Wer den englischen Begriff Craft als Synonym für Handwerk nicht nutzen mag (sei es, um Anglizismen zu vermeiden, oder sei es, weil der Begriff mittlerweile als abgedroschen und zerredet gilt), der (oder die) greift gerne zum edleren Latein. Hand heißt Manus, werken oder machen heißt facere – also Manufaktur. Das händische Machen.
Laut Wikipedia ist eine Manufaktur „eine Produktionsstätte von Handwerkern verschiedener Professionen bzw. hochspezialisierter Teilarbeiter eines Handwerks, deren unterschiedliche Arbeitsvorgänge die Fertigung eines gemeinsamen Endprodukts zum Ziel haben.“ Nicht mehr eine einzelne Person, die von Anfang bis zum Ende alles allein macht, aber auch noch keine Fließbandarbeit, in der eine Entfremdung der Arbeitenden vom Endprodukt stattfindet.
In Boitzenburg beherbergt der Marstall, also der ehemalige Pferdestall, der zum Ensemble des Boitzenburger Schlosses gehört, eine solche Manufaktur, in der Lebensmittel noch weitgehend händisch hergestellt werden und die Besucher den Herstellungsprozess sogar beobachten können. Kuchen und Torten werden gebacken, Kaffee wird geröstet, Schokolade produziert, Eiskreme gerührt.
Und Bier gebraut!
der Marstall
2015 gingen die kupfernen Kessel im rechten Flügel des Marstalls in Betrieb; unter der Marke Boitzenburger wurden die ersten Biere verkauft, aber es dauerte noch bis zum September 2020, bis auch das dazugehörige Restaurant in Betrieb gehen konnte und das Bier nun auch vor Ort genossen werden kann.
Bei strahlendem Sonnenschein rollen wir auf den großen Parkplatz vor dem Marstall. Leise knirscht der Kies unter den Reifen. In leuchtendem Orange begrüßt uns das große Schild „Marstall Boitzenburg – Rösterei-Café, Schokoladenmanufaktur, Schaubäckerei, Eismanufaktur, Brauerei“, und wir wissen: Hier sind wir richtig.
der Blick wird direkt auf die Sudkessel gelenkt
Neugierig spazieren wir zunächst durch den linken Gebäudeflügel, bestaunen Torten und Schokolade, die Trommel, in der die Kaffeebohnen frisch geröstet werden, und die bunten und appetitlich aussehenden Eiskremesorten, die direkt hinter dem Eingang angeboten werden. Dann wenden wir uns nach rechts, in den anderen Flügel. Ziegel und gewaltige Holzbalken verleihen der großen Halle ein sehr schönes Flair; der lange Gang in der Mitte lenkt den Blick genau auf die Theke und die Sudkessel. Links und rechts gibt es gemütliche kleine Ecken, größere Räume und ein uriges Tiefgeschoss – egal, ob man ein lauschiges Plätzchen zu zweit oder einen großen Tisch für eine fröhliche Familienfeier sucht, hier wird man fündig.
Heute, bei bestem Sommerwetter, ist drinnen natürlich alles leer. Die Gäste sitzen vor und hinter dem Marstall unter den roten Sonnenschirmen und lassen sich entweder vom Restaurantbereich der Brauerei von den freundlichen jungen Damen und Herren bedienen oder holen sich Kaffee, Kuchen und Eis in Selbstbedienung im anderen Flügel. Für jeden ist etwas dabei.
„etwas Leichtes“ bei 28° im Schatten
Wir nehmen im Biergarten der Brauerei Platz. Gegen alle guten Vorsätze und den gesunden Menschenverstand, der mir rät „Tu’s nicht!“, bestelle ich mir bei einer Außentemperatur von 28° im Schatten ein deftiges Eisbein mit Sauerkraut und Klößen. Ich weiß, dass ich das später bereuen werde, aber vor der Reue liegt wunderbarer Genuss.
Fünf verschiedene Biere können das fette Fleisch nun begleiten – vier Standardbiere hat die Brauerei im Sortiment (Pils, Urtyp, Porter, Weizen), und ein Saisonbier (Bock). Allesamt sind sie von solider Qualität. Sortentypisch, jedes für sich individuell und charaktervoll. Man kann sie als kleine Bierprobe bestellen (5 x 0,1 l) oder im 0,3er oder 0,5er Glas genießen. Und wem das Bier gar zu gut schmeckt, der kann es natürlich auch mit heim nehmen – in der 0,33-l-Bügelflasche, im 5-l-Partyfässchen oder – nach Vorbestellung – im 10, 20, 30 oder 50 Liter Fass. Wie schön!
Meine eigene Kostprobe hat allerdings komplett vor Ort stattgefunden, wenn auch auf zwei Besuche rasch hintereinander verteilt:
Boitzenburger Pils
Die Farbe ist dunkelgolden, das 4,9%ige Bier ist klar, der schneeweiße Schaum hält sich nicht allzu lange. Feine herbe und kräuterige Noten prägen den Duft, der Antrunk und das Gefühl im Mund sind kernig und kräftig, sogar einen Hauch mineralisch, und der Schluck hinterlässt eine deutliche Herbe. Schön, ein selbstbewusst auftretendes Bier.
Boitzenburger Urtyp
Im Vergleich zum Pils ist die Farbe deutlich kräftiger und dunkler, tendiert schon ins Bräunliche. Das etwas stärkere (5,1%) Bier ist ebenfalls klar; der Schaum ist ein bisschen stabiler als beim Pils. Der Geruch ist etwas malziger, runder, aber auch hier sind Antrunk und Mundgefühl durchaus kernig, kräftig und ein bisschen mineralisch. Ich spüre eine gewisse Verwandtschaft zum Pils, auch wenn der Abgang etwas weniger herb ist.
Boitzenburger Porter
Das 6,3%ige Bier ist dunkelbraun, fast schwarz; der Schaum ist ganz leicht beigefarben und hält sich nur in einer ganz dünnen Schicht etwas länger. Die Nase identifiziert ganz dezent metallische und säuerliche Noten, die auf großzügige Verwendung von Röstmalz oder -gerste hindeuten. Der Antrunk ist glatt, schlank, erneut spüre ich ganz leichte metallische Noten und einen Hauch von Säure; die Aromen verbinden sich mit leichten Mokka-Akzenten zu einem angenehmen Gesamteindruck. Der abschließende Schluck ist schwarzbiertypisch schlank und unauffällig, rasch klingt das Bier ab, ohne einen deutlichen Abgang zu entwickeln.
Boitzenburger Bockbier
Rötlich golden schimmert das Bier, es weist eine leichte, gleichmäßige Trübung auf und wird von einer üppigen Schaumschicht gekrönt. Der Geruch ist malzig-aromatisch, sehr rund, mit leichten Biskuit-Aromen. Der Antrunk ist weich, rund und vollmundig, sehr malzbetont, aber dennoch mit einer spürbaren Bittere, die ganz dezent und samtig auch im Abgang für einen Moment erhalten bleibt. Sehr ausgewogen und ansprechend, leider ohne Angabe des Alkoholgehalts.
Boitzenburger Weizenbier
Das Bier leuchtet in der Sonne in strahlendem Orangegold. Es hat eine kräftige, schön gleichmäßige Trübung und wird gekrönt von feinporigem, sahnigen Schaum, der sich schön lange hält. Die Nase erschnuppert viele Fruchtaromen (Banane und Aprikose sind deutlich zu spüren), dahinter liegen aber auch feine Gewürznoten, die ein wenig an Nelken und Kümmel erinnern. Der Antrunk ist für eine Weizenbier erstaunlich wenig spritzig, sondern vielmehr weich und kremig. Nur geringe Bitternoten, die wohl eher von der Hefe als vom Hopfen kommen, machen sich auf der Zunge bemerkbar; es dominieren eher malzig-süße Empfindungen und retronasal viele estrige Fruchtnoten. Das Bier braucht keinen Vergleich mit guten bayerischen Weißbieren zu scheuen. Vorzüglich. Leider ohne Angabe des Alkoholgehalts.
Bedingt durch die CoViD-19-Pandemie hat die Braumanufaktur Marstall Boitzenburg derzeit regelmäßig an die aktuelle Lage angepasste Öffnungszeiten, es empfiehlt sich daher ein Blick auf die Website, um den aktuellen Stand zu prüfen. Zu erreichen ist die Brauerei am bequemsten mit dem Auto, der große Parkplatz direkt vor dem Marstall ist kostenlos. Allerdings darf dann mindestens eine Person kein Bier trinken. Das Fahrrad ist im Sommer auch eine gute Möglichkeit; die Fahrt mit dem nur selten von Prenzlau verkehrenden Bus hingegen ist eher umständlich.
Braumanufaktur Marstall Boitzenburg
Templiner Straße 5
OT Boitzenburg
17 268 Boitzenburger Land
Brandenburg
Deutschland
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