nichts, was mich an diesem Bier fesseln könnte. Wasser löscht den Durst auch.
Bier Nummer 2 ist ein Hoppy Dortmunder, soll also wohl ein extra stark gehopftes Export sein. 5,8% Alkohol hat es, ist leicht trüb (so, wie das Zwickel hätte sein sollen…) und wenigstens ein bisschen Schaum. Aber als so richtig hopfig empfinde ich es nicht. Sehr zurückhaltend, sehr klassisch im Dortmunder-Export-Stil. Gut trinkbar, auch in größeren Schlucken, aber eben auch nichts, womit sich BrewDog irgendwie profilieren könnte.
So richtig zufrieden bin ich jetzt mal nicht mit dem Versuch von BrewDog, mit klassischen deutschen Stilen zu punkten, und wechsele zu etwas aussagekräftigeren Bieren. Ob das Indie, ein Pale Ale mit 4,2% Alkohol besser und charakterstärker ist?
Oh ja, ist es, stelle ich fest, nachdem der Barmann mir mein Glas gegeben hat. Zwar wirkt es in einer klassischen Pils-Tulpe ein bisschen fehl am Platz, gefällt aber mit seinen präsenten Hopfennoten gut. „Warum schenkt Ihr eigentlich Eure kleinen Biere alle in Pilsgläsern aus?“, will ich vom Barmann wissen. „Das sind keine Pilsgläser, sondern Verkostungsgläser“, lautet die Antwort. Naja, denke ich mir, wenn es Verkostungsgläser wären, dann sollte man sie nur halbvoll machen, damit die Aromen des Biers Raum haben, sich zu entfalten, und dann beim Schluck direkt in die Nase steigen können. Ein Verkostungsglas, das bis zum Rand mit Flüssigkeit gefüllt wird, hat seinen Beruf verfehlt …
Während ich so über die Verkostungsgläser sinniere, beobachte ich die außer mir fast einzigen Gäste heute Abend: Eine Gruppe von rund fünfundzwanzig Zalando-Mitarbeitern, die heute wohl eine Art Betriebsausflug machen. Wenn das, was ich dort beobachte, typisch für das Arbeitsklima ist, dann möchte ich bei der Firma wohl nicht tot über den Zaun hängen, stelle ich fest. Jede und jeder versucht sich krampfhaft, von der besten Seite zu zeigen. Man sieht von weitem, dass alle steif und förmlich schauspielern, niemand sich traut, Spaß zu haben. Am Bier, Tee, alkoholfreiem Drink oder stillem Mineralwasser wird genippt, gestelzt wird Konversation betrieben, und mit gefrierendem Lächeln versichern sich alle gegenseitig, was das doch gerade für ein toller Abend sei. Fröhliches Lachen? Fehlanzeige. Mal ein vorlauter Einwurf? Ebenfalls nicht. Ein großer, genussvoller Schluck aus dem Glas? Bei niemandem.
„Da herrscht eine Stimmung wie auf einem katholischen Priesterseminar, das sich mit dem Thema ‚Unfalltod und vorzeitiges Ableben‘ beschäftigt“, sage ich zum Barmann, und er nickt. „Das ist der toteste Betriebsausflug, den ich je gesehen habe“, bestätigt er. „Die haben extra vorher angerufen und gefragt, ob das möglich sei, sich hier mit über zwanzig Leuten zu treffen und zu feiern, oder ob das nicht zu nervig für die anderen Gäste sei, wenn sie Party machen. Aber von Party merke ich hier gar nichts.“
Mir kommen Zeitungsberichte aus den letzten Tagen in den Sinn, in denen von einem extrem schlechten Arbeitsklima bei Zalando berichtet wird, von Unterdrückung und psychischem Druck, und ich überlege, ob da vielleicht etwas dran ist.
Aber zurück zum Bier!
Bier Nummer Vier: Das Jack Hammer, ein IPA mit 7,2% Alkohol. Es kommt, Ihr habt es erraten, in einem bis zum Rand gefüllten Pilsglas. Ach nein, es ist ja ein Verkostungsglas… Trotzdem gefällt es gut. Kernig gehopft, mit einem kräftigen Malzkörper und einer sehr deutlichen, zum Glück aber nicht kratzigen Bittere im Abgang. Ein sehr stiltypisches India Pale Ale.
Durchaus zufrieden könnte ich mich nun langsam auf den Weg zurück zum Hotel machen. Noch einmal schaue ich mir den Zalando-Totentanz an. Nein, so frustriert möchte ich niemals einen Betriebsausflug machen müssen. Dann lieber das Leben genießen!
Genießen ist auch das Stichwort. Übermütig bestelle ich mir doch noch ein letztes, ein allerletztes Bier. Das Serial Imperial, ebenfalls ein IPA, diesmal mit sehr starken 8,5% Alkohol. Wuchtig in jeder Beziehung. Wuchtig im hopfigen Aroma, wuchtig mit seinem Malzkörper im Mund, und wuchtig mit seiner Bittere beim Schluck und hinterher am Gaumen.
So, dass hat sich dann doch gelohnt – so ein Schlusspunkt.
Wobei gelohnt natürlich auch wieder so ein Stichwort ist. Hat es sich gelohnt, so weit raus zu fahren? Aus meiner Sicht schon, und so fürchterlich weit sind 7,5 km vom Zentrum auch nicht entfernt. Ich als Landei würde das zur Not sogar zu Fuß gehen. Ganz anders aber die Berliner. Auf meine Frage im Internet, wer sich denn hier in Mariendorf mit mir auf ein oder zwei Biere treffen wollen würde, kamen nur Antworten wie „zu weit draussen“, „leider nicht, zu weit raus“, „alles, was nicht an der U8 liegt…“
Für weichgespülte Städter, für die ein um sechs Uhr in der Frühe aufstehen auch schon ein Entschuldigungsgrund ist (da ist bei uns auf dem Dorf schon die erste Runde Stallarbeit erledigt …), ist das in der Tat unüberwindbar. Siebeneinhalb Kilometer, und dann noch mit einmal umsteigen? Nee, ick bitte Dir!
Ach, Berlin … Große Klappe, und wenn es darauf ankommt, nur noch mimimi …
Das Biererlebniszentrum DogTap Berlin ist täglich ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Am besten kommt man mit der U-Bahn, fährt bis Alt-Mariendorf und läuft dann noch etwa eine Viertelstunde. Wenn man Glück hat, kommt während des Fußwegs gerade der Bus vorbei und nimmt einen ein oder zwei Stationen mit.
DogTap Berlin
Im Marienpark 23
12 107 Berlin
Berlin
Deutschland
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