Ritterspiele.
Burgruinen.
Veteranentreffen.
Was diese Begriffe aus der Vergangenheit mit einer Tour de Bier zu tun haben, fragt Ihr Euch?
Das fragte sich der Chronist auch, bis er dann vom 7. bis 9. Mai 2010 an der mittlerweile siebten Tour de Bier teilgenommen hatte. Und danach war alles ganz klar.
Doch gemach, beginnen wir, wie es sich gehört, am Anfang, und zwar auf dem Marktplatz in Seßlach. Hier trafen sich am 7. Mai 2010 die etwa vierzig Teilnehmer der Tour de Bier zu einem geführten Stadtrundgang durch das historische Zentrum der kleinen mittelalterlichen Stadt. Leider war der Chronist wegen neumodisch so benanntem Starkregen und daraus entstehender Verkehrsstaus nicht rechtzeitig vor Ort, und so sieht er sich im Nachhinein gezwungen, auf Schilderungen aus zweiter Hand zurückzugreifen, die besagen, dass die Stadtführung erstens außerordentlich interessant, zweitens sehr freundlich und fachkundig gewesen sei, dass drittens jeder überrascht gewesen sei, zu hören, dass Seßlach auf eine über 1200jährige Geschichte zurückblicken kann und seit 675 Jahren Stadtrechte besitzt, und dass schließlich, viertens, die schiefe Kirche Seßlachs unbedingt in der Berichterstattung erwähnt gehöre.
Was denn hiermit auch geschehen sei.
An den Stadtrundgang schloss sich der Besuch des Kommunbrauhauses an. Eine kleine, gepflegte Sudanlage mit viel historischer Technik, eine Malzmühle im oberen Stockwerk, ein Kühlschiff im hinteren Bereich und separat in einer kleinen Kammer eine Art Labor, das heißt, ein Nebenraum für die Hefezucht, aber auch als Lager für allerlei Kleingerät und Reinigungsutensilien. Blitzeblank war es, egal wohin man auch schaute – fast schon wirkte es, als ob extra für unseren Besuch noch einmal Reinschiff gemacht worden sei.
Die hier gebrauten Biere werden in Fässern abgegeben oder direkt an zwei Gasthöfe in Seßlach zum Ausschank geliefert, und es wird berichtet, dass an den Tagen, an denen das Bier abgeholt werden kann, wegen des hohen Andrangs Teile der Altstadt abgesperrt werden müssen. Ungläubiges Lächeln auf den Gesichtern der Gäste, bis wir die Verkehrsschilder in der Ecke stehen sahen: „Einfahrt verboten“, mit dem Zusatz „Frei nur für Bierabholer“. Okay, überzeugt!
Und in der Phantasie des Chronisten entstanden Bilder von sich endlos durch die Altstadt windenden Schlangen von Limousinen, Kombis, Pferdefuhrwerken, Treckern, Lieferwagen und Handkarren, alle nur darauf wartend, von dem edlen Nass zu zapfen.
Mit einem „Plopp!“ zerplatzten die abstrusen Phantasien und wurden ersetzt durch ein frisch gezapftes Kommunbräu, das dem Chronisten in die Hand gedrückt wurde. Ein tiefer Zug von dem hopfenherben Gebräu, und die Realität kehrte zurück, die da besagte, dass es nun aber höchste Zeit sei, das Hotelzimmer zu beziehen und sich für das Abendessen zu rüsten.
Letzteres fand statt im Pörtner-Hof statt, im sorgfältig restaurierten Stall. Das rohe, aber blitzsaubere Fachwerk und die mit edlem, weißem Geschirr und Leinen eingedeckten Tische ergaben einen ansprechenden Kontrast, und der Blick auf die Speisekarte erhellte die Gesichter. Leckere regionale und saisonale Gerichte zu niedrigen Preisen, hier darf man als Gast sich wohlfühlen – wenn auch die Bierauswahl eher beschränkt war und neben dem Freudenecker Fischerbräu nur Produkte größerer und uninteressanter Brauereien verzeichnet waren. Aber das Freudenecker passte zum feinen Spargel genauso gut wie zum deftigen Wiener Kalbsschnitzel, und so machte sich denn auch rasch eine „gefräßige Stille“ im Raume breit.
Jäh wurde diese unterbrochen, als mit einem kräftigen Pochen ein Raubritter in voller Rüstung im Torbogen erschien und uns mit kräftiger Stimme begrüßte. Spielte mir meine Phantasie erneut einen Streich, ging sie gar in diesem mittelalterlichen Ambiente mit mir durch? Nein, dieser Ritter schien durchaus real, und er begann, aus der abwechslungsreichen Geschichte des Städtchens zu erzählen. Er nahm uns mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte, ölte von Zeit zu Zeit seine Stimmbänder mit einem gewaltigen Zug guten Bieres aus einem nicht minder gewaltigen Holzkrug und schickte sich schließlich an, uns auch praktisch in die Gebräuche des Mittelalters einzuführen: Zwei Jungfern aus unserem Kreise wurden wegen ungebührlichen Benehmens gegenüber dem Ritter dazu verurteilt, mit einem schweren Stein um den Hals eine Schmäh- und Schandrunde durch den Saal zu laufen.
Als die Disziplin dergestalt wieder hergestellt war, forderte der Ritter die Mannsbilder im Saal auf, sich nun im edlen Wettstreite zu messen und einen würdigen Vertreter zu finden, der zum Ritter geschlagen werden solle. Vier freiwillige Recken fanden sich, um mutig gegeneinander anzutreten. Ein mächtiger Krug Bier musste hinuntergestürzt werden, das edle Burgfräulein durch Tücher vor den Launen der Witterung geschützt werden, und schließlich mussten die Recken beweisen, dass sie nicht nur trinkfest und fürsorglich gegenüber dem Burgfräulein sein konnten, sondern auch in der Lage, Kraft ihrer Arme dieses im Falle eines Falles tapfer zu verteidigen. Minutenlang stemmten die Ritteramtskandidaten zum Beweis ihrer Kräfte den bis zum Rand mit Bier gefüllten gewaltigen Holzkrug am ausgestreckten Arm, bis feststand, dass dem Knappen Timo von der Waterkant die Ehre gebührte, zum Ritter geschlagen zu werden.
Es hub gewaltiger Jubel unter dem Volk an, und die Diskretion verbietet es dem Chronisten, die folgenden Feierlichkeiten zu Ehren des neu geschlagenen Ritters in allen Details zu beschreiben. Nur etwas sei angedeutet: Solcherlei Fleischberge und unzählige Bierkrüge, die in den Saal getragen wurden, hatte man in Seßlach angeblich schon lange nicht mehr gesehen.
Wenigstens nicht seit dem Vortage…
Als der Hahn am Sonnabend, dem 8. Mai 2010, krähte, sah man das mittelalterliche Seßlach in aller Stille im Morgennebel daliegen. Erst am späten Vormittag sammelten sich die ersten Menschen vor ihren Häusern, aber nach und nach formierten sie sich zu einem gewaltigen Zug durch die Gassen und durch das südliche Stadttor. Hier wartete schon eine große, neuzeitliche Kutsche, die wie von Wunderhand von mechanischen Pferden getrieben unsere Freunde zur nahegelegenen Frankenmetropole Coburg brachte. Ehrwürdig die Kulisse des Stadtschlosses, und genauso ehrwürdig die zahlreichen mechanischen Kutschen und benzinfressenden Gäule, die, obschon seit vielen Jahrzehnten in Diensten ihrer Kutscher und Reiter stehend, liebevoll gepflegt und auf Hochglanz poliert zu einem historischen Wagenrennen starteten. Weit über sechzig dieser absonderlichen Gefährte zählte der Chronist und wunderte sich über die gar seltsamen Namen dieser Rosse und Streitwagen: Münch, BMW und Benelli; Porsche, Jaguar und NSU RO 80; Kharmann Ghia und Opel Blitz; Lancia, Alfa Romeo und Ford Escort; aus allen Teilen des bekannten Erdkreises waren die Teilnehmer angereist.
Nachdem die Gespanne unter Fauchen und Röhren in einer großen Staubwolke verschwunden waren, schickten sich unsere Freunde an, das mittelalterliche Coburg zu erkunden. Es ergab sich, dass just an diesem Tage Markttag war in der Stadt, und die Händler und Bauern der Region unter lautem Geschrei Schweine und Rinder, auch Teile davon, aber auch Brote und Gemüse, Obst und Gewürze und allerlei andere Spezereien feilboten, und auch sorgsam zusammengestellte Schriften über das Brauwesen der Region wurden angeboten. Gar manchen Heller ließen unsere Freunde hier in der Stadt, bevor sie wieder ihre mechanische Kutsche bestiegen, um weiterzureisen.
In ehemaliges Feindesland führte die wilde Fahrt, ins entfernte Thuringia. Reitende Boten hatte Kunde von unserer mechanischen Kutsche vorausgetragen, und so waren in Ummerstadt die Braukessel bereits geschürt, zahlreiche Schweine geschlachtet und unzählige Brote gebacken worden. Da rauchte die Bräterei, und der Gerstensaft quoll aus den kühlen Fässern, als wir in die Hofeinfahrt zum Ummerstadter Kommunbrauhaus rollten. Die Gläser klirrten, das Fett spritzte, und Lachen, Geschrei und Gesang füllten alsbald den Platz vor der Ummerstädter Brandwehr. Gar zu vorzüglich schmeckte es uns, und die Gastfreundschaft der Ummerstädter Standeskollegen kannte keine Grenzen. Wie gerne hätten wir hier noch Stund‘ um Stund‘ der Völlerei gefrönt, aber ein strenger Zeitplan mahnte uns, eine weitere mittelalterliche Stätte zu besuchen, die Burgruine Altenstein.
Hei, wie haben die alten Ritter vom Stein hier edel gehaust – in drei Himmelsrichtungen schweift der Blick kilometerweit über Hügel und Täler, Wälder und Felder, schier uneinnehmbar schien weiland die Burg auf diesem Felse zu stehen. Und doch, unberechenbare Kräfte der Natur hatten dereinst die starke Burg in der Mitte gespalten und nur mehr eine Ruine hinterlassen – eine Ruine zwar, aber gleichwohl beeindruckend. Gewaltige Quader und Rundbögen, Wehrtürme und Burggräben zeugten von der Herrschaft derer von Stein über die Lande, und der höchstgelegene Biergarten Unterfrankens am Rande der Burg bewies wieder einmal, das Macht und Lebensfreude Hand in Hand gehen.
Beeindruckt umrundeten wir die alten Gemäuer und ließen uns anschließend von unserer Kutsche ins Tal hinab tragen. Von oben schon hatten wir gesehen, wie verräterischer Rauch aufstieg, und siehe da, in Junkersdorf waren ebenfalls die Braukessel angefeuert, und ein gewaltiger Spieß drehte ein junges Lamm über dem Feuer. Die Sonne schien über die blumenübersäten Wiesen, die Zicklein sprangen umher, ein kleines Bächlein murmelte am Junkersdorfer Kommunbrauhaus entlang – es war eine Idylle, in der uns Kurt-Maria Adler und seine Mannen willkommen hießen. Viel hatte sich getan, seit unserem letzten Besuch, in dem alten, kleinen Brauhaus. Eine neue Malzmühle war beschafft worden und eine edel glänzende Kühlschlange aus bestem Stahl, und so war es erneut interessant, sich in den Räumen und Winkeln umzusehen. Der intensive Duft der Maische zog durch das Haus, in den Sonnenstrahlen tanzten die Staubkörnchen über dem blitzblank polierten Kühlschiff, das Feuer unter dem Kessel knisterte, und die Maischepumpe arbeitete ächzend vor sich hin. Die Besucher gaben sich beeindruckt.
Und als hätte es noch einer Steigerung bedurft, hub ein Sackpfeifenspieler an zu spielen und präsentierte uns seltsame Weisen aus fernen Ländern.
Aber ach, erneut mahnte uns die Uhr, die Kutsche zu besteigen und von dannen zu ziehen, wartete doch im Roten Ochsen zu Seßlach noch ein Festbankett auf uns. Der Tag neigte sich, als wir die Schänke betraten, und uns erwartete wahrlich eine fröhliche Feier. Erneut bogen sich die Tische unter der nahrhaften Last, auf Tellern, Schüsseln, Pfannen und Brettern wurde serviert, was die Region zu bieten hat, und vier fröhliche Spielleut‘, die „Gschrubbdn“, unterhielten die Gesellschaft. Fröhliche Klänge, schmetternder Gesang und ungeübte Koloraturen aus rauen Kehlen zogen über die Tische und kündeten in der ganzen Stadt vom Einzug dieser fröhlichen Gesellschaft. Fränkisches und überregionales Liedgut wurde zum Besten gegeben, und erneut zwingt die Diskretion den Chronisten, die Details zu übergehen. Nur so viel: Es war ein rauschendes Fest, und heisere Kehlen, spannende Ranzen und dröhnende Schädel legten am nächsten Morgen Zeugnis ab von dem, was sich in Seßlach zugetragen haben muss.
Müde von der geschlagenen Schlacht am Büfett sammelten sich die Recken und ihre Weibsleut am Sonntagmorgen auf dem Seßlacher Marktplatz. Zwischen Rotem Ochsen und Gasthof Reinwand standen Bänke und Tische und boten einen würdigen Rahmen, langsam wieder aus dem mittelalterlichen Erleben aufzuwachen und in die Neuzeit zurückzukehren. Kräftiger Kaffee stärkte die Glieder und öffnete die müden Augen, begeistert wurden die letzten Tage Revue passieren lassen. Unausgesprochen herrschte Einigkeit, dass wir uns im nächsten Jahr wiedersehen werden, und schon mahnten die schlagenden Kirchenglocken die ersten, weit angereisten Teilnehmer zum Aufbruch.
Ein Hauch von Wehmut wehte über den nun wieder leeren Marktplatz der historischen Gemeinde Seßlach, aber auch Freude über eine wunderschöne Reise und die Aussicht auf die dann achte Tour de Bier im Frühjahr 2011. Von ganzem Herzen dankt der Chronist namens der aller Teilnehmer den Organisatoren Hans Rolf, Klaus und Jan und überbringt hiermit das gemeinsame Lob. Wohlgetan!
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