Die kleine Straße windet sich durch das Riesengebirge. Kurve folgt Kurve, immer höher geht es hinauf, und bald schon bedeckt eine geschlossene Schneedecke die Fahrbahn. Langsam rollen wir durch die beeindruckende Landschaft und genießen wunderbare Ausblicke mit Bergen, viel Schnee, strahlend blauem Himmel und Sonnenschein. Paradiesisch schön!
Nicht mehr weit ist es bis zur polnischen Grenze; das letzte Dorf auf tschechischer Seite nennt sich Kleinaupa, Malá Úpa. Und selbst dieses winzige Nest hier oben in den Bergen zerfällt noch einmal in zwei Ortsteile, Unterkleinaupa (Dolní Malá Úpa) und Oberkleinaupa (Horní Malá Úpa). Oberkleinaupa ist dann aber wirklich das Ende der tschechischen Welt, von hier sind es nur noch hundert Meter bis zum Grenzübergang. Das vorletzte (oder ist es das drittletzte?) Haus auf der rechten Seite ist der Grund, warum wir den Ausflug hierher gemacht haben, denn in dieser ehemaligen Wanderhütte braut seit 2015 die Pivovar Trautenberk ihr Bier.
1045 m über dem Meeresspiegel befinden wir uns hier, und wiederum 5 m unter der Erde liegt der alte Keller der Baude, in dem das Trautenberk-Bier entsteht – das Pivo Horalů, das Bergler-Bier.
Die mit dunklem Holz verkleidete Fassade des recht großen Gebäudes hebt sich kontrastreich vor dem weißen Schnee ab. Das Erdgeschoss ist komplett verglast und gibt den Blick auf die Gär- und Lagertanks frei; zwischen den Tanks hindurch kann man in den Gastraum spähen.
Nicht allzu lang halten wir uns hier draußen auf, denn die Sonne scheint zwar schön, aber es ist bitterkalt. Um so gemütlicher ist es dann in der Gaststube. Eine kleine Theke linker Hand, an der die verschiedenen Trautenberk-Biere im Ausschank sind, gegenüber ein paar kleinere Tische und Bänke mit dicken Holzplatten, über denen kunstvoll geschnitzte Leuchten von der Holzdecke herunterbaumeln.
Daneben befindet sich ein etwas tiefer liegender, moderner eingerichteter großer Schankraum mit großen, langen Tischen, weißen Wänden und orange gestrichenen Doppel-T-Trägern, die mit den ebenfalls kunstvoll verzierten, auf alt getrimmten Leuchten kontrastieren.
Auf der anderen Seite sehen wir die Gär- und Lagertanks, die uns schon von außen so gut gefallen haben. Davor eine Gondel aus einem Skilift, die man als Sitzgelegenheit nutzen kann, und mittendrin in diesem Teil des Raums ein gewaltiger Bullerjahn-Ofen, neben dem ein paar Stapel große Holzscheite liegen. Hier kann man sicher auch einen langen, eisig kalten Winter in warmer und kuscheliger Gemütlichkeit verbringen. Hauptsache, das Holz und das Bier gehen nicht aus …
Eine junge und sehr freundliche Kellnerin bringt uns die Speisekarte und fragt nach unseren Bierwünschen. Wohlgemerkt: Nicht nach unseren Getränkewünschen, denn wir sind in Tschechien, und wer hier in einer Brauerei einkehrt und etwas anderes bestellt als Bier, wird neugierig, wenn nicht gar misstrauisch beäugt.
„Einen Pfefferminztee, bitte“, bestellt meine holde Ehefrau ganz mutig und lässt die erschrockenen Blicke der Kellnerin an sich abprallen. „Und ich nehme ein Čtrnáctka, ein Vierzehner, also“, rette ich die Situation. „Aha, das APA, das American Pale Ale“, freut sich die Kellnerin und geht hinter die kleine Theke, um das Bier sofort zu zapfen.
Vierzehn Grad Stammwürze hat das Bier, und wie in Tschechien überall üblich, wird nach der Stammwürze bestellt. Ein Vierzehner, also. Das Bier hat eine schöne, fast schon orange leuchtende Bernsteinfarbe, ist nur ganz leicht trüb und mit einer festen Schaumkrone verziert. Harzige und erdige Hopfenaromen rieche ich, bevor ich den ersten Schluck nehme. Ein bisschen Süße, ein voller Malzkörper, und dann, nach dem Schluck, eine kernige, aber runde Herbe. Nicht kratzig, nicht lange nachhängend. Ein sehr gelungenes Bier.
Der Pfefferminztee meiner Frau ist sicherlich auch nicht schlecht, scheint aber nicht so wirklich konkurrieren zu können, stelle ich fest, als ich ihre sehnsüchtigen Blicke sehe. „Noch ist Zeit, zu tauschen. Du trinkst, und ich fahre“, biete ich ihr an, bekomme aber ein Kopfschütteln zur Antwort: „Tagsüber trinke ich kein Bier, das weißt Du doch!“
„Nun, dann schau wenigstens nicht so neidisch“, stichele ich, aber bevor wir uns weiter liebevoll zanken können, kommt schon das Essen. Hähnchenkeulen, Kartoffelmedaillons, Senfsoße und ein bisschen Salat. Das Tagesgericht. Preislich nicht der Rede wert, geschmacklich aber ganz vorzüglich. Die Hähnchenkeulen sind im Rauch gegart, mit deftigem Rauchgeschmack. Ganz so, wie die Menschen es hier in den Bergen lieben. Fein!
Ein kleines Glas des einfachen Hellen, des Jedenáctka, gönne ich mir noch, gewissermaßen als Nachtisch. Das elfgrädige Bier ist deutlich heller in der Farbe, und es schmeckt im direkten Vergleich natürlich auch ein bisschen dünner, fast schon wässrig. Aber sicherlich nicht schlecht, definitiv ohne Geschmacksfehler – es ist mal wieder nur die Reihenfolge, die sich ungünstig auswirkt, stelle ich fest und denke ein bisschen über dieses klassische Bierverkosterdilemma nach:
Bestelle ich zunächst eines von den leichteren Bieren, dann ergibt es sich vielleicht, dass wir wieder losmüssen, bevor ich die guten Sachen probiert habe, und ich ärgere mich darüber, dass ich etwas wirklich Hervorragendes verpasst haben könnte. Beginne ich jedoch mit den geschmacksintensiveren, meistens auch beeindruckenderen Bieren, dann kommt, wenn wir länger sitzenbleiben, irgendwann der Punkt, wo ich die schwächeren, dann wässrig und dünn wirkenden Biere probiere.
Einen Königsweg gibt es nicht, stelle ich fest und weiß lediglich, dass es heute die verkehrte Reihenfolge war – ich hätte nämlich wissen können, dass wir hier einen Moment länger sitzen bleiben. Wir haben nämlich Zeit, Muße und keinen unmittelbaren Anschlusstermin.
Nun ist es aber zu spät. Zwei Biere habe ich verkostet, ich merke, wie mich eine schöne Nachmittagsmüdigkeit erfasst, und so freue ich mich auf ein kleines Nickerchen auf dem Beifahrersitz.
Für den Abend im Hotel nehmen wir uns noch eine Flasche vom Třináctka, dem dreizehngrädigen Halbdunklen mit. Lustig schauen die kugelrunden PET-Flaschen aus, in denen man das hier vor Ort gebraute Bier mitnehmen kann. Vorsichtig und voller Vorfreude verstauen wir die Flasche im Rucksack und machen uns wieder auf den Weg – weg vom gefühlten Ende der Welt, zurück in die Zivilisation.
Die Pivovar Trautenberk ist täglich ab 11:00 Uhr, an Wochenenden und feiertags schon ab 10:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Man kann zwar mit dem Linienbus bis hierher kommen, aber das ist recht mühselig. Eigentlich ist nur die Anreise mit dem eigenen Auto sinnvoll – dann kann man zwar direkt vor der Brauerei parken, aber, zumindest als Fahrer, nichts trinken.
Pivovar Trautenberk
Horní Malá Úpa 87
542 27 Malá Úpa
Tschechien
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