36 Brauereien gibt es im Großraum Prag, also insgesamt in der Stadt einschließlich ihrer Vororte. Eine Zahl, die wohl von nur wenigen anderen Städten in der Welt erreicht wird – wenn überhaupt. London kann vielleicht mithalten? Hat aber fünf oder sechs Mal so viel Einwohner…
Die Masse davon ballt sich natürlich in der Altstadt – dort, wo sich die Touristen tummeln, das schnelle Geld lockt. Tschechische Bierkultur zu un-tschechischen Preisen. Lokales Bier zieht immer, vor allem den Japanern und Russen das Geld aus der Tasche. Und so kann es in den Altstadtgässchen passieren, dass man auf einer Wegstrecke von nicht mehr als 200 Metern auf drei Brauereien trifft.
Aber auch außerhalb der historischen Altstadt, zum Teil nur eine Viertelstunde Fußweg vom Touristengewühl entfernt, finden sich kleine Brauereien, und in ihnen geht es ruhiger zu. Keine Massenabfertigung, kein Touristennepp, ja, zum Teil nicht einmal mehr Touristen.
Die kleine Pivovar Victor liegt irgendwo dazwischen. Ein verhältnismäßig unauffälliges Bürgerhaus aus dem 19. Jahrhundert. Richtigen Rummel gibt es hier nicht mehr, aber eine Brauerei ausschließlich für Nachbarn und Einheimische ist sie auch nicht, denn im gleichen Haus befindet sich noch das gleichnamige kleine Hotel Victor, eine preiswerte Alternative zu den teureren Altstadthotels. Eine gute Mischung von Gästen ergibt sich also – Menschen aus der Nachbarschaft und Reisende aus aller Herren Länder. Garant für spannende Gespräche und interessante Begegnungen.
Davon ist am frühen Nachmittag des 25. Februars 2017 aber nichts zu spüren, als ich hier einkehre. Die Mittagszeit ist vorbei, der abendliche Andrang noch weit. Ein russisches Pärchen sitzt an einem der Tische, genießt noch einen Kaffee nach dem Essen, macht sich dann aber auf den Weg zurück zu den „richtigen“ Sehenswürdigkeiten der Stadt. Ob sie einen Blick für das kleine kupferne Sudwerk hatten, das an der rechten Wand der Schankstube steht? Es ist doch auch schon eine kleine Sehenswürdigkeit für sich. Zwei Kupferkessel, dahinter eine Wandmalerei, die ihrerseits wieder eine Brauerei mit zwei Kupferkesseln zeigt. Rund um die Türen sind Hopfenranken gemalt, und überall in der Gaststube hängen Bilder und Anspielungen auf historisches Brauereiwesen. Sei es die Schankwirtin mit großen Bierkrügen in den Händen, seien es die mehr oder weniger unterhaltsamen Trink- und Sinnsprüche rund ums Bier. Urige, tschechische Gemütlichkeit, der man aber ansieht, dass sie nicht über Jahrzehnte gewachsen ist, sondern schon einer gewissen touristischen Erwartungshaltung entsprechen möchte.
Ich bestelle mir zunächst ein helles Zwölfer, ein einfaches Lagerbier. Gerade als der junge und freundliche Kellner es mir serviert, reißt draußen die Wolkendecke auf und ein Sonnenstrahl trifft auf den Tisch. Das Bier erstrahlt in orangegoldenem Glanz wie im Scheinwerferlicht – ein unglaublich kitschig-schöner Moment. Mit diesem optischen Eindruck kann der Geschmack allerdings nicht ganz mithalten. Ein leckeres Bier zwar, aber nichts, was sich aus der Masse der in Prag angebotenen guten Biere herausheben würde.
Der Name des Stadtteils, Žižkov, in dem die Brauerei liegt, und noch mehr der Straßenname Hussiten-Straße (Husitská) weisen zurück bis ins 15. Jahrhundert. Es war am 14. Juli 1420, als die Hussiten unter Jan Žižka die Kreuzritter besiegten. In Erinnerung an diesen Sieg wurde eine Bronzestatue errichtet und später der ganze Stadtteil nach dem Anführer der Hussiten benannt. Heute ist der Stadtteil für seine Bierkultur berühmt, behauptet die kleine Brauerei in ihrer Werbung, und ich muss lächeln. Welcher Prager Stadtteil ist das nicht? Aber es ist nett, dass die kleine, erst 2011 gegründete Brauerei so selbstbewusst auftritt.
Frisches Bier macht hungrig, und ich bestelle mir eine Kleinigkeit. Mit Käse überbackene Champignons mit viel Zwiebeln – ein leckeres Biergericht. Und perfekt passend dazu ein Rauchbier, das Nakouřené 13°. Etwas stärker als das helle Lagerbier, etwas kräftiger in der Farbe und vor allem: Ein schönes, ausgewogenes, stets präsentes, aber nicht zu dominantes Raucharoma. Ein exzellentes Rauchbier, in seiner Intensität irgendwo auf halbem Wege zwischen den beiden Bamberger Originalen, dem dezent geräucherten Spezial und dem hammerharten Schlenkerla.
Ich bin sehr zufrieden, und wäre es schon etwas später am Abend, so würde ich mir mit Sicherheit noch einen zweiten großen Krug von diesem leckeren Bier bestellen. Aber dafür ist es noch zu früh, ich möchte doch noch mehr von der Stadt sehen als nur diese eine Brauerei.
In Ruhe betrachte ich mir das kleine Sudwerk noch einmal im Detail. Eine einfache Konstruktion, ein bisschen Kupfer für’s Auge, aber ansonsten eher auf simple Zweckmäßigkeit getrimmt. In das urige Umfeld des Schankraums passt sie hervorragend, und es ist bezeichnend für den entspannten Umgang der Tschechen mit ihren Brauereien: Ich könnte an allen Knöpfen herumspielen, drücken oder drehen, könnte in den offenen Maischebottich spucken oder sonstigen Unsinn anstellen – die Brauerei steht hier offen, niemanden interessiert es, dass ich hinter die Kessel gehe und mir alles ansehe. Tiefenentspannt. Wie schön!
Die Pivovar Victor ist täglich von 12:00 bis 23:00 Uhr geöffnet (warme Küche bis 22:00 Uhr); kein Ruhetag. Das hier gebraute Bier kann in 1,5-l-PET-Flaschen mitgenommen werden. Zu erreichen ist die Brauerei in einer Viertelstunde zu Fuß vom Hauptbahnhof, oder man nimmt eine der zahlreichen Straßenbahnlinien, die an der Haltestelle Lipanská halten (Linien 5, 8, 9, 13 oder 15), dann sind es noch drei, vier Minuten Fußweg. Die Brauerei liegt direkt unterhalb des Vitkov-Hügels mit dem Nationaldenkmal.
Pivovar Victor
Husitská 72
130 20 Praha
Tschechien
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