Wer hätte das vor zehn Jahren gedacht?
Vor etwas mehr als zehn Jahren bin ich mit ein paar polnischen Freunden in den Ruinen der ehemaligen Brauerei Grodzisk herumgestromert und habe einen kurzen Blog-Beitrag darüber geschrieben – eine mindestens vierhundert Jahre alte Brauereigeschichte schien ihr endgültiges Ende gefunden zu haben.
Die ganze Aktion fand statt, nachdem wir zuvor viele Monate lang versucht haben, in Archiven mehr über das Piwo Grodziskie und dessen Zubereitung zu erfahren. Gemeinsam hatten wir seinerzeit einen Bericht zu unseren Recherchergebnissen erstellt und insgeheim gehofft, dass sich vielleicht doch irgendwann einmal ein Investor finden möge, der der alten Brauerei wieder Leben einhauchen und die Produktion des Piwo Grodziskie (in Deutschland auch gelegentlich Grätzer Bier genannt) wieder aufnehmen würde.
Genau das ist tatsächlich eingetreten: Nur wenige Wochen nach unserem Besuch wurde die alte Ruine von der Investmentgesellschaft IBG gekauft und 2015 kam das erste in Grodzisk Wielkopolski gebraute Piwo Grodziskie auf den Markt.
vier Spezialitäten aus Grodzisk
Mittlerweile kann man wohl behaupten, dass die Brauerei sich etabliert hat. Es gibt das Piwo Grodziskie wieder auf dem polnischen Markt, und mehr noch: Die Brauerei stellt auch ein paar weitere Spezialitäten unter dem Label Piwo z Grodziska (Bier aus Grätz) her. Vier dieser Spezialitäten habe ich beim Stöbern im Bierlädchen Elysium in Szczecin entdeckt und zur Verkostung mit heim genommen.
Verkostungsnotizen
Grodziskie Piwobraniowe 2023; Grodziska APA; Grodziska White IPA; Grodziskie Session Ale
Grodziskie Piwobraniowe 2023 (4,0%)
Gleich die erste Flasche, die ich öffne, ist eine ganz besondere: Beim Hausbrauwettbewerb 2022 hat Kacper Specyał mit einer besonderen Interpretation des Piwo Grodziskie gewonnen: Eine etwas vollmundigere Version mit Zugabe von Ananassaft und Rosmarin. Die Jury war begeistert, und die Brauerei hat es unter der Bezeichnung Grodziskie Piwobraniowe 2023 in großem Maßstab gebraut und auf den Markt gebracht.
Das Bier ist hellgelb und gleichmäßig trüb, und es wird gekörnt von einer üppigen und stolzen, schneeweißen und festen Schaumkrone.
Der Duft ist eine hochinteressante Mischung aus einem ganz dezent rauchigen Fundament mit intensiven, spielerisch-fruchtigen Ananasnoten darüber.
Der Antrunk ist spritzig-frisch und leicht pfeffrig, auf der Zunge prickelt das Bier sehr angenehm, zeigt aber gleichzeitig auch eine leicht phenolische Rauchigkeit, die die Schleimhäute leicht viskos belegt („seifig“ kling so negativ …). Retronasal spielen erneut die fruchtigen Ananasaromen die erste Geige, dahinter der dezente Rauch, und ganz im Hintergrund kommt jetzt ein kräuteriger Hauch dazu – ein Hinweis auf den verwendeten Rosmarin.
Der Abgang ist recht schlank, nach dem Schluck bleiben nur ein paar dezente Aromen, die aber rasch abklingen, und auch die insgesamt nicht sehr stark ausgeprägte Bittere klingt sehr rasch ab.
Ein schönes, erfrischendes Sommerbier, das mich insbesondere wegen der dezenten Ausgewogenheit der Aromen überzeugt – hier wurde der Versuchung widerstanden, zu viel Rosmarin, zu viel Ananas hineinzuballern. Stattdessen von allem nur einen Hauch!
Grodziska APA (5,2%)
Das Bier hat eine hellbraune Farbe, ist leicht trüb und entwickelt einen sehr schönen, altweißen und lange haltbaren Schaum, der beim Abtrinken dicke Flocken am Glasrand hinterlässt.
Der Duft ist dezent. Als erstes erspüre ich ein paar typische nezeitliche Hopfenaromen, vorwiegend in eine fruchtige (rote Beeren) Richtung tendierend. Sie basieren laut Etikett aber ausschließlich auf polnischen Hopfensorten (polnischer Cascade, Lubelski, Marynka und polnischer Magnum). Erst dahinter kommt ein Hauch von Rauch hervor – ganz, ganz zurückhaltend.
Der Antrunk ist frisch und herb, und auf der Zunge entwickelt sich sofort eine knackige Bittere mit angenehm fruchtigen Hopfennoten. Retronasal kommt der Hauch von Rauch hinzu, und erst nach dem Schluck spüre ich die phenolischen Rauchnoten ein wenig deutlicher. Das über Eichenholz gedarrte Rauchmalz ist offensichtlich nur ganz sparsam eingesetzt worden – gerade so viel, dass es dem aufmerksamen Genießer auffällt und ins Portfolio der Brauerei passt.
Mir gefällt’s.
Grodziska White IPA (6,0%)
Das Bier hat eine hellgelbe Farbe (mit einem ganz schwachen Rotstich, der jetzt aber nicht vom Stiegl-Logo auf dem Glas kommt …), ist schön gleichmäßig trüb und trägt einen altweißen Schaum, der lange hält.
Der Duft ist sehr angenehm – eine zurückhaltende Kombination aus Mandarinenschale, einem Hauch von Rauch und einer Note, die mich an sogenannten „weißen Tee“ erinnert, also extrem feine Blattknospen von Tee, der nur zurückhaltend fermentiert und getrocknet wurde.
Der Antrunk ist nicht zu spritzig, aber doch sehr frisch mit einer feinen, pfeffrigen Schärfe und einer spürbaren Bittere. Auf der Zunge gesellen sich zitronige Noten hinzu, die den rauchigen und teeartigen Aromen eine spielerische Note verleihen.
Nach den Schluck vermählen sich Frucht-, Rauch- und Teeraomen retronasal auf’s Allerfeinste, harmonieren sehr schön mit der Hopfenbittere, und nur ein ganz feiner, viskoser Belag auf der Zunge (schleimig wäre zu viel gesagt, zumal er gleichzeitig auch ganz leicht adstringierend wirkt), gefährdet fast die Fünf-Sterne-Wertung.
Im Nachgang studiere ich die Zutatenliste und bin erstaunt, wie die Brauer in Grodzisk dies alles zu fein zusammenkomponiert haben: Zur Kalthopfung deutscher Hallertau Blanc, amerikanischer Ekuanot und japanischer Sorachi Ace, für die Bittere Magnum. Dazu Teeblätter von Sencha Earl Grey. Pilsener Malz, Weizenmalz, Roggenmalz und unvermälzter Weizen wurden genutzt und alles mit der eigenen Hefe aus Grodzisk vergoren.
Grodziskie Session Ale (4,5%)
Das Bier ist mittelgelb, leicht trüb und ziemlich hoch gespundet, so dass sich trotz extrem vorsichtigen Einschenkens eine üppige Schaumschicht bildet, die auch lange von feinen Kohlensäurebläschenketten genährt wird.
Der Duft ist blumig und erinnert ein wenig an Rosenblüten – sehr interessant, aber auch ungewöhnlich.
Der Antrunk ist spritzig und kohlensäurescharf. Auf der Zunge schäumt das Bier zunächst auf, und erst nach einem Moment werden die Aromen spürbar. Ein ganz dezenter Hauch Rauch, eine ebenso dezente Säure und ein noch viel dezenterer fruchtiger und blumiger Akzent. Angenehm erfrischend.
Auch der Abgang ist frisch und erfrischend, und erst ganz am Schluss kommt ein feiner, viskoser Belag auf den Schleimhäuten zum Vorschein.
Ein feines Bier für heiße Sommertage.
Browar w Grodzisku Wielkopolskim
Poznańska 16b
62-065 Grodzisk Wielkopolski
Polen
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