Die Tschechen trinken fast anderthalb Mal so viel Bier pro Kopf der Bevölkerung wie die Deutschen und liegen damit in Europa, vermutlich sogar weltweit, mit großem Abstand an der Spitze. Warum? Ich muss nicht lange überlegen – Bier gehört hier, stärker noch als in Franken, als Alltagsgetränk einfach dazu.
Ich sitze in einem netten Hotel in Brno beim Frühstück, lasse mir ein paar Spiegeleier mit Speck schmecken, trinke, wie es sich gehört, Orangensaft und Kaffee dazu. Und als hätte es nach meinem gestrigen Besuch in der Rukodělný Pivovar a Restaurace Magistr in Brno noch eines zusätzlichen Beweises bedurft, dass Bier in der Tat ein Alltagsgetränk ist, beobachte ich am Nachbartisch einen Herrn, der sich statt des Kaffees einen halben Liter Desítka gönnt, ein Zehnerle – ein zwar nicht übermäßig starkes, aber mit zehn Prozent Stammwürze definitiv auch nicht gerade alkoholfreies Bier. Es dürfte so 3,8 bis 4,0 Prozent Alkohol haben. Und der gute Mann wirkt nicht wie ein Alkoholiker, trinkt ohne Hast, ohne Gier, genießt einfach ein gutes Bier zum deftigen Frühstück … Ich schaue noch einmal auf die Uhr; es ist viertel nach acht.
Rukodělný Pivovar a Restaurace Magistr
Ich denke zurück an gestern Nachmittag, als ich in der Brauerei Magistr saß. Auch dort schon hatte ich den Eindruck, dass das Bier völlig unprätentiös einfach nur dazugehört. Nicht völlig gleichgültig nebenher weggesoffen, aber auch nicht fetischartig überhöht und demonstrativ-affektiert verkostet, sondern einfach nur genossen.
Etwas anderes als ein Bier zum Gespräch, zum Mittagessen, zum zwanglosen Treff mit Freunden? Völlig jenseits der eigenen Vorstellungswelt. Man kommt in der Gruppe in den Schankraum, signalisiert der Bedienung, zu wievielt man ist, und welches der angebotenen Biere es sein soll, und bis man einen gemütlichen Platz gefunden hat, stehen die großen Biergläser schon bereit. Und wenn sie alle sind, wird ohne viel Federlesens die nächste Runde auf den Tisch gestellt. Ohne Hast, ohne Eile, aber auch ohne unnötige trockene Pausen.
Es ist also früher Nachmittag, als ich die Brauerei Magistr betrete; die eigentliche Mittagszeit ist gerade rum, die Bedienungen und der Koch sitzen an einem Ecktisch und essen. Fast habe ich das Gefühl, zu stören. Aber nein, blitzschnell steht eine Kellnerin auf, fragt, welches Bier ich denn haben möchte. Wohlgemerkt, nicht, was ich trinken möchte, denn dass es Bier sein wird, wird als selbstverständlich angenommen.
der Gastraum
Ich werfe einen schnellen Blick auf die Kreidetafel. Wie üblich in Tschechien, sind die Biere nach Stammwürze sortiert. Ein helles Zehner, ein halbdunkles Elfer, ein helles Zwölfer, und das Dreizehner ist ein Roggenbier. „Ein Zwölfer, ein Dvanáctka, bitteschön“, sage ich, und gleich kommt die Frage, ob ich auch etwas essen möchte. Als ich nicke, dreht sich der Koch lachend um, deutet in einer Geste an, dass er sich die Ärmel hochkrempelt, und schiebt seinen leeren Teller beiseite. Er belauscht noch meine Bestellung und verschwindet dann in der Küche.
Während ich auf das Essen warte, genieße ich mein Zwölfer, genauer gesagt, das 12° Scotta Ležák, wie es sich nennt. Sauber im Geschmack, kein Diacetyl, ordentlich gelagert, mit recht geringer Spundung gezapft, schön süffig. Es scheint auch das Standardbier der anderen Gäste zu sein, die sich einzeln oder in kleinen Gruppen im großen Schankraum verteilen. Ein uraltes Männlein, kaum größer als der Bierkrug vor ihm, blättert in der Tageszeitung. Einen Tisch weiter sitzt ein Geschäftsmann und klappert auf seinem Laptop herum. Vor ihm ein Stapel Papiere und ein Bierkrug.
das Sudwerk
Ich wende mich um, schaue zurück in Richtung Eingang. Direkt neben der Treppe, die Brauerei liegt im Tiefgeschoss, steht das kupferne Sudwerk. Zwei kleine Geräte nur, recht eng beieinanderstehend, etwas in die Ecke gequetscht. Bestimmt nicht sehr komfortabel, der Arbeitsplatz des Sládek, wie der Bierbrauer auf Tschechisch heißt. Vor dem Sudwerk, an einem kleinen Tisch, Vater und Sohn, letzterer gerade einmal volljährig, wenn überhaupt. Beide haben einen Halbliterkrug vor sich stehen. Einen Tisch weiter ein junges Pärchen. Er kräftig gebaut, sie grazil und zierlich. Aber auch hier: Zwei Halbe Bier.
das Sudwerk (Detailansicht)
Mein Essen kommt, mein Bier ist alle. „Ještě jedno – noch eins?“, fragt die Kellnerin und schaut mich völlig entgeistert an, als ich die Hand hebe, etwas sagen möchte. „Ja, bitte das Dreizehner, das Roggenbier!“ Aha, der seltsame Ausländer möchte also nur die Sorte wechseln und nicht mit dem Bier aufhören. Ihre Gesichtszüge entspannen sich, die Welt ist wieder in Ordnung.
Es dauert etwas länger, bis ich das Bier bekomme – es schäumt kräftig, die gute Dame tut sich schwer mit dem Zapfen. Aber als es endlich kommt, hat sich das Warten gelohnt. Ein kräftiger, brotiger Geschmack, wunderbar zur Hähnchenbrust in Blauschimmelkäse-Soße. Kräftig und deftig passt gut zueinander. Eine schöne mittelbraune Farbe, eine feste, kremige Schaumkrone; der Duft nach frischer Brotrinde, der Geschmack vollmundig und rund. Aber nicht ganz so sämig, wie ich es bei einem Roggenbier erwartet hätte, und vor allem auch nicht trübe, sondern fast blank. Ungewöhnlich für diesen Stil, aber sehr lecker.
das Roggenbier
Da könnte man ja gerne noch eins …? Ich schaue auf die Uhr. Ich habe eine Einladung für heute Abend, muss noch Blumen kaufen, und dann geht es auch schon los. Die Zeit ist gar zu schnell verronnen. Ich zahle, aber nehme mir vor, hier einmal wieder einzukehren. Einfach nur dazusitzen, ein Bier zu trinken, dann noch eins, und die Menschen um mich herum zu beobachten.
Vater und Sohn haben das zweite Bier vor sich stehen. Das junge Pärchen ebenfalls. Das alte Männlein hat seinen großen Krug alle, und es sieht nicht so aus, als ob er schon gehen möchte. Lediglich der Geschäftsmann hat seinen Laptop zugeklappt, macht sich wohl auf den Weg zu einem Kunden. Statt seiner übernimmt eine Familie – Vater, Mutter, drei Kinder – den Tisch, die Einkaufstüten werden umständlich verstaut, und bis man endlich sitzt, stehen die Getränke schon auf dem Tisch. Saft für die Kleinen, für Mama und Papa jeweils ein großer Bierkrug. Was auch sonst?
Die 2011 gegründete Rukodělný Pivovar a Restaurace Magistr, deren Biere schon einige nationale und internationale Auszeichnungen bekommen haben, ist montags bis sonnabends von 11:00 bis 23:00 Uhr durchgehend geöffnet; sonntags ist Ruhetag. Die Brauerei befindet sich direkt gegenüber der Informatik-Fakultät der Universität, und bis zur Bus- und Straßenbahnhaltestelle Hrnčířská sind es gerade 150 m. Man kann aber auch von der Altstadt aus etwa fünfzehn Minuten zu Fuß bis hierher laufen.
Rukodělný Pivovar a Restaurace Magistr
Hrnčířská 23
OT Veveří
602 00 Brno
Tschechien
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