Nachtrag 10. Mai 2024: Es gilt wie so oft im Leben – es ist leichter gesagt, als getan. Mittlerweile haben wir Mai, aber Selbstgebrautes aus Arturs Brauerei gibt es dennoch nicht. „Es dauert wohl doch noch ein paar Monate länger“, gibt Artur zerknirscht zu. „Zu viel Arbeit, ich mache vieles selbst, und dann kommt ja auch noch die verdammte Bürokratie hinzu …“
Wir stehen mit einer Gruppe von Schweizer Biersommeliers im Rohbau seiner Brauerei, schauen auf die beiden Sudkessel, die noch in Folie eingewickelt sind, und sinnieren darüber nach, wie viele Stunden fleißiger Arbeit hier wohl noch zu investieren sind, bis der erste Sud starten kann.
die Sudkessel sind noch in Folie eingewickelt
Immerhin können wir aber schon mal ahnen, wie es hier aussehen wird. Ein schöner großer Schankraum wird es werden, mit Blick durch die großen Fenster auf den Fußgängerbereich rund um das Gebäude.
„Im Keller stehen meine Gär- und Lagertanks, kommt mit“, lädt uns Artur ein und flitzt schon mal die Stufen hinunter. Wir folgen, und auch hier: Die Tanks sind da, aber noch in Folie eingewickelt, noch nichts ist angeschlossen, und es sind noch tausenderlei Kleinigkeiten zu erledigen. „Der Keller ist noch Original, nur das das Gebäude obendrüber ist ein Nachbau“, erzählt Artur und lotst uns weiter in einen der hinteren Räume. „Wir sind jetzt wieder unter dem alten Gebäude“, heißt es, „und hier entsteht die Küche!“
Auch hier wieder: Das Gerät und Material ist da, aber noch nichts ist angeschlossen oder gar funktionsfähig. Das wird in der Tat alles noch ein paar Monate dauern – vor Ende des Jahres läuft da wohl nix.
Wir steigen die Treppe wieder hoch, gehen außenrum, und dann geht es wieder in den Keller – diesmal in Arturs Pub Piwnica pod Galerią. Es ist noch Zeit für ein Bier, und dann muss unsere Gruppe schon wieder aufbrechen – der Zug zurück nach Szczecin wird nicht auf uns warten. Wir gönnen uns ein Single Hop Hazy American Pale Ale mit Vermelho-Hopfen, aus der Serie Hop Heads von AleBrowar. Ein schönes und ausdruckstarkes Bier. Ein angenehmer Begleiter für ein paar gute Gespräche.
„Good Luck, Artur, wir drücken die Daumen. We keep our fingers crossed!” Mit dem Versprechen, dass ich wieder vorbeischauen werde, wenn dann tatsächlich das erste eigene Bier aus dem Zapfhahn kommt, verabschieden wir uns.
Piwnica pod Galerią
„Ich brauche jetzt dringend ein Bier – ich bin dehydriert und unterhopft“, schimpft Bierpapst Conrad Seidl am 28. Oktober 2023 gegen Ende eines kleinen Spaziergangs mit unseren Frauen durch das westpommersche Stargard. Unser Besuch in der Miejski Browar Stargard liegt zwar erst eine gute Stunde zurück, aber wenn er meint …
„Außer der Brauerei, in der wir eben waren, kenne ich hier aber noch keine guten Adressen“, erkläre ich ihm und ergänze: „Wir können nur auf gut Glück in irgendeine Bar oder Kneipe gehen.“
„In die da?“ Conrad weist auf ein Hinweisschild am Marktplatz. Piwnica pod Galerią steht dort. „Piwnica, das hat doch irgendwas mit Bier zu tun, oder?“, mutmaßt er.
Piwnica pod Galerią
In der Tat. Piwnica heißt Bierkeller, also stiefeln wir jetzt die schmale und steile Treppe in den Bierkeller unter der Galerie hinunter. Wir kommen in eine kleine, nette Bar. Kein Gast weit und breit, nur der Barmann wischt grade die Theke nass ab und räumt ein wenig auf.
„Hier ist aber schon geöffnet, oder?“, frage ich, und ohne aufzuschauen murmelt der Barmann: „Ja, ja, ich kümmere mich gleich um Euch!“
Die Damen setzen sich schon mal, während Conrad und ich uns an die Theke stellen. Der Barmann verräumt seinen Putzlumpen und schaut auf: „Was darf ich Euch anbieten?“
Und dann, ganz verdutzt: „He, wir kennen uns doch!“ In Windeseile kommt er um die Theke herum und haut mir auf die Schulter. Artur Słowik – ein polnischer Hausbrauer, den ich von den regelmäßigen Treffen der westpommerschen Sektion der Polnischen Hausbrauervereinigung PSPD (Polskie Stowarzyszenie Piwowarów Domowych) kenne. „Das ist ja eine Überraschung!“
„Und das ist der Bierpapst Conrad Seidl,“ deute ich auf meinen Nachbarn, und Artur nickt: „Dich habe ich natürlich auch schon gesehen, bei Facebook, oder so! Das ist ja eine Freude, Euch hier zu haben!“
So ein schönes Treffen: Volker, Conrad & Artur
Noch bevor er uns ein Bier anbietet, heißt es aber: „Kommt mal mit!“, und er zieht uns die steile Treppe wieder hoch. Oben angekommen, laufen wir einmal um den Häuserblock herum zur Rückseite des Gebäudes. „Kuckt mal, ich habe das alte Offizin wieder aufgebaut, und ratet mal, was da drin jetzt entsteht: Ein Brauerei!“ Artur platzt fast vor Stolz.
„Drei Hektoliter, aber mindestens ein Lagertank soll sechs fassen, für einen Doppelsud, damit ich ein Bier habe, was ich als Basisangebot zapfen kann, für die ‚normalen‘ Biertrinker. Ihr seht drinnen noch nichts, das ist noch Baustelle, aber spätestens im Mai soll in der Piwnica pod Galerią das erste vor Ort gebraute Bier ausgeschenkt werden!“
Was für schöne Nachrichten – da werden wir, absolut vom Zufall geleitet, doch tatsächlich Zeuge der ersten Schritte einer neuen Gasthausbrauerei!
der Rohbau steht schon mal
Zurück im Bierkeller müssen wir darauf natürlich anstoßen.
Conrad entscheidet sich zunächst für ein Grodzisk White IPA und anschließend noch für ein „normales“ Grodziskie. Dieser spezielle polnische Bierstil war vor rund fünfzehn Jahren quasi ausgestorben, als die Brauerei in Grodzisk ihre Pforten für immer schloss. Das mit gerade mal drei Prozent Alkohol sehr leichte Rauchweizenbier mit extrem hoher Spundung und einer feinen, erfrischenden Säure verschwand von einem Tag auf den anderem vom Markt. Es war nur noch in Grodzisk Wielkopolskie selbst gebraut worden – die Hochzeit dieses Bierstils, während der Grodziskie oder deutsch benannt Grätzer überall in Polen und im Großraum Berlin gebraut und getrunken wurde, war schon lang vorbei.
Lediglich ein paar Haus- und Hobbybrauer versuchten sich unverändert an diesem Bierstil, und ehemalige Mitarbeiter der Brauerei in Grodzisk stellten sich gerne als Juroren bei den entsprechenden Hausbrauwettbewerben zur Verfügung.
das Original Piwo z Grodziska
Erst vor wenigen Jahren fand sich ein Investor, der in Grodzisk auf dem alten, längste geplünderten Gelände eine neue Brauerei errichtet, und mittlerweile gibt es sowohl das Original-Grodziskie als auch ein paar kreative Abwandlungen wieder in den guten Getränkemärkten.
Conrad ist zufrieden. Das Original Grodziskie aus der Flasche ist stilecht, erfrischend und fein rauchig, während das deutlich alkoholstärkere Grodziskie White IPA vom Fass neben den ausgeprägten Hopfenaromen auch mit einer interessanten, aber eigentlich nicht beabsichtigten Diacetyl-Note aufwartet und einen recht deutlichen buttrigen Geschmack aufweist.
Tja, und ich? Als Fahrer bleibt mir heute nichts anderes übrig, als ein Alkoholfreies zu bestellen. Aber Artur hat einen guten Tipp: „Schau mal, ich habe von Kormoran das 1 na 100, ein Bier mit einem Prozent Alkohol. Spannend mit amerikanischen Aromahopfen gestopft, schmeckt das richtig gut, fast wie ein ‚richtiges‘ Bier!“
Den Vorschlag greife ich gerne auf, und in der Tat: Ein hopfenaromatisches, erfrischendes und gar nicht süßlich-getreidig wie sonst schmeckendes, fast alkoholfreies Bier. Sehr schön!
Unseren holden Ehefrauen bin ich damit ein Vorbild. Neben ihrem Mineralwasser bestellen sie sich ebenfalls dieses extrem niedrig-alkoholische Bier.
Kormoran – 1 na 100
Es bleibt noch ein wenig Zeit, die in der Bar ausgestellten Bilder zu betrachten – ansprechende erotische Kunst – bevor wir uns wieder auf den Weg machen.
Artur bekommt noch ein handsigniertes Exemplar des Beer Guides von Conrad überreicht, und dann trollen wir uns. Natürlich nicht ohne das Versprechen, dass zumindest ich im Mai bei der Eröffnung von Arturs Brauerei dabei sein werde!
Die Piwnica pod Galerią ist eine ansprechende, kleine Keller-Bierbar direkt am Marktplatz der Stadt Stargard. Sie Craftbierbar zu nennen, wäre übertrieben, aber es gibt interessante und vom Standardangebot der Industriebrauereien abweichende Biere vom Fass und eine nette Auswahl von zusätzlichen, ebenfalls interessanten Flaschenbieren. Und bald schon, ab Frühjahr nächsten Jahres, das eigene, selbstgebraute Bier!
Die Piwnica pod Galerią ist täglich ab 18:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist sie ganz einfach: Sie liegt direkt am Altstadtmarkt (Rynek Staromiejski), zwischen Rathaus und Marienkirche. Möchte man mit dem Auto kommen und nur das einprozentige Bier trinken, dann kann man hundert Meter weiter nördlich sein Auto kostenfrei auf dem großen Innenstadtparkplatz abstellen.
Piwnica pod Galerią
Rynek Staromiejski 4
73-110 Stargard
Polen
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