Ich mag Berlin nicht. Die Stadt ist unendlich dreckig – die Straßen voller Müll, alles, woran man sich festhalten könnte, ist klebrig, und überall stinkt es nach Pisse. Und wenn man mal keine Pisse riecht, dann nur, weil einem ein übermotorisiertes Auto seine Abgasschwaden ins Gesicht bläst, was alles überdeckt. Vielleicht fährt es einen auch gleich ganz um. Oder das erledigt ein Kampfradler.
Trotzdem gibt es auch Ecken mit schöner Atmosphäre, Ecken, die Geschichten erzählen.
Eine solche Ecke ist das Brauhaus Neulich. Natürlich an einer Straßenecke gelegen. Gewissermaßen die Luxusversion einer Eckkneipe.
die Luxusversion einer Eckkneipe
Vor sieben Jahren haben sich hier ein paar junge Leute zusammengefunden, sich gesagt „Lass doch machen!“ und eine Brauerei gegründet. Aus dem „Lass doch machen!“ wurde rasch der Hashtag #machdoch, und aus den Anfängen der Brauerei wurde ein etablierter Betrieb.
„Muss ich mir mal ankucken, auch wenn ich nur wenig Zeit habe“, denke ich mir und nutze eine Pause, bevor der Nachtzug fährt, um mal eben schnell vom Hauptbahnhof in den sogenannten Schillerkiez in Neukölln zu fahren und ein oder zwei Bierchen zu trinken.
In der S- und der U-Bahn stinkt es. Heute zur Abwechslung mal nicht nur nach Pisse, sondern bei schwülem Gewitterwetter und Temperaturen weit über 30° nach Schweiß. Leider nicht nur nach frischem – der Berliner als solcher versucht offensichtlich, auch längere Hitzeperioden ohne vorzeitige Wäschewechsel zu überstehen.
Um so angenehmer dann die Überraschung, als ich den Schankraum betrete. Hier stinkt nichts, hier klebt nichts, und es ist auch sauber und aufgeräumt. Die Graffiti an den Wänden, das lustig bunte Durcheinander des Mobiliars – das ist atmosphärisch und gewollt. Nette Kneipenatmosphäre.
nette Kneipenatmosphäre
Die beiden Damen hinter der Bar begrüßen mich freundlich und helfen mir, in der acht Positionen umfassenden Bierliste nicht die Übersicht zu verlieren. „Die Sportmolle, unser Alkoholfreies, haben wir gerade nicht, dann haben wir ein Gastbier von der Schneeeule, und das Hefeweizen ist vom Straßenbräu. Du kannst gerne ein Vierer- oder ein Achtertestbrett haben.“
Ich wähle das Vierer, denn nach dem Achter würde ich nachher im Nachtzug wohl ständig auf’s Klo rennen müssen, befürchte ich. Augenblicke später steht ein Skateboard vor mir auf der Theke. Mit blockierten Rädern natürlich, sonst wären die vier Probierbiere wahrscheinlich schneller verschüttet, als ich sie verkosten könnte. Eine nette Idee für ein Testbrett!
Testbrett oder Surfbrett
Das 4,7%ige Original macht den Auftakt – ein klassisches malzbetontes, würziges Bier. Gefällt mir. Ein bisschen glatter und nichtssagender das 5,1%ige Hell, das aber keinerlei Geschmacksfehler aufweist, halt nur ein bisschen langweilig wirkt. Das 5,4%ige Pilsner weist eine leicht kräuterige Hopfennote auf und ist ebenfalls gut gelungen. Drei klassische, definitiv nicht experimentierfreudige, sondern konservative Biere, die so gar nichts von dem haben, was ich in einer Berliner Brauerei erwartet hätte. Erst das vierte Bier, das 4,5%ige Red IPA bringt ein bisschen Exotik auf mein Skateboard. Angenehm brotige Malznoten paaren sich mit fruchtig-blumigen Hopfenaromen – und obwohl es das alkoholschwächste Bier meiner Auswahl ist, so ist es doch gleichzeitig auch das ausdrucksstärkste. Gelungen!
vier interessante Biere
Ich blicke auf die Uhr … es ist schon wieder Zeit, aufzubrechen. Es dauert mit S-Bahn und U-Bahn dann doch etwas über eine halbe Stunde, bis ich wieder am Hauptbahnhof bin. Schön war’s trotzdem.
Aber … wo ist eigentlich die Brauerei? Das Sudhaus?
„Aufm Weg zum Klo kommste dran vorbei“, heißt es, und erstaunt werfe ich einen Blick in den offen stehenden Seitenraum. Eine ganz simple Anlage steht dort. Ein paar einfache Stahltöpfe, wohl von Polsinelli, und das war’s. Rundum liegen Sachen rum, für einen Außenstehenden wirkt alles etwas unübersichtlich, wenn nicht sogar unordentlich. Aber sauber!
Blick ins Sudhaus
Letzteres muss es ja auch sein – beim Brauen ist putzen das A und O. Viel zu oft habe ich schon erlebt, dass sich mangels Hygiene ein „Hausgeschmack“ eingestellt hat, dass also alle Biere einer Kleinbrauerei mit demselben Fremd-Mikroorganismus kontaminiert waren und wahlweise muffig, dumpf oder gar faulig geschmeckt haben.
Davon kann im Brauhaus Neulich aber nicht die Rede sein. Alle vier Biere waren blitzsauber und fehlerfrei. Womit der Beweis erbracht wäre, dass man auch auf einer ganz simplen Kleinanlage (gerade 300 Liter können hier auf einmal gebraut werden) fehlerfreie Produkte hinkriegt. Wenn man’s kann.
Insofern greife ich den Hashtag auf und schreibe dem Brauer (oder der Brauerin?) von hier aus: #machdoch!
#machdoch weiter!
Das Brauhaus Neulich ist dienstags bis freitags ab 15:00 Uhr, sonnabends und sonntags ab 12:00 Uhr geöffnet; montags ist zu. Direkt nebenan befindet sich Han West, wo es leckere Dumplings und Baos gibt. Zwischen den beiden Läden gibt es eine Kooperation – man darf sich die Dumplings gerne mit ins Brauhaus nehmen und dort zum Bier essen. Zu erreichen ist das Brauhaus am besten mit der U8, Haltestelle Boddinstraße, und von dort aus sind es vier, fünf Minuten bis ans andere Ende der Selchower Straße.
Brauhaus Neulich
Selchower Straße 20
12049 Berlin
Berlin
Deutschland
Hinterlasse jetzt einen Kommentar