Cierzo
Zaragoza
ESP

Ähnlich wie der Mistral im Rhône-Tal oder die Bora auf dem Balkan fegt der Cierzo südlich der Pyrenäen regelmäßig als kräftiger, fast schon stürmischer Wind über die Felder und durch die Städte und erreicht häufig Windgeschwindigkeiten von mehr als 100 km/h. Kommen seine Böen unverhofft, dann bietet sich in Gastgärten und auf Terrassen ein spannendes Schauspiel, wenn Kellner und Gäste gemeinsam versuchen, zu retten, was noch zu retten ist. Speisekarten, Servietten, Gläser, Tischdecken oder über die Stuhllehne gehängte Jacken fliegen umher, es ist ein Gerenne, und es herrscht große Aufregung.

Man kann natürlich auch sein Bierglas festhalten und stur sitzenbleiben, warten, bis die Hektik vorbei ist und dann ganz langsam und souverän nach drinnen gehen. Funktioniert meistens ganz gut, wenn man nicht gerade von umherwehendem Kleinkram getroffen wird oder sich Straßenstaub und Blätter im Bierglas sammeln.

Nach diesem Wind ist die Cierzo Brewing Co. in Zaragoza benannt, die ihr Brewpub mitten im Stadtzentrum hat. Und zwar ohne eine Außengastronomie – wohl aus gutem, bekanntem Grund.

der Schankraum im Industrial Chic

Als wir am späten Nachmittag den Schankraum betreten, staunen wir erstmal. Nicht über die zeitgemäße und ansprechende Inneneinrichtung, die unverkleidete Ziegelwände im Industrial Chic mit dicken Ledermöbeln kombiniert. Auch nicht über die über der Theke hängenden Ausschanktanks mit den hier gebrauten Bieren oder die zahlreichen Auszeichnungen, die die Cierzo-Biere in den vergangenen Jahren auf den verschiedensten Wettbewerben bekommen haben und die nun neben der Eingangstür an der Wand hängen.

Nein, was uns ein Staunen abringt, das ist, dass die lange Liste der hier angebotenen Fassbiere rund zwanzig verschiedene Biere aus eigener Produktion umfasst – ein gewaltiges Portfolio, das von simplem und gut durchtrinkbarem Blond, Pils oder Altbier bis hin zu schweren Baltic Porters, Quadrupels und Imperial Stouts und experimentellen Bieren wie zum Beispiel Bieren mit Chili, Algen oder Vanille reicht. Das alles durchzuprobieren, dürfte unsere Möglichkeiten übersteigen – wir sind schließlich nur für zwei Tage in der Stadt …

Wow! Das ist doch mal eine Auswahl!

Aber wir starten trotzdem einen Versuch, uns wenigstens einen Teil des Angebots „zu erarbeiten“. Wir beginnen mit dem Düssel, einem 5,5%igen Altbier. Kräftig braun, mit einem beigefarbenen Schaum, feinen Röstaromen und einer prägnanten Bittere kommt es den an der längsten Theke der Welt, wie die Düsseldorfer Altstadt sich selbst gerne nennt, ausgeschenkten Bieren sehr nahe – das ist schon mal ein guter Auftakt.

Auch das ebenfalls 5,5%ige La Federal, ein Chili Porter, gefällt gut. Nicht zu stark im Alkohol, schöne Röst- und Kakaoaromen, und dazu eine feine Schärfe, die gerade ausreicht, ordentlich Durst zu machen, ohne zu lange im Mund und Rachen zu brennen. Fein!

Um uns herum ist ein lebhaftes Treiben. Gäste kommen und gehen, die meisten schneien auf ein schnelles Bierchen an der Theke rein und verschwinden rasch wieder, und nur wenige lassen sich jetzt, am Nachmittag, etwas länger an einem der Tische nieder.

Wir sind am Überlegen. Wollen wir uns hier festsetzen und weiter verkosten, oder wollen wir unseren Bummel durch die Stadt fortsetzen? Ach, komm, es sitzt sich gerade so schön, und niemand wird uns im Urlaub verbieten, schon um diese Uhrzeit ein weiteres Bier zu trinken. „Nicht einmal dann, wenn es sich um ein Starkbier handelt“, fügt meine holde Ehefrau augenzwinkernd hinzu und bestellt für uns das Back to Black, ein Imperial Stout mit 9,0% Alkohol, und das Valhalla, ein ebenso starkes Imperial Baltic Porter, das in Zusammenarbeit von Cierzo mit Pyrene Craft Beer entstanden ist.

Tja, damit ist klar, dass wir nun ein Weilchen hier sitzen bleiben werden …

Düssel – Altbier; La Federal – Chili Porter; Back to Black – Imperial Stout; Valhalla – Imperial Baltic Porter

Das Imperial Stout ist nahe an der Perfektion – rund und voll, ausdrucksvoll und aromatisch, kremig und vollmundig, röstig herb und bitterschokoladig. Es passt alles!

Leider kann man das vom Baltic Porter nicht sagen, es hat einen kleinen Säurestich, der uns überhaupt nicht gefällt – insbesondere, weil er deutlich über die leichte Säure, die Röstgerste manchmal in ein Bier bringen kann, hinausgeht. Nicht stark genug, um das Bier zu reklamieren, aber intensiv genug, um unser Missfallen zu erregen. Nicht unser Fall, auch wenn andere es mit viel Appetit trinken.

Mit fortschreitendem Genuss (und natürlich auch langsam steigendem Alkoholpegel …) sinken wir immer tiefer in die weichen Polster des Ledersofas. Die vielen bunten Eindrücke eines abwechslungsreichen Urlaubstags verschwimmen im bunten Kaleidoskop unserer Gedanken.

auf dem Ledersofa ist es allzu bequem

„So, auf jetzt, sonst schlafen wir noch ein“, bestimmt meine Holde und springt auf. „Ich will noch ein bisschen von der Stadt sehen. Und hier, hier kommen wir morgen Mittag wieder her, dann können wir zu den Bieren auch gleich eine Kleinigkeit essen!“

Gesagt, getan, und so sitzen wir am Folgetag, dem 9. Juni 2022, gleich wieder hier. Diesmal aber nicht in den tiefen Lederpolstern, sondern an einem simplen Holztisch mit ebenso simplen Stühlen – da isst es sich einfach bequemer.

Diesmal halten wir uns mit dem Alkoholgehalt aber etwas zurück. Draußen brennt die Mittagssonne, und wenn wir nach dem Besuch im Brewpub keine Kreislaufkollaps erleiden wollen, dann beschränken wir uns jetzt zum Essen auf je ein „normales“ Bier. Und damit sind wir auch hochzufrieden, denn sowohl das Carnivale, ein 5,0%iges Belgian Pale Ale, als auch das 20 Minutos, ein 6,0%iges West Coast IPA der befreundeten Brauerei Refu Birrería, munden ganz vorzüglich und sind sehr stilgetreu.

Munden tut auch das vorzügliche Menü. Wie in der Region üblich, gibt es neben einem Tellerchen mit Oliven („Warum schmecken Oliven eigentlich überall so viel besser als in Deutschland???“) drei Gänge – eine feine Vorspeise, einen deftigen Hauptgang und ein buntes und kalorienschweres Dessert. Lassen wir doch einfach mal die Bilder sprechen:

die Bilder sprechen für sich

Gut gesättigt und sowohl mit der Qualität der Küche als auch mit dem freundlichen und aufmerksamen Service hochzufrieden, schauen wir uns noch einmal um, blicken auf die simple und mit stumpfem Kupfer verkleidete, winzige Brauerei, bestaunen die lange Reihe von Lagertanks und blicken noch einmal auf die große, weiße Tafel mit den rund zwanzig Fassbieren. Beeindruckend, auch wenn wir wissen, dass die Masse der Biere nicht mehr hier, sondern vor den Toren der Stadt gebraut wird.

Geht denn noch ein kleiner Abschiedsschluck? Als wirklich allerletztes Bier für den heutigen Besuch gönne ich mir noch ein Hersbrucker, ein simples, mit 5,8% recht starkes Pils, das seinen Namen zu Recht trägt: Wunderbare Hopfennoten, kräuterige und heuartige Aromen und eine schöne, geradlinige Bittere gefallen mir sehr. Wer auch immer hier bei Cierzo am Sudkessel steht – er oder sie kann was. Die Biere sind wirklich gut.

Carnivale – Belgian Pale Ale; 20 Minutos – West Coast IPA (Refu Birrería); Hersbrucker – Pils

Sollten wir irgendwann mal wieder nach Zaragoza kommen – ein Besuch hier ist gesetzt. Definitiv.

Das Brewpub der Cierzo Brewing ist dienstags und mittwochs von 13:00 bis 16:00 Uhr und dann wieder ab 19:00 Uhr geöffnet; donnerstags bis sonnabends ist ab 13:00 Uhr durchgehend offen, und sonntags und montags ist zu. Zu erreichen ist das Brewpub bequem zu Fuß, es liegt mitten in der Altstadt. Von der Straßenbahnhaltestelle Plaza de España kann man es in knapp einer Minute schaffen, hierher zu kommen …

Bilder

Cierzo Brewing Co.
C. Josefa Amar y Borbón, 8
50 001 Zaragoza
Spanien

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