Bierfabrik – so nenne ich manchmal scherzhaft die großen Brauereien, in denen Bier industriell hergestellt wird. Gewaltige Zweckbauten, computergesteuerte Abläufe, und von Handwerk ist nicht viel zu spüren, auch wenn die einzelnen Arbeitsschritte in der Würzebereitung durchaus noch denen in der handwerklichen Produktion vergleichbar sind. Gleichzeitig klingt Bierfabrik nach klotzigem Industriegebäude, unnahbarer Zweckarchitektur, wenig einladend.
Und so stehe ich im Zentrum Amsterdams denn auch vor einem bunkerartigen Ziegelbau. Nur wenige kleine Fenster, stattdessen hohe, abweisende Mauern, die eher an eine Burg des Kreuzritterordens erinnern denn an eine Brauerei. Und doch: „Bierfabriek“ lockt mich eine gelbe Leuchtreklame unwiderstehlich an. Bierfabriek Amsterdam!
Ich gehe durch die verhältnismäßig kleine Eingangstür und komme in eine gewaltige Halle – wie es scheint, tatsächlich eine ehemalige Fabrikhalle. Rechter Hand ein schönes Sudwerk, dreifarbig gestaltet: Rötlich schimmerndes Kupfer, gelbliche Messingapplikationen und die Seitenwände aus silbrig glänzendem Stahl. Etwas fürs Auge, ebenso wie die aus hitzebeständigem Glas gefertigte Luke, durch die man in den Bottich hineinsehen und den Brauprozess mit eigenen Augen verfolgen kann.
Wenn denn gerade gebraut werden würde.
Wird aber nicht.
Linker Hand ein großer Thekenbereich, und oberhalb der Theke eine Reihe von Ausschanktanks. Das Bier lagert also gewissermaßen direkt über den Köpfen des Barpersonals und der an der Theke sitzenden Gäste.
Im hinteren Bereich der Halle auf zwei Ebenen zahlreiche Tische, zum Teil auch nur einfache, langgestreckte Bierbänke und -tische, an denen man in kleineren Gruppen sitzen kann. Es ist zu früher Stunde schon gut gefüllt, viele Tische sind reserviert, und so kommt es, wie es kommen muss: Für uns, eine Gruppe von fünf Personen wird es schwierig, einen Platz zu finden.
„Die einzige Möglichkeit, die ich Euch anbieten kann, sind die runden Tische mit den integrierten Zapfgarnituren“, erzählt uns der freundliche Barmann und weist auf einen etwas erhöhten Bereich links vom Eingang hin. Ein halbes Dutzend Tische sehe ich dort, jeder ausgestattet mit einer Zapfanlage mit zwei Hähnen und einem elektronischen Volumenmesser. „Dort könnt Ihr selber nach Herzenslust zapfen, ich schalte die Hähne frei, und auf geht’s!“, heißt es weiter. Wir müssen uns nur noch entscheiden: Pils und Stout oder Pils und Red Ale? Das sind die Kombinationen, mit denen die Zapfstationen vorbelegt sind – schon von weitem an den Farben der Tap-Handles erkennbar.
„Red Ale?“, frage ich in die Runde und ernte einhelliges Nicken. Wir nehmen Platz, saubere Gläser stehen schon bereit, und auf dem Messgerät leuchten zwei Nullen auf. Die ersten Versuche, selber zu zapfen, sind noch ein wenig unbeholfen, das Bier schäumt stärker als gedacht, aber mit jedem weiteren Krug werden wir routinierter, läuft aber auch die Anzeige auf dem Messgerät schneller.
Das Pils schmeckt ein wenig säuerlich-frisch, ist für meinen Geschmack bei weitem nicht stark genug gehopft und zu stark gespundet, aber das Red Ale gefällt mir gut. Rund und malzig, sehr süffig, mit fein gebundener Rezens weiß es zu gefallen. Leicht rötlich schimmert es, gleichmäßig trüb, und schon nach ein paar Runden sieht man am unterschiedlichen Zählerstand, dass es das bevorzugte Bier in unserer Gruppe ist.
Die auf Holz gedruckte Speisekarte bietet ein paar typische Kleinigkeiten an. Fingerfood, Käse- und Wurstplatten und Brathähnchen. Die Portionen sind nicht übermäßig groß, Amsterdam-typisch überteuert, aber schmackhaft. Und vor allem: Scharf gewürzt, so dass der Bierdurst erhalten bleibt. Das freut den Gast, dem das Bier schmeckt, genauso wie den Geschäftsmann, der sich bei jedem gezapften Krug, bei jedem Wechsel der elektronischen Anzeige die Hände reibt und schon mal seinen Kontostand kalkuliert.
Eine kleine Aufmerksamkeit, die aber angesichts der Bierpreise durchaus angemessen erscheint, sind die Erdnüsse, die überall in großen Mengen auf den Tischen liegen. Wer es darauf anlegt, könnte sich daran satt essen und auf ein warmes Gericht und Fingerfood völlig verzichten. Wir wollen uns als gut erzogene Gruppe zeigen und sammeln die Erdnussschalen fein säuberlich auf dem Tisch – nach und nach türmt sich ein ansehnliches Häufchen auf.
Ah, endlich kommt die Bedienung und bringt unser Essen. Mit einer schwungvollen Bewegung wischt sie die Erdnussschalen in hohem Bogen auf den Boden, verteilt sie schwungvoll zwischen Tisch- und Stuhlbeinen. „So macht man das hier“, lacht sie und zeigt auf die Berge von Schalen, die unter den anderen Tischen liegen. Wir passen uns an, gehen aber dann doch nicht so weit, wie die Gruppe junger Männer am Nachbartisch, die daraufhin nicht nur die Erdnussschalen, sondern auch die abgenagten Hühnerknochen großräumig im Schankraum verteilt…
Ganz abwegig ist es natürlich nicht, die Schalen einfach auf den Boden zu werfen. Die Bedienungen müssen dann nicht ständig den Müll hin und her tragen, und am Ende des Tages muss der Schankraum sowieso ausgefegt und gereinigt werden. Nach einiger Zeit haben wir uns denn auch an das Knirschen unter unseren Füßen gewöhnt und konzentrieren uns wieder auf den Biergenuss.
Was wir dann auch bis ziemlich spät in die Nacht tun…
Die Bierfabriek Amsterdam (es gibt übrigens auch weitere Bierfabrieken in Delft und Almere) ist täglich ab15:00 Uhr durchgehend geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 13:00 Uhr; kein Ruhetag. Zu erreichen ist sie in etwa einer Viertelstunde zu Fuß vom Hauptbahnhof (Centraal Station) Amsterdam.
Bierfabriek Amsterdam
Nes 67
1012 KD Amsterdam
Niederlande
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