Platz ist in der kleinsten Hütte – und nach diesem Motto kann man natürlich auch eine kleine Brauerei dort installieren, wo Madrid am engsten und am belebtesten zu sein scheint, nämlich im Stadtteil Malasaña: Auf gerade einmal 180 m² drängen sich in der Fábrica Maravillas Sudwerk, Gär- und Lagertanks und ein kleiner Taproom, und in Spitzenzeiten quetschen sich dann auch noch rund 100 Menschen in den winzigen Raum. Fast ist man in diesen Momenten schon dankbar, dass viele Raucher unter den Gästen sind, weil die nur kurz an die Bar gehen, ein Bier bestellen und ansonsten lieber draußen auf der Straße stehen, wo sie den anderen dann keinen Platz wegnehmen.
Ich spaziere die Calle de Valverde entlang, habe Sexshops, Bars, Discotheken und Clubs passiert, weiche ab und an einer schon tagsüber deutlich angetrunkenen Gruppe junger Menschen aus und werde in der eigentlich verkehrsberuhigten Zone von Scooter-Fahren an die Seite gehupt. Da liegt sie vor mir, die Fábrica Maravillas – mitten in Malasaña, dem derzeit wohl buntesten Stadtteil Madrids. Ein paar Raucher (überraschenderweise vor allem Raucherinnen) stehen vor der Tür, von drinnen erschallt Stimmengewirr und Gläserklirren. FM FÁBRICA DE CERVEZA ARTESANAL und fábrica maravillas CRAFT BEER steht groß über den beiden Fenster, auf der gelblichen Wand dazwischen irgendwelche unlesbaren, aber farbenfrohen Schmierereien.
Vorsichtig schiebe ich mich durch die Menschen, drücke mich bis heran an die kleine Theke. Eine Glasscheibe hinter der Theke gibt den Blick frei auf einen kleinen Lagerraum, und auf der Scheibe sind, nur schlecht lesbar, die angebotenen Biere verzeichnet. Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht, von links wird geschoben, von rechts gedrängelt, und die nette Barfrau schaut mich zwar freundlich, aber ungeduldig an. „Ein Amber, bitte“, bestelle ich und bekomme blitzschnell ein Glas gezapft. Dazu ein kleines Tellerchen mit Knabbereien. Unverändert ist es in Spanien Brauch, zu jedem Bier eine Kleinigkeit zum Knabbern zu bekommen, seien es ein paar Nüsse oder Cracker, ein paar Oliven oder ein Scheibchen Brot mit irgendetwas Leckerem darauf. Da kann das Gedränge noch so groß sein – dafür ist immer Zeit und Gelegenheit.
Neben dem Eingang finde ich ein kleines Stehplätzchen, ein schmales Brett an der Wand, auf dem ich das Glas und die Nüsse abstellen kann. Die Wand besteht aus unverputzten Ziegeln, dazwischen breite, teilweise ausgeschlagene Fugen mit Löchern und Ritzen. Nahezu jede Ritze, jedes Loch, jede Kerbe ist mit Kupfermünzen gefüllt – ein, zwei oder gar fünf Cent. Während wir Deutschen, die Schwaben zumal, immer noch glauben, einmal reich werden zu können, wenn wir zwei bis drei Mal im Jahr eine Ein-Cent-Münze finden und sorgfältig im Geldbeutel verstauen, haben die meisten anderen Nationen ein realistischeres Verhältnis zu diesen Winz-Beträgen und sehen die kleinen Münzen eher als Spielerei an. Theoretisch könnte ich die Münzen aus den Ritzen pulen, und es käme vielleicht sogar genug für ein halbes Glas Bier, eine media Pinta, zusammen – aber wozu? So, als Dekoration, machen sich die Münzen doch viel besser!
Das Amber Ale schmeckt lecker. Nichts wirklich Exotisches, aber ein süffiges, malzbetontes Bier mit einer fein ausgewogenen, dezenten Hopfennote. Nicht zu stark, nicht zu schwach – ein schöner Durstlöscher, der gerade so viel Aufmerksamkeit erfordert, dass er sich von den Allerweltsbieren der großen Bierfabriken wohltuend unterscheidet.
Mein Glas ist leer, und nun zwänge ich mich in den hinteren Bereich. Hinter Glaswänden stehen auf der linken Seite die zwei Geräte des Sudwerks, und auf der rechten Seite die Gär- und Lagertanks. Dazwischen … nichts. Nicht einmal Platz. Ich wundere mich, wie hier gebraut werden soll. Vermutlich geht das nur, wenn der Laden leer ist. Dann werden die Scheiben geöffnet, und der Brauer kann vom Gang aus seinen Tätigkeiten nachgehen. Alles andere erscheint mir unmöglich.
Zwischen den Tanks sehe ich noch einen kleinen, vollautomatischen Brauautomat der Firma Speidel, den Braumeister. Er dient wohl dazu, Rezepte auszuprobieren oder ganz besondere Biere in winzigen Mengen herzustellen.
Hut ab vor dem kleinen Team, das diese Gasthausbrauerei betreibt – in dieser Enge, und ohne jede Möglichkeit, zu erweitern. Aber das Konzept scheint aufzugehen, denn die Fábrica Maravillas existiert nun schon seit vier Jahren, und ich habe nicht das Gefühl, dass man auf die Pleite zusteuern würde. Respekt!
Die Fábrica Maravillas ist täglich ab 18:00 Uhr geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 12:30 Uhr; kein Ruhetag. Außer im eigenen Taproom, in dem man die Biere sich auch in einen Growler füllen lassen kann, werden die Biere nur in ganz wenigen Spezialbierbars in Madrid angeboten. Zu erreichen ist die Brauerei am besten mit der U-Bahn, Linie 1 (hellblaue Linie) und Linie 10 (dunkelblau), Station Tribunal, und von dort in drei Minuten zu Fuß.
Fábrica Maravillas
Calle de Valverde, 29
28004 Madrid
Spanien
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