Neulich, in einer kleinen Dorfbrauerei am gefühlten Ende der Welt: „Aber wie das Bier gebraut wird, das bleibt unser Geheimnis!“ Verschwörerisch zwinkert uns der junge Mann am Ende des Rundgangs durch das Sudhaus zu. „Ein uraltes Familienrezept, das unsere Konkurrenz auch gerne kennen würde!“
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Eben noch, im Schankraum, habe ich vom Nachbartisch gehört, dass der derzeitige Sud wieder deutlich besser schmecke als der vorherige. „Da war der Brauer letzten Monat wohl nicht in Form“, wurde gelästert. Trotz des geheimen Rezepts schmeckt das Bier scheinbar doch immer wieder anders …
In der Tat ist es oft so, dass in kleinen und Kleinst-Brauereien die Qualität des Biers von Sud zu Sud schwankt. Im Gegensatz zu den großen Industriebetrieben können sie sich weder ein teures Labor für die Reinzucht einer eigenen Hefe und die Überwachung aller biochemischen Parameter im Bier leisten, noch können sie von verschiedenen Zulieferern das jeweils bestgeeignete Malz oder den perfekt passenden Hopfen aussuchen. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit, zahlreiche Sude aus den Lagertanks miteinander zu verschneiden, um auch geringste Unterschiede noch auszugleichen.
Stattdessen muckt die alte Dampfheizung mal wieder und die Maische wird gar nicht so schnell heiß, wie es der Brauer gerne hätte. Oder die Kühlung kämpft in der Sommerhitze fast vergeblich gegen die Wärme im Lagerkeller an. Mal ist die Hefe nicht gut genug belüftet oder zu oft wiederverwendet worden, mal hat der Landwirt von nebenan Gerste mit etwas höherem Eiweißgehalt geliefert als letzte Saison. Der Lehrling hatte übrigens beim vorletzten Mal den Hopfensack nicht richtig verschlossen, da sind ein paar Aromen wegoxidiert, aber für frischen Hopfen war gerade kein Geld da.
Das Bier ist trotzdem immer hervorragend – ein guter Brauer weiß schließlich, worauf es auch bei wechselnden Rahmenbedingungen ankommt. Der vollbesetzte Biergarten zeigt es: Es schmeckt einfach gut!
Dass es ab und an anders schmeckt? Das ist ein Merkmal handwerklicher Tradition. Das ist völlig in Ordnung. Aber ob es dazu eines geheimen Rezepts bedarf? Na, das glaube ich jetzt eher nicht …
Wer jemals vergeblich versucht hat, Omas Plätzchen nachzubacken, deren Rezept sie uns wenige Tage vor ihrem Tod noch anvertraut hat, weiß: Das wahre Geheimnis ist die Erfahrung. Es ist die Übung, die den Meister macht, nicht irgendein geheimes Rezept.
Insofern mein Rat an alle Hobbybrauer: Nutzt gerne eine gute Rezeptsammlung, lasst Euch gerne von einem erfahrenen Brauer sein Lieblingsrezept geben. Aber vergesst nicht die wichtigste Zutat, die in keinem Rezept verzeichnet ist: Erfahrung! Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Verzweifelt also nicht, wenn mal ein Sud nicht so gelingt, wie Ihr Euch das vorgestellt habt, sondern macht weiter. Unverdrossen. Mit Spaß und Elan. Am besten noch heute!

Dieser Text ist im April 2024 im Kundenmagazin „Brauerlebnis – Das Magazin für Hobbybrauer“ von Hopfen und mehr erschienen.

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