7. Zürich Bier Festival
Zürich
CHE

Ein richtiges Bierfestival? Obwohl Corona noch nicht vorbei ist? Der Gedanke fühlt sich etwas merkwürdig an. Irgendwo im Hinterkopf arbeitet es noch, da köchelt das Unterbewusstsein ein paar Bedenken zusammen.

Aber als ich das Hotel Spirgarten erreiche, wo das 7. Zürich Bier Festival heute, am 18. September 2021, stattfindet, und die Eingangskontrolle sehe, verflüchtigen sich die Bedenken rasch. Nur Geimpfte und Genesene werden eingelassen, und die Zertifikate werden sorgfältig kontrolliert. Das ist zwar aufwändig, aber dafür dürfen wir anschließend auch die Masken ablegen und brauchen keine besonderen Abstände mehr einhalten.

zu Beginn ist noch nicht viel los

Auf geht’s also, hinein in den Theatersaal. Es ist noch ganz früh, und so ist auch noch nicht viel los. Ideal, um erst einmal an allen Brauereiständen vorbeizuwandern und sich einen Überblick zu verschaffen.

der Festival-Shop

Ich werfe einen kurzen Blick in einen Seitenraum, in dem der Festival-Shop eingerichtet ist, und nehme mir vor, dort später einmal hinzugehen und ein paar Flaschen und Dosen zum Mitnehmen in den Rucksack zu packen. Dass ich das vergessen werde und mir es erst wieder einfallen wird, als ich schon wieder zurück im Hotelzimmer bin, das weiß ich jetzt noch nicht …

Während ich also durch die Halle bummele, bleibe ich schon das erste Mal hängen, und zwar am Stand der Schweizer Brauerei Tingel Tangel. Felix und Theresa haben diese Wanderbrauerei gegründet, und es stellt sich raus, dass Felix‘ Vorfahren die schon lang stillgelegte Brauerei zur Stadt Hamburg in Kempten besessen haben. Sogleich sind wir ins Gespräch vertieft, und ich muss aufpassen, dass ich mein 6,5%iges Auftaktbier, ein American IPA namens Citra J. Parker nicht völlig beiläufig wegtrinke, sondern wenigstens mal hinschmecke, was ich denn da Feines im Glas habe.

tingel tangel BEER – Citra J. Parker – American IPA

Der nächste Stand, an dem ich stehen bleibe, gehört zu Dr. Brauwolf. Das ist eine Show Craft-Brauerei, die vom Apotheker und Virologen Stefan Wolf im Sommer 2017 gegründet worden ist. Hier lasse ich mir ein Grapefruit Session IPA mit 4,8% Alkohol einschenken, und nach ein paar netten Worten mit dem jungen Mann hinter dem Tresen gehe ich erstmal raus in die Sonne.

Dr. Brauwolf – Grapefruit Session IPA

Noch sind an den Biergarnituren viele Plätze frei, und so nutze ich die Gelegenheit, auch gleich eine Kleinigkeit zu essen – und zwar eine schön scharfe vietnamesische Pho-Suppe. Die treibt mir ob ihrer Schärfe zwar den Schweiß auf die Stirn, passt aber hervorragend zum Bier und sorgt auch gleichmal für reichlich Flüssigkeits- und Mineralienzufuhr, damit sich das Festival dann besser durchhalten lässt.

Weiter geht es dann mit Pilot, einem simplem, 4,4%igem tschechischem Pilsner der Brauerei Axiom aus Prostějov im Osten Tschechiens. Kjetil Jikiun, der die Brauerei Nøgne Ø in Norwegen gegründet hatte und später nach Griechenland übersiedelte, um auf Kreta die Brauerei Σoλo (Solo) zu gründen, steht dort am Braukessel. Das Bier ist solide, gut trinkbar und in der Nachmittagshitze jetzt hervorragend für meinen Durst. Schön!

Axiom Brewery – Pilot – Czech Pilsner

Das nächste Bier führt mich zurück in die Schweiz. In Hombrechtikon, nur wenige Kilometer von Zürich entfernt, ist 2018 die Brauerei Seebueb gegründet worden, in der, wie sich jetzt herausstellen wird, eine ganze Reihe sehr solide gebrauter Biere entsteht – beispielsweise das 5,7%ige Pale Ale Schumchrönli. Sehr hopfig, aber dennoch ausgewogen und hervorragend durchtrinkbar.

Brauerei Seebueb – Schumchrönli – Pale Ale

Mit der Durchtrinkbarkeit hat es nun aber ein Ende – nachdem ich nun genügend Flüssigkeit zu mir genommen habe, dürfen es jetzt geschmacksstarke Genussbiere sein. Dafür reise ich gedanklich bis nach Luxemburg, und zwar in die Brauerei Totenhopfen. Seit 2017 wird dort kommerziell gebraut, und die Brauerei hatte einen sehr erfolgreichen Start: Bereits im ersten Jahr ihres Bestehens wurde sie im Portal Ratebeer zur zweitbesten neuen Brauerei weltweit, zur besten Luxemburgischen Brauerei und zur besten neuen Luxemburgischen Brauerei gekürt. Diese Erfolgsserie setzte sich fort, denn auch 2019 und 2020 errang sie den Titel der besten Luxemburgischen Brauerei.

Aus ihrem recht umfangreichen Portfolio suche ich mir ein im Tawny Porto Fass gereiftes Juicy IPA mit 6,66% Alkohol aus. Neben vier verschiedenen Beeren wird auch Hibiskustee in diesem Bier verarbeitet. Bloody Vlad haben die Brauer aus Luxemburg dieses Bier genannt – die rote Farbe, auf die der Name anspielt, kommt vom hinzugegebenen Hibiskus; Vlad wiederum ist der Vorname des Grafen Vlad Țepeș, auch als Graf Dracula bekannt. Trotz des blutrünstigen Namens schmeckt das Bier wunderbar weich und fruchtig; die im Fass verbliebenen Aromen des Portweins sind auf beste Weise in das Bier übergegangen und verleihen ihm einen sehr komplexen Charakter.

Totenhopfen – Bloody Vlad – Tawny Porto Wine Barrel Aged Red IPA

So langsam füllt sich auch der große Saal, in dem die Brauereien ihre Stände aufgebaut haben. Ich schlendere einmal mehr an den Ständen entlang und bleibe diesmal bei Dr. Gab‘s hängen. Diese Brauerei gehört mit einem Gründungsjahr von 2001 schon zu den Urgesteinen der Schweizer Bierszene. Ganz im Süden der Eidgenossenschaft, in der Nähe von Lausanne, liegt sie und wirbt  mit dem Claim „Doctor Gab‘s Brewery has been healing evil with malt since 2001.“ Leider sind einige der von ihnen beworbenen Biere schon ausverkauft, und so nehme ich statt des Belgian Amber, das ich mir eigentlich ausgesucht hatte, die Florida Weisse Sour, ein Bier im Berliner Weisse Stil mit roten Früchten, das allerdings deutlich alkoholstärker ausfällt als die klassischen Berliner Weissen aus der deutschen Hauptstadt. Immerhin 6,3% Alkohol verzeichnet die Bierliste für dieses Collaboration-Bier, das gemeinsam mit St. Laurentius aus Bülach nördlich von Zürich entstanden ist.

Docteur Gab‘s / St. Laurentius – Florida Weisse Sour

Da ich nicht so ein Sauerbier-Fanatiker bin, darf es jetzt gerne wieder etwas Fassgereiftes sein. Ich kehre zurück zum Stand der Brauerei Seebueb, wo mich vorhin schon zwei fassgereifte Imperial Stouts angelacht haben – eines Whisky Barrel Aged, das andere Rum Barrel Aged. Beide unter dem Namen Pirat, beide mit 10,6% Alkohol. Klarer Fall, dass ich davon nur kleine Mengen probieren kann – die dafür aber mit ganz besonders viel Genuss.

Brauerei Seebueb – Pirat 1x Whisky Barrel Aged, 1 x Rum Barrel Aged

Meine Vernunft sagt mir, dass ich lieber noch was essen sollte, bevor ich mit dieser Art von Bieren weiter mache. Der Bratwurststand kommt dafür nicht in Frage, denn erstens geht da nur Bargeld, und meine Schweizer Franken habe ich schon beim Vietnamesen verprasst, und zweitens kostet die Bratwurst so viel, dass selbst die Züricher, die mit mir am Tisch sitzen, große Augen kriegen: Eine Bratwurst vom Grill mit Senf und Brot für 13,50 CHF!

Für das gleiche Geld bekomme ich auf der anderen Seite des Biergartens tibetanisches Streetfood: Momo  – mit Fleisch gefüllte und höllisch scharfe Teigtaschen. Die sind nicht nur originell, sondern sie machen auch gut satt und sorgen ob ihrer Schärfe für reichlich Bierdurst.

tibetanische Momos

Den stille ich dann mit einer Kombination aus stillem Wasser aus dem Trinkwasserspender und zwei fassgereiften Bieren aus Brasilien. Die Cervejaria Dádiva aus Várzea Paulista nördlich von São Paulo ist eine von Frauen geführte Brauerei, die gleich eine ganze Auswahl schwerer und exotischer Biere mit nach Zürich gebracht hat. Das Brewer’s Cut #4, ein 14,3%iger Barrel-Aged Triplebock aus dem Portweinfass, und der Oak Stick Bug, ein 11,7%iger Barley Wine, der in Kollaboration mit Quatro Graus aus Rio de Janeiro entstanden ist, munden vorzüglich und runden meinen Besuch beim Zürich Bier Festival ganz hervorragend ab.

Cervejaria Dádiva – Brewer’s Cut #4 – Barrel-Aged Triplebock Port Wine
Cervejaria Dádiva / Quatro Graus – Oak Stick Bug – Barrel Aged Barley Wine

Langsam legt sich die Dämmerung über den Biergarten; es wird frischer, und ich merke, wie mir insbesondere die schweren Biere sachte zu Kopf steigen. Es wird Zeit, sich zu trollen. Zwar ist es noch recht früh, aber die Vernunft siegt. Zum einen habe ich wirklich eine große Zahl hervorragender und interessanter Biere verkosten können, zum anderen weiß ich auch, was jetzt passieren wird: Wie auf allen Bierfestivals wird die Hemmschwelle fallen. Schwerste und teuerste Biere werden „gegen den Durst“ getrunken und gar nicht mehr richtig wertgeschätzt. Und am nächsten Morgen folgt die Reue …

Nein, da bleibe ich wirklich vernünftig und freue mich stattdessen auf die nächste Auflage dieses kleinen, aber sehr feinen Festivals, die – sofern Corona nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht – für Ende März 2022 geplant ist.

Bilder und Impressionen

7. Zürich Bier Festival
Spirgarten
Lindenplatz 5
8048 Zürich
Schweiz

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