2011 war das Internationale Jahr des Waldes. Für Axel Kiesbye war es der Anlass, ein Waldbier zu brauen, also ein Bier, in dem Zutaten aus der Natur, aus dem Wald mit verbraut werden sollten.
Das erste Bier enthielt neben den klassischen Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe junge Triebe von Tannen, sogenannte Maiwipferl.
Mit diesem ersten 2011er Waldbier war eine neue Idee geboren, und fortan brachte Axel jedes Jahr ein neues Waldbier auf den Markt. Immer mit einer besonderen Zutat aus dem Wald, immer in Zusammenarbeit mit den österreichischen Bundesforsten. Ob Blätter, Früchte, Rinde oder Triebe – immer waren es besondere, aromatische Zutaten, die dem Bier einen ganz eigenen Charakter verleihen.
Man müsste diese Biere alle mal parallel verkosten, um die individuellen Eigenheiten und die Unterschiede ganz konkret zu erfahren, dachte sich vermutlich nicht nur der Biersommelier Frank Di Marco. Aber er war es, der diesen Gedanken auch in die Tat umgesetzt hat und heute, am 24. Februar 2024, zu einer Parallelverkostung von zehn verschiedenen Jahrgängen des Waldbier (plus einer Sonderedition eines Sauerbiers) einlädt.
zehn plus eins spannende Biere
Nach Jahreszahlen sortiert und fein säuberlich aufgereiht stehen zehn Kartons und zehn Flaschen der Jahrgänge 2014 bis 2023 auf der Anrichte in Franks Wohnzimmer, daneben noch eine Flasche eines Sauerbiers von Axel Kiesbye, und auf dem schön gedeckten Esstisch serviert uns Franks Frau ein dreigängiges Menü, das nicht nur auf die Aromen der Waldbiere abgestimmt, sondern zum Teil auch mit Waldbier als Zutat zubereitet worden ist.
In kleiner Runde verkosten wir uns nun durch die Biere. Wir, das sind neben Claudia und Frank Di Marco und meiner Wenigkeit noch zwei weitere Biersommeliere. Um die Biere mit dem Essen noch besser matchen zu lassen, weichen wir allerdings von der klassischen Reihenfolge 2023 rückwärts bis 2014 ab und beginnen mit dem 2022er als Aperitif, gehen dann fast korrekt chronologisch rückwärts, schieben das Sauerbier zur Auflockerung mittendrin rein und variieren ganz am Ende noch einmal, indem wir das mit Wildkirsche gebraute Waldbier parallel zum Dessert öffnen.
Auf geht’s also zu einer kulinarischen Reise durch die Wälder Österreichs.
Biere Nr. 1 bis 6
Kiesbye Waldbier 2022 – Wachauer Auwald [mit Mädesüß und Silberweide] (6,2%): Als Aperitif hervorragend geeignet. Süßlich-kremige Mädesüßaromen schmeicheln schon der Nase vor dem ersten Schluck. Die Silberweide fügt ein paar würzigere Akzente hinzu und nimmt dem Bier die zu kräftige Süße. Eine niedrige Spundung macht das Bier weich und geradezu kremig. Ein hervorragender Auftakt.
Kiesbye Waldbier 2023 – Ausseer Mischwald [mit Vogelbeere und Tanne] (6,5%): Ein bisschen würziger, ein bisschen kräftiger, ein bisschen spritziger … und somit insgesamt etwas weniger harmonisch, sondern eher fordernd im Vergleich zum ersten Bier präsentiert sich der jüngste auf dem Markt verfügbare Jahrgang – obwohl viele Ähnlichkeiten in der grundlegenden Sensorik bestehen. Ein ganz leicht adstringierender, rauer Effekt auf der hinteren Zunge und am Gaumen stört den insgesamt ebenfalls hervorragenden Eindruck überhaupt nicht. Die kremige und aromatisch-kräftige Champignonkreme-Suppe passt vorzüglich dazu: Champignons, Sahne, Milch, Gemüsebrühe, Zwiebel, Petersilie, Schnittlauch, Zitrone.
Kiesbye Waldbier 2021 – Tiroler Bergwald [mit Zirbe und Schwarzbeere] (5,9%): Noch ein bisschen würziger, noch ein bisschen kräuteriger, noch ein bisschen rauer und kantiger und noch ein bisschen stärker adstringierend präsentiert sich das dritte Bier für heute, das ansonsten den beiden Vorgängern aber recht nahe steht. Eine gewisse familiäre Zugehörigkeit aller drei Biere lässt sich nicht verleugnen, auch wenn natürlich trotzdem jedes der Biere für sich höchst individuell riecht und schmeckt. Die Pilzsuppe ist noch nicht alle, und auch dieses Bier harmoniert ganz vorzüglich dazu.
Kiesbye Waldbier 2022 – Eiche Barrique [mit Eichenholz gereift] (6,2%): Der Jahrgang 2022 ist der erste, der ein bisschen aus der Art schlägt und die Familienzugehörigkeit nicht sofort erkennen lässt. Ein rauer, etwas ungestümer Charakter lässt uns im ersten Moment an belgische Saisonhefe denken, auch wenn dann eigentlich mehr Phenole in der Nase und nach dem Schluck retronasal zu spüren sein müssten. Schön, wie der holzige Charakter sehr prägnant, aber nicht zu dominierend ist. Auch ohne Beschreibung auf dem Etikett wären wir hier ohne Probleme darauf gekommen, dass hier unbehandeltes und nicht mit anderen Spirituosen vorbelegtes Holz verwendet worden ist.
Zeit für ein neues Bier-Food-Pairing – Rinderrouladen mit Speckknödeln, in deren Soße das Waldbier ebenfalls verarbeitet ist: Hauchdünn geschnittene Rinderrouladen, Rosmarin, Pinienkerne, Pesto, Parmaschinken, Scarmozza, Zwiebeln. Die Knödel aus Laugengebäck, Milch, Butter, Schnittlauch, Zwiebeln, gewürfeltem Speck, Champignons, Semmelbröseln, Salz, Pfeffer und Muskat. Dazu ein einfacher, grüner Blattsalat. Passt!
Biermäßig gibt es jetzt eine kleine Unterbrechung. Nach deftigem Essen ist es angebracht, die Geschmackspapillen mal etwas zu überraschen und für Neues zu öffnen. Insofern öffnen wir jetzt die Flasche mit dem gar nicht so sauren Sauerbier:
Kiesbye Waldbier (S)our Edition waldgereift (7,0%): Haben wir uns beim Öffnen der Flasche noch gefragt, warum das „s“ in Klammern steht, stellen wir beim Schnuppern und spätestens beim ersten Schluck fest: Hier geht es nicht nur um das Wortspiel mit Sour-Edition und Our Edition, sondern es ist auch ein Hinweis darauf, dass das Bier zwar ein Sauerbier ist, seine Säure aber so dezent bleibt, dass sie auch diejenigen nicht abschreckt, die mit Sauerbieren nicht so viel am Hut haben. Wie ich zum Beispiel. Ein würziger und akzentuierter Geschmack mit vielen, in ihrer Komplexität gar nicht so einfach zu identifizierenden, eher im kräuterig-würzigen Bereich angesiedelten Aromen. Sehr schön!
Das Etikett verrät uns noch ein wenig über die Entstehungsgeschichte dieses Biers: „Dieses Spezialbier wurde in einem historischen Holzbottich inmitten des Waldes vergoren. Durch die natürliche Flora des Salzburger Seelandes bekommt dieses feinmilde Sauerbier seine Weichheit und subtile Säure. erfrischend, facettenreich, außergewöhnlich.“
Kiesbye Waldbier 2019 – Fruchtiges Rotbier – Elsbeere (6,0%): Mit frisch gespülter Zunge und wieder aufnahmefähigen Sinnen geht es an das nächste Waldbier, das mittlerweile schon fünfte. Es wirkt wieder kremig, hat dezente Fruchtaromen, weist aber im Hintergrund schon erste, ganz leichte Alterungsaromen auf. Wir ahnen sie mehr, als dass wir sie schmecken, insofern wirken sie sich noch nicht negativ aus, sind aber schon bei genauem Hinsensorieren erkennbar.
Biere Nr. 7 bis 11
Kiesbye Waldbier 2018 – Holzgereiftes Ale – Holzbirne (6,7%): Ganz langsam tasten wir uns an die Welt der gereiften Biere heran und identifizieren schon den einen oder anderen, dezenten Fehlgeschmack. Ein Hauch Säure, ein Hauch Karton auf der hinteren Zunge, gepaart mit den durchaus spannenden und wohlschmeckenden Aromen des Birnenholzes machen dieses Bier zu einem noch schönen Erlebnis, aber es gibt keinen Wow-Effekt mehr.
Kiesbye Waldbier 2016 – Wacholder (7,2%): Wer jetzt aber gedacht haben sollte, dass zwei Jahre älter auch zwei Jahre kräftigere Alterungsaromen bedeutet, sieht sich jetzt getäuscht. Ja, bei ganz genauem Hinschmecken und -riechen merkt man das Alter des Biers schon, insbesondere eine feine, sehr angenehm aromatische Note von Waldhonig. Aber die herrlichen, leicht rauen und holzigen Wacholderaromen, die in ihrer Intensität gerade perfekt herauskommen, machen alles wett. Nicht zu viel, nicht zu wenig – wer Wacholder mag (so wie ich), wird diesem Bier ohne zu zögern die Höchstwertung geben. Für mich das beste Bier des Abends!
Kiesbye Waldbier 2017 – Wilde Kirsche (7,2%): Den Jahrgang 2017 haben wir kurzerhand mit dem 2016er getauscht, um uns die Kirscharomen, die wir uns in diesem Bier erhoffen, zeitgerecht zum Dessert zu gönnen. Es gibt Honig-Bier-Pannacotta und Whisky-Melone mit Bier, Honig, Vanillezucker, Sahne, Speisestärke, Gelatine, Melone, Zucker, Whisky und dunklem Bier. Die Whisky-Melone schmeckt vorzüglich und aromatisch, die Panacotta ebenfalls gut, aber sie würde in der Geschmacksintensität ein wenig abfallen, wäre da nicht das Waldbier. Die darin enthaltenen, leicht holzigen und wildkirsch-fruchtigen Aromen ergänzen die Honig-Bier-Panacotta auf ideale Weise. Beide Komponenten verstärken sich in ihrer Sensorik zum Allerfeinsten. Eine tolle Kombination!
Kiesbye Waldbier 2015 – Fichte (7,2%): Wir gehen in den Endspurt, und das merkt man den Bieren nun auch an. Das neun Jahre alte Bier mit Fichte hat leicht säuerliche Noten. Man kann es noch mit Appetit trinken, spürt aber, dass es kurz vor dem Umkippen ist. Die dezenten Terpenaromen sind hinter der Säure noch zu erahnen, aber meine Erinnerung sagt mir, dass dieses Bier seinerzeit frisch ganz anders und viel besser geschmeckt hat. Intensive Terpene, mit geradezu fruchtigem Charakter ließen mich seinerzeit an einen Nadelwald in der heißen Sommersonne denken – eine Assoziation, die ich heute mit dem vor mir stehenden Bier definitiv nicht mehr habe.
Kiesbye Waldbier 2014 – Schwarzkiefer (8,7%): Zum Abschluss kommt leider noch eine echte Enttäuschung. Trotz des recht hohen Alkoholgehalts ist das älteste Bier der heutigen Verkostung gekippt und richtig sauer geworden. Leider ungenießbar. Schade. Aber das ist ein Risiko, mit dem man bei derartigen Veranstaltungen rechnen muss. Dezent entsorgen wir die Reste in unseren Gläsern in eine Schüssel, natürlich nicht ohne zu lästern, ob man aus den Resten mit ein paar Orangenscheiben, Zimtstangen und Gewürznelken nicht noch ein Glühbier machen könne …
Zehn plus eins spannende Biere – die offizielle Verkostung ist vorbei. Frank holt zwar noch eine zwölfte Bierspezialität aus dem Keller, um das Dutzend voll zu machen, aber die läuft außer Konkurrenz. Insofern Zeit und Raum für ein Fazit:
Eine extrem hochwertige Verkostung. Spannend und kurzweilig zu jeder einzelnen Sekunde. Und durch den extrem kleinen Kreis – vom Gastgeber „Die fantastischen (B)Vier“ genannt – auch kochkonzentriert und auf’s Bier fokussiert.
Zehn Stunden mit Auto und Zug von Szczecin nach Münchingen und am Folgetag noch einmal zehn Stunden in umgekehrter Richtung sind gut investiert!
Lieber Volker,
vielen Dank für die schönen Worte. Es war Claudia und mir eine große Freude, diese Verkostung vorzubereiten und durchzuführen.
Claudia und Frank
Liebe Claudia, lieber Frank,
wenn hier irgendjemand zu danken hat, dann doch wohl wir drei, die wir Eure Gäste waren. Danke also für einen wunderbaren Abend und für Eure tolle Gastfreundschaft,
Volker nebst Britta und Nils
Außer dem Jahrgang Tanne habe ich auch mehrere Flaschen der Jahrgänge eingelagert und gönne mir von Zeit zu Zeit eine Jahrgangsflasche. Für einige Jahrgänge hast du treffend beschrieben „aber meine Erinnerung sagt mir, dass dieses Bier seinerzeit frisch ganz anders und viel besser geschmeckt hat..“ eben ein Lebensmittel im wahrsten Sinne. Aber die Waldbiere sind trotzdem eine der bemerkenswertesten Jahrgangsbiere-Reihen. Mein Favorit ist auch die (s)our Edition.
Hallo, Christian,
Du hast natürlich absolut recht: Frisch schmeckten die Biere anders und viel besser. Ich habe mit wenigen Ausnahmen was alle Jahrgänge immer frisch getrunken, und ich war immer begeistert.
Um so interessanter war es aber jetzt, mal zehn (plus eins) von diesen Bieren nebeneinander zu haben und intensiv zu verkosten. Mit dem einen oder anderen negativen Ausreißer muss man dabei natürlich rechnen – das Risiko gehört dazu und ist sicherlich auch auf keinen Fall dem Brauer vorzuwerfen.
Mit bestem Gruß,
VQ