Die Schneekoppe, der höchste Berg im Riesengebirge, genau auf der Grenze zwischen Tschechien, wo die Kuppe Sněžka genannt wird, und Polen, wo sie Śnieżka heißt, ist vielen wohl nur aus der Werbung für Reform- und Diätprodukte bekannt. Deutscher Tourismus ins Riesengebirge ist noch verhältnismäßig begrenzt.
Doch lohnt es sich nicht nur für Skifahrer im Winter und Wanderer im Sommer, hierher zu kommen. Fährt man nämlich die schmale Straße von Trutnov (Trautenau) in Richtung Norden bis ganz an ihr Ende, bis der große Touristenparkplatz und die Skilifte kommen, dann beginnt hier nicht nur der Wanderweg bis auf die Bergspitze, sondern auch ein wesentlich kürzerer Fußweg von rund 400 m, der zur Pecký Pivovar führt, einer der abgelegensten Brauereien Tschechiens.
Sehr weit ist es ja eigentlich nicht, aber recht steil, und der Weg ist vereist. Vorsichtig setzen wir Schritt für Schritt, und dann sehen wir nach einigen Minuten das graublaue Gebäude mit dem grünen Schriftzug Pecký pivovar vor uns. Besonders ästhetisch ist die Architektur nicht, aber hier in den Bergen vielleicht zweckmäßig. Dicke Betonwände, eine robuste Dachkonstruktion, die die Schneemassen tragen kann, und das Ganze so in den Hang integriert, dass es nicht viel Platz wegnimmt. Form follows function.
Um auf die andere Seite zum Eingang der Brauerei zu kommen, müssen wir noch ein paar Meter weiter gehen, über eine schmale Brücke, und dann auf der anderen Seite des kleinen Baches noch einige Schritte steil hoch laufen. Dann stehen wir in der Mitte eines Ensembles von Gebäuden: Eine Pizzeria, ein Herbergsbetrieb namens Bouda Mama und die Brauerei.
Schon vor dem Eingang begrüßt uns eine schwarze Kreidetafel, auf der in leuchtendem Pink und Orange insgesamt sechs Biersorten angepriesen werden, plus ein gelbes und ein rosa Radler. Nicht schlecht für einen so abgelegenen Betrieb.
Wir drücken die Tür auf und kommen in einen kleinen, gemütlichen Schankraum. Helles Holz dominiert die Einrichtung, in der Mitte des Raumes eine kleine Theke, und linker Hand ein Mäuerchen, hinter dem die zwei kupfernen Geräte des Sudwerks und eine Reihe von Gärtanks zu sehen sind. Neugierig trete ich an die Mauer heran und sehe durch eine verglaste Öffnung im Boden zwischen Sudwerk und Gärtanks in das Stockwerk darunter, wo zahlreiche Lagertanks und Fässer zu sehen sind. Sehr schön – von einem Platz aus hat man den ganzen Braubetrieb im Blick.
Wir nehmen an einem der Holztische Platz und der freundliche junge Mann kommt hinter der Theke hervor und fragt nach unseren Wünschen. „Zum Aufwärmen erstmal jeder eine Tasse Kaffee, bitteschön, und dann sehen wir mal weiter“, bestellen wir, und fleißig macht er sich an die Arbeit.
Derweil blättern wir in der Karte. Einfache, aber bestimmt sehr schmackhafte regionale Kost bietet die Karte, aber wir haben gerade vor einer Stunde erst in der Pivovar Trautenberk gut gegessen. Eigentlich haben wir dort auch schon etwas Bier verkostet, so dass wir am frühen Nachmittag eigentlich kein weiteres Bier trinken sollten. Mahnend schaut mich meine holde Ehefrau an.
Tja, eigentlich hat sie recht, und ich sehe in der Karte ja auch, dass man die hier gebrauten Biere frisch abgefüllt in PET-Flaschen mitnehmen kann. Das wäre doch dann etwas für heute Abend im Hotel, auf der Bettkante, oder nicht?
Sie nickt, und so signalisiere ich dem Kellern, dass wir bitteschön gerne ein einfaches Helles, also das Zwölfer, und ein India Pale Ale, das Sechzehner, mitnehmen würden. Wie fast überall in Tschechien werden die Biere auch hier nach ihrer Stammwürze bezeichnet. Ein helles Lager mit zwölf Prozent Stammwürze heißt also Dvanáctka, Zwölfer, und das India Pale Ale heißt eigentlich obergäriges sechzehner Bier.
Der Kellner nickt, und wir trinken den letzten Schluck Kaffee aus. Als wir aufblicken, steht der junge Mann vor uns und serviert freudestrahlend ein Zwölfer und ein Sechzehner – frisch eingeschenkt im 0,4er Glas. „Ähm, nein, ich hatte doch gesagt, zum Mitnehmen“, erkläre ich. „Ach, klar, stimmt ja!“ Der junge Mann schlägt sich an die Stirn. „Kein Problem“, grinst er.
Das Glas mit dem Zwölfer nimmt er und stellt es einem allein am Tisch sitzenden älteren Mann vor die Nase, der, so wie es ausschaut, nicht nur heute den ganzen Tag hier sitzt: „Trink, ist umsonst!“ Irritiert, aber erfreut schaut der Mann auf, nimmt einen großen Zug und strahlt. Freibier schmeckt immer, wie man sieht.
Das IPA mit seinen immerhin sechseinhalb Prozent Alkohol nimmt der Barmann mit hinter die Theke, stellt es neben die Zapfhähne und schließt zwei PET-Flaschen an die Hähne an. Während unsere beiden Biere zum Mitnehmen langsam in die Flaschen rinnen, nimmt er den Krug und leert ihn in einem kräftigen Zug aus. „Chutný!“, strahlt er, „lecker!“, während wir entgeistert kucken. Ein IPA auf Ex zu trinken – eine stolze Leistung.
Grinsend bringt er uns unsere beiden Flaschen Bier zum Mitnehmen. „So habe ich wenigstens auch mal ein Bier gekriegt“, stellt er fest und lacht. Als ob er hier oben tatsächlich an Biermangel leiden würde…
Wir entlohnen ihn mit einem großzügigen Trinkgeld für seine wirklich liebenswerte Art, sich um uns zu kümmern, packen die Flaschen sorgfältig in den Rucksack und machen uns auf den Weg zurück zum Auto. Hier müssen wir in der warmen Jahreszeit mal herkommen, sind wir uns einig. Eine schöne Wanderung machen, vielleicht sogar bis auf die Schneekoppe hinauf, und dann hier einkehren, etwas Deftiges essen und die guten Biere dazu trinken. Und in der Bouda Mama werden wir dann übernachten können.
Der Schankraum der Pecký Pivovar ist täglich von 11:00 bis 22:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist die Brauerei mit dem Linienbus oder dem Auto, man fährt bis zum Ende der Straße am Nordrand von Pec pod Sněžkou und muss von dort aus noch etwa 400 m zu Fuß ein steiles Anliegersträßchen hochlaufen. Mietet man sich in der Bouda Mama über Nacht ein, dann darf man als Anlieger bis zu den Gebäuden hinfahren und spart sich den Fußweg.
Pecký Pivovar
Pec pod Sněžkou 124
542 21 Pec pod Sněžkou
Tschechien
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