Was für ein vielversprechender Name: L‘Oasi della Birra, die Oase des Biers. Quer über die Piazza Testaccio sieht man den Schriftzug, und wie magisch von ihm angezogen queren wir den Platz, bis wir vor der kleinen Bieroase stehen.
Und enttäuscht sind. Die alten und verbogenen blechernen Rollläden am Eingang sind geschlossen, das Schaufenster unter dem Namen der Bieroase präsentiert eine Reihe von Bierflaschen aus der deutschen Provinz mit in der Sonne vergilbten Etiketten. „Wenn die Etiketten schon so aussehen, wie mag es dann erst um den Inhalt der Flaschen bestellt sein?“, denke ich und wende mich schon fast ab. Doch plötzlich, die Kirchturmuhr schlägt, es ist 18:00 Uhr, und auf die Sekunde pünktlich öffnet sich der Rollladen und gibt den Weg frei ins Innere des Geschäfts.
Na gut. Wir nicken uns zu. Einmal die Nase reinstecken können wir ja. Kucken kostet nichts. Und so betreten wir den Laden und … sind perplex.
Was von außen ein wenig gammelig, vernachlässigt gar, aussah, entpuppt sich im Innern als gepflegtes, bestens sortiertes Delikatessengeschäft mit eigener, kleiner Restauration. Ein wahres Labyrinth von kleinen Räumen, eng mit Regalen gefüllt, in denen Leckereien aus aller Welt stehen. Vorrangig Weine, ganze Regalwände voller Weine, und … Bier! Bier, Bier, Bier!
Hinter dem von draußen sichtbaren, traurigen Regal mit überlagertem Provinzbier befindet sich, vor der heißen Sonne Italiens geschützt, ein großes Regal mit Bierspezialitäten aus vorwiegend Italien und Belgien, aber auch einige seltenere deutsche Produkte finden sich hier. Und zwar frische. Wie gerade aus dem Ei gepellt, sorgfältig ausgerichtet stehen die Flaschen hier, präsentieren ihre bunten Etiketten und repräsentieren die Vielfalt der europäischen Bierkultur. Und daneben: Noch mehr! Noch eine größere Auswahl!
Fragend sehen wir uns um. Ist dies nun eher ein Geschäft, oder können wir die hier angebotenen Biere auch verkosten? Die junge freundliche Dame, die eben den Rollladen hochgeschoben hat, räumt fleißig hin und her, aber als sie unsere Blicke sieht, kommt sie zu uns und bietet ihre Hilfe an. Ob wie Bier kaufen oder trinken wollten? „Trinken“, sagen wir, „Und wenn möglich, vielleicht eine winzige Kleinigkeit dazu essen. Ein paar Knabbereien würden schon genügen, gerade so viel, dass wir das Bier nicht auf nüchternen Magen trinken müssen.“
„Kein Problem! Setzt Euch!“ Wir gehen nach draußen. Direkt vor der Tür stehen ein paar lange Tische und Bänke in der untergehenden Sonne, eine Art Biergarten. Typisch italienisch: Bäume gibt’s nicht, stattdessen ragen die Außenspiegel der dicht an dicht parkenden Autos und Motorräder bis über die Tische. Die Dame reicht uns eine Getränkekarte. Nein, es ist eine Bierkarte. Ein Dutzend Seiten, dicht an dicht beschrieben. Eine schier unendliche Auswahl an Bieren. Noch viel mehr als wir eben im Regal gesehen haben, und mit Schwerpunkt auf Belgien.
„Und die sind alle vorrätig?“, frage ich zweifelnd. „Ja, bis auf ganz wenige Ausnahmen“, strahlt unsere Bedienung stolz. „Bei der Auswahl brauchen wir aber eine Weile, bis wir uns entschieden haben“, scherze ich, und die Kellnerin antwortet nur trocken „Ich weiß! Das sagen alle! Aber Ihr könnt derweil ja schon mal drinnen ans Büffet gehen, Euch etwas zu Essen holen und in Ruhe nachdenken. Wenn Ihr eine große Bierflasche nehmt, also eine von den edlen Sorten, dann kostet das Büffet pro Person nur fünf Euro. Kommt mit, ich zeige Euch das!“
Und so führt sie uns durch das Gewirr den engen und kleinen Räume tief in den Laden hinein. Ganz hinten, in einer Ecke verborgen, steht ein leckeres Büffet. Schinken, Wurst und Käseplatten, zahlreiche Schüsseln mit mediterranen Gemüsen und Salaten, und ein paar große Schüsseln mit süßem Gebäck. „Esst, soviel Ihr wollt. Ihr dürft mehrmals gehen. So oft Ihr wollt. Und wegen dem Bier, da frage ich Euch gleich!“
Die Auswahl am Büffet ist kaum einfacher zu bewältigen als die in der Bierkarte. Nehme ich nun den Spinat mit Buchweizen, die Auberginen mit Olivenöl oder doch ganz klassisch den luftgetrockneten Schinken und die Mortadella mit frischem Weißbrot?
Wir balancieren unsere beladenen Teller wieder bis in den Biergarten zurück und entscheiden uns nun für ein Imperial India Pale Ale, und zwar für das La 10,000 der Birrificio Artigianale Math. Kräftige Hopfennoten, eine kernige Bittere, eine schöne orangene Farbe, ein stabiler weißer Schaum. Ein leckeres Bier zum deftigen Essen. Und als Spezialität einer Kleinbrauerei aus der Nähe von Florenz mit 15,- EUR für eine große Flasche auch nicht zu teuer.
Vielleicht eine halbe Stunde ist vergangen seit das kleine Lädchen geöffnet hat, und mittlerweile ist es rappelvoll. Wir waren die ersten Gäste, aber es hat nur Minuten gedauert, bis die Terrasse voll besetzt war, und mittlerweile herrscht auch an den kleinen Tischen im Inneren, die wunderbarerweise irgendwo zwischen den Wein-, Bier- und Spezialitätenregalen doch noch ihren Platz gefunden haben, ein reges Treiben. Weine werden entkorkt, edle Bierflaschen sorgfältig geöffnet und in schöne Verkostungsgläser eingeschenkt, und zwischen den Gläsern beginnen sich die Teller vom Büffet zu stapeln. Genuss allerorten. Und immer wieder kommt auch Laufkundschaft. Menschen aus der Nachbarschaft, die hier einfach nur einkaufen. Ein paar Gläser Oliven, eine Dose mit exotischen Gewürzen, ein Stückchen Käse. Mit ihren Einkauftaschen stehen sie zwischen den Tischen der speisenden Gäste. Oder ist es umgekehrt? Die Gäste sitzen inmitten der Schlange an der Kasse? Ein kunterbuntes Durcheinander…
Wir sind gerade erst angereist, sind hundemüde, die Koffer stehen im Hotelzimmer und sind noch nicht einmal ausgepackt. Aber trotzdem: Schon sind wir mittendrin in diesem römischen Lebensgefühl, genießen einfach nur den Augenblick. Die Wärme, die Stimmung, die Aromen, die Menschen. Sitzen in der Oase des Biers und lassen es uns einfach nur gut gehen.
L‘Oasi della Birra ist eine Kombination aus Delikatessengeschäft und kleinem Restaurant. Es ist täglich von 08:00 bis 01:00 Uhr morgens durchgehend geöffnet; sonntags erst ab 18:00 Uhr. Kein Ruhetag. Tagsüber ist es eher Geschäft, abends eher Bar und Restaurant. Die Bier- und Weinauswahl ist gigantisch; zum guten Bier gibt es für fünf Euro pro Person ein einfaches, aber sehr, sehr leckeres All-you-can-eat Büffet dazu. Italienische Stimmung und die farbenfrohe Atmosphäre der ewigen Stadt gibt es gratis dazu. Zu erreichen ist die kleine Oase des Genusses mit – für Rom ungewöhnlich! – der Straßenbahn, Linien 3 und 8, Haltestelle Marmorata / Vanvitelli, etwa 100 m von der Piazza Testaccio entfernt.
L‘Oasi della Birra
Piazza Testaccio, 38/41
00153 Roma
Italien
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