Die Brooklyn Brewery – ein Muss für jeden Bierreisenden, der sich in New York City aufhält. Eine der bekanntesten und beliebtesten Kleinbrauereien des Landes.
Aber ach, was heißt schon Kleinbrauerei in diesem Zusammenhang?
Nach einem gut zwanzigminütigen Spaziergang von der Metro-Station empfängt mich im Brooklyner District Williamsburg ein großer, klotziger Ziegelbau mit von weitem sichtbarer origineller Bemalung: Die Fassade trägt eine grafische Darstellung des Brauprozesses, zwei Stockwerke hoch. Das als solches wäre noch nicht so originell, ähnliches hat man schon anderswo gesehen, aber was hier nett auffällt, ist, dass die Fenster und Türen der Fassade in diese Grafik integriert worden sind und nun als Symbole für Läuterbottich, Würzepfanne, Gärtank oder Filterblock dienen. Witzig!
Ich biege um die Ecke und sehe vor mir … eine lange Schlange. Oha, denke ich mir, es wird doch wohl nicht überfüllt sein? Aber nein, es ist nur die Einlasskontrolle. Jeder muss einen Ausweis vorzeigen, um nachzuweisen, dass er oder sie auch schon 21 Jahre alt ist. Ich auch – der Herr am Eingang macht da keine Ausnahme. Die USA, wie sie typischer nicht sein können: Eigenständiges Denken ist für Angestellte verboten. Das Alter wird kontrolliert, das Hirn bleibt aus. Basta. Mir bleibt nur, es als Lob zu nehmen. Wo sonst wird mir als 55jährigem unterstellt, dass ich vielleicht noch unter 21 sein könnte? Das ist ja fast noch schöner, als wenn ich für den Papa meines Enkels gehalten werde, wenn ich mit ihm durch Hamburg stromere.
Einmal drinnen, ist der Ärger über diesen Schwachsinn verflogen, rasch erstehe ich zwei Token für Biere und bekomme mit etwas Glück auch noch ein Ticket für die Gratis-Brauerei-Tour, die in einer halben Stunde beginnt.
Der Tasting-Room ist eine große Halle, aber nicht ungemütlich. Laut Rockmusik läuft, es herrscht beste Stimmung. An der Bar mit 14 verschiedenen Fassbieren ist zwar eine lange Schlange, aber die beiden Zapfer arbeiten effizient und das Token-System verhindert umständliches Rechnen und Bezahlen. Token auf den Tresen, Auswahl treffen, Bier in die Hand, der Nächste bitte. Geht ganz fix.
Gezapft wird leider nur in Plastikbecher, zum Glück sind die Biere aber robust genug, um trotzdem geschmacklich zu glänzen. Das Defender beispielsweise, ein fruchtiges India Pale Ale im West-Coast Stil. Ausgesprochen fruchtig im Aroma, kräftig bitter am Gaumen, malzig rund auf der Zunge. Mit 6,7% noch nicht zu stark – eine schöne Erfrischung nach dem langen Spaziergang und eine gute Einstimmung auf die nun anstehende Brauereibesichtigung.
Die Rockmusik wird für einen kurzen Moment heruntergeregelt, und es ertönt die Ansage, dass alle Interessenten für die Brauereibesichtigung sich mit ihren Tickets doch bitteschön am Eingang sammeln mögen. Ende der Ansage, die Gitarrenriffs übernehmen wieder.
Neugierig stehen wir in der Gruppe vor den Gärbehältern, die uns schon beim Einlass begrüßt hatten, und es beginnt ein humoristischer, kurzweiliger Rundgang durch die Brauerei. Unser Guide arbeitet schon seit vielen Jahren hier und erzählt Anekdoten aus der Geschichte der Brauerei, reißt Witze, ulkt und albert herum und wird in wenigen Minuten zum Star des Abends. Die Tourteilnehmer kleben an seinen Lippen, kichern und amüsieren sich, halten sich die Bäuche vor Lachen. Ein geborener Entertainer. Und fast keinem der Besucher fällt auf, dass wir eigentlich gar nicht viel von der Brauerei zu sehen bekommen. Wir bleiben in allen Räumen im Eingangsbereich stehen, bekommen nur einen groben Überblick über die Technik. Nur das Teleobjektiv im Fotoapparat offenbart mir das eine oder andere Detail, aber im Wesentlichen gilt für die Räume: „Zutritt verboten!“
Es ist trotzdem ein Riesenspaß, und als ich fast eine Stunde später erneut an der Theke stehe und meinen zweiten Token einlöse, stichele ich unseren Guide, der jetzt wieder als Zapfer arbeitet, ein wenig: Die Show wäre zwar klasse gewesen, aber viel gesehen von der Brauerei hätten wir ja nicht. Ein gespielt trauriger Blick: „Ach, das hast Du gemerkt? Dann muss meine Show noch besser werden. Eigentlich soll es niemand merken!“, lacht er. „Die Hygiene und die Arbeitssicherheit, weißt Du?“, deutet er noch an, grinst breit und schiebt mir mein Bier rüber. „Aber Hauptsache, Du hattest Spaß. Hattest Du doch, oder? Bei Bier geht es doch vor allem um Spaß!“
Ja, hätte ich gehabt, versichere ich ihm und wende mich meinem Bier zu, dem Naranjito. Ein spritziges Pale Ale mit Orangenschalen gebraut, nur 4,5% Alkohol. Ein prima Durstlöscher für einen heißen Sommertag, gefällt mir gut. Und auch, wenn ich es nicht als Durstlöscher in großen Schlucken hinunterstürze, sondern in kleinen Schlückchen genieße, ein sehr schönes Bier.
Ein kurzer Moment, um zu sinnieren. Hygiene und Arbeitssicherheit sind eine Sache, und die daraus resultierenden Einschränkungen bei der Brauereibesichtigung auch völlig akzeptiert. Aber es bleiben noch ein paar Gedanken zum Thema Kleinbrauerei. Ist die Brooklyn Brewery wirklich noch eine Kleinbrauerei? Das, was ich heute zu sehen bekommen habe, ist sicherlich eine Kleinbrauerei. Ein mittelgroßes Sudwerk, ein Dutzend Gär- und Lagertanks, eine Abfüllanlage. Dazu der Taproom, alles zusammen in einer großen Halle.
Aber die Brooklyn Brewery ist mehr. Ein Großteil der Produktion ist ausgelagert, insbesondere das berühmte Brooklyn Lager wird an mehr als einer Stelle gebraut, unter anderem auch in … Australien, in Adelaide bei Coopers.
Mehr noch: Die Brooklyn Brewery ist auch keine unabhängige Brauerei mehr. Der japanische Brauereiriese Kirin hält seit letztem Jahr eine 24,5% Minderheitsbeteiligung an der Brooklyn Brewery, und die Brooklyn Brewery selbst ist Eignerin der in Gründung befindlichen Jeju Brewing Company in Südkorea. Gemeinsam mit dem dänischen Brauereiriesen Carlsberg betreibt die Brooklyn Brewery die HK Yau Brewing Company in Hong Kong, die E. C. Dahls Bryggeri in Norwegen und die Nya Carnegiebryggeriet in Schweden; und seit wenigen Tagen ist bekannt, dass auch die London Fields Brewery von diesem Gespann übernommen wird.
Ach, was heißt, „seit wenigen Tagen ist bekannt“? Zum Zeitpunkt meines Besuchs in der Brooklyn Brewery (30. Juni 2017) war diese Nachricht (5. Juli 2017) noch gar nicht bekannt, zum Zeitpunkt des rückwirkenden Veröffentlichens meines Blog-Eintrags (30. Juli 2017) dann schon. Ein Fall für eine neue Zeitform, das Futur III? „Seit wenigen Tagen war bekannt worden sein“?
Egal! Was zählt, ist, dass die Brooklyn Brewery eigentlich gar keine Kleinbrauerei mehr ist. Was hier in Brooklyn in der 11th Street zu sehen ist, ist das Setup einer Kleinbrauerei, dahinter verbirgt sich aber mehr. Und wer weiß, was ich zu sehen bekommen würde, wenn ich in einigen Jahren wieder nach Brooklyn käme? Denn der Pachtvertrag für das derzeitige Gebäude läuft aus, gemeinsam mit den Kapitalgebern von Kirin sucht man ein neues Zuhause für die Brauerei. Größer, besser gelegen, luxuriöser. „While keeping our current brewery in Williamsburg, we are building our new global headquarters in the Brooklyn Navy Yard with a 600-person capacity rooftop beer garden. We intend to build another bigger brewery that will enable us to brew 100% of the beer we sell domestically in-house“, heißt es seit Herbst 2016.
Wir werden sehen!
Ich mache mich jedenfalls wieder auf den Weg, allerdings nicht ohne beim Verlassen der Brauerei noch einmal deutlich vor Augen geführt zu bekommen: Die USA sind alles andere als ein freies Land. Das Verlassen des Gebäudes mit einem Bierbecher in der Hand wird mit einer saftigen Geldbuße geahndet – „being outside with an open container“ steht in New York unter Strafe. Lächerlich, aber leider typisch dafür, in welche Richtung sich diese Gesellschaft entwickelt hat. „Free USA“? Ja, aber bitte nicht als Indikativ, sondern als Imperativ!
Der Tasting Room der Brooklyn Brewery ist freitags von 18:00 bis 23:00 Uhr, sonnabends von 12:00 bis 20:00 Uhr und sonntags von 12:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Touren durch die Brauerei werden montags bis donnerstags um 17:00 Uhr, freitags um 19:00 und 20:00 Uhr sowie während der Öffnungszeiten des Tasting Rooms sonnabends und sonntags jeweils um X:30 Uhr angeboten. Zu erreichen ist die Brauerei mit der Metro-Linie L, Bedford Ave Station, und von dort aus noch gute 700 m zu Fuß in Richtung Norden.
Nachtrag 30. Juli 2017: Kaum hatte ich obigen Blog-Beitrag rückwirkend veröffentlicht (wie so oft bin ich schneller gereist als ich schreiben konnte und war im erheblichen Berichterstattungsrückstand), fiel mir die folgende Meldung der Brooklyn-Brewery ins Auge: „We’re teaming up with 21st Amendmend & Funkwerks (…) Thanks to a shared love of great beer, storytelling, and fun, we are proud to unite with our friends at 21st Amendment Brewery in San Leandro, California, and Funkwerks Brewing Company in Fort Collins, Colorado, to announce an innovative new shared platform for sales and distribution nationwide.“ So schnell geht’s weiter.
Brooklyn Brewery
79 N 11th Street
Brooklyn
NY 11249
USA
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