Craft Bier Fest Wien – Mai 2018
Wien
AUT

Dreiteilen müsste man sich können. Mindestens…

Jedes Jahr im Frühling ist es das Gleiche. Während im Winter in der Bierszene relative Ruhe herrscht, beginnt ab Mai wieder der Festival-Wahnsinn. Jeder, der etwas auf sich hält, meint, ein Bierfest organisieren zu müssen, und so ist der Terminkalender im Frühjahr jedes Mal wieder übervoll. Solange es sich dabei um kleinere Dorffeste oder regionale Brauertreffen handelt, mag dies noch in Ordnung sein, die machen sich gegenseitig nur wenig Konkurrenz. Aber wenn am selben Wochenende Anfang Mai die Mikkeller Beer Celebration Copenhagen (eine der angesagtesten Veranstaltungen unter den Extrem-Beer-Nerds überhaupt), das Craft Bier Festival Regensburg (angeblich das größte Craft Bier Fest in Deutschland) und das Craft Bier Fest Wien (die größte derartige Veranstaltung in Österreich) stattfinden, dann ist das ganz schön ärgerlich.

Ich muss mich also für eine Veranstaltung entscheiden, und die Wahl fällt auf Wien. Eine Wahl, die ich aber, so viel sei vorweggenommen, nicht bereue.

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„Hier geht’s zum Bier“

„Hier geht’s zum Bier“, so begrüßt mich die Marx Halle, und wenige Augenblicke später bin ich als einer der ersten Gäste für heute in der Halle. Schon am Eingang treffe ich Kevin Reiterer, den Mitorganisator des Craft Bier Fests. Jetzt hat er noch Zeit für ein paar freundliche Worte – nachher, wenn der Wahnsinn los geht, vermutlich nicht mehr…

Direkt hinter der Einlasskontrolle und noch vor dem eigentlichen Bierfestbereich steht, strategisch günstig, ein Stand mit Hausbrauzubehör – Naturwerte. Verschiedene Hausbrauanlagen und Literatur werden angeboten, Beratung leider gar nicht. Noch nicht, denn man ist noch fleißig damit beschäftigt, den Stand aufzubauen. Paletten werden noch hereingeschoben, Kisten getragen. Dass das Bierfest um 16:00 Uhr beginnt, scheint den Betreiber dieses Standes völlig überrascht zu haben. Chance verpasst, ich mache nur ein paar Bilder von den netten kupferglänzenden Anlagen (insbesondere zum kupfernen Betonmischer hätte ich gerne ein paar Fragen gestellt!) und ziehe weiter. Station 0 also, gewissermaßen.

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Naturwerte

Vor mir liegt jetzt die große Halle. Weitläufig. Jede Menge Sitzgelegenheiten. Am Rand entlang ziehen sich die Stände zahlloser Brauereien. In der Mitte, quasi als Raumteiler, ein paar Street-Food-Stände. Geschickt arrangiert, wirkt die Halle dadurch doch etwas kleinteiliger und gemütlicher, ohne an Platz zu verlieren.

Ein erster, rascher Rundgang verschafft mir einen Überblick über die vertretenen Brauereien. Österreich, Tschechien, Polen, Slowenien, Ungarn, Slowakei, Irland, Italien. Das ach so große Bierland Deutschland ist nur durch eine einzige winzige Brauerei vertreten, glänzt ansonsten durch Abwesenheit.

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noch ist die Halle recht leer, aber das wird sich bald ändern

Na, dann machen wir uns doch mal ans Verkosten.

Station 1, die jüngste Brauerei Wiens, gerade erst eröffnet: Bräuhaus Ten. Fifty. In der ehemaligen Brotfabrik Anker hat sie ihr Zuhause gefunden. Ich probiere deren The Pale One, ein Pale Ale, und bin zufrieden. Schön hopfenaromatisch, aber nicht übertrieben bitter. 5,3% Alkohol, intensive Aromen, intensiver Geschmack, hohe Trinkbarkeit. Glückwunsch zum guten Start.

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Bräuhaus Ten. Fifty. – The Pale One

Station 2: BrewAge. Vor der Theke, ich sehe es schon von weitem, steht … nein, nicht der Affe, das Symboltier der Brauerei, sondern Bierpapst Conrad Seidl, der mir gleich als erstes das neueste Sauerbier von BrewAge empfiehlt, Simon and the Kettlemates, 4,5%. Ein Sour IPA mit einem pH-Wert von deutlich unter 4. Sour also nicht nur im Namen, sondern auch im Geschmack. Heftig, aber trotzdem noch angenehm. Weniger wäre fad, mehr wäre untrinkbar. Gut gelungen.

Ähnlich heftig der Brett Affe. Ein Brettanomyces Imperial IPA. 9,9% Alkohol. Ein heftiges Bier. Heftig im Alkohol, heftig in seinen ledrigen Aromen der Brettanomyces-Hefe. Kräftige Hopfengaben können die ungestüme Hefe nur schwer im Zaum halten. Ein Bier für den bewussten Genuss, für die Provokation auf der Zunge und am Gaumen. Kann man mögen, muss man aber nicht. Ich mag’s!

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auf ein BrewAge mit Bierpapst Conrad Seidl

Conrad stellt mir noch seinen vor wenigen Wochen erst erschienenen Beer Guide 2018 vor, in dem er wieder einmal die österreichische Bierwelt in allen ihren Facetten detailreich beschrieben und bewertet hat. Das Standardwerk über Bier in Österreich. Wäre schön, wenn es so etwas auch einmal für Deutschland geben würde, aber ich weiß, das diesbezügliche Versuche leider schon einmal gescheitert sind…

Ich schlendere ein paar Stände weiter und erreiche Station 3, den Belgier. Raf Toté, der Belgier hinter dem Belgier, der mittlerweile in Wien lebt, überzeugt mit zwei ganz wunderbaren Bieren. Das erste, das Mad Moustache, ein American Red Ale, ist vollmundig, kräftig, malzig, rund und ausbalanciert. Wer die typischen Malze eines Rotbiers mag, wird von diesem 5,5% starken Bier begeistert sein. Ich persönlich bin es nicht, was aber definitiv nicht an der Qualität des Biers, sondern nur an meiner eigenen Ablehnung gegen den Stil liegt. Das zweite Bier, für mich heute das fünfte, ist ein ganz besonderes. Der Stil: Strong Blonde. Der Name: Flavourit 3. Das Geheimnis: Zwei Kräuter. Zum einen Agastache, ein grünliches Kraut, dessen Aroma entfernt an Oregano erinnert, aber durchaus eigene Noten aufweist, zum anderen Fingerlimette, die, nun ja, nach Fingerlimette riecht. Ein Aroma, das ich so noch nicht kennengelernt habe. Etwas völlig Neues für mich. Beide Kräuter verbinden sich im Bier zu einem dezenten, aber stets präsenten Hintergrund, der dem ansonsten klassischen Stil eines Strong Blonde den gewissen Pfiff verleiht. 6,5% Alkohol, und ein echtes Geschmackserlebnis.

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eines der spannendsten Biere seit langem: Der Belgier – Flavourit 3

Und Grundlage für eine spannende Fachsimpelei mit Raf und mit Birgit Rieber über das sogenannte deutsche „Reinheitsgebot“ und darüber, wieviel ehrlicher und kreativer Österreich mit seinem Lebensmittelkodex fährt.

Mittlerweile hat sich die Halle schon ganz gut gefüllt, und ich lasse mich ein wenig von Stand zu Stand treiben. Die riesige Theke vom BeerLovers Craft Beer Store mit der integrierten kleinen Brauerei Muttermilch Vienna Brewery hält mich auf – Station 4. Marina Ebner und Edith Rainsborough laden mich auf ein Probierglas des Wiener Opi ein, ein Imperial Vienna Lager. 6,0% Alkohol und ein kräftiger Geschmack nach Wiener Malz. Eine spannende Erfahrung, die mir aber persönlich nicht zusagt. Ähnlich wie beim Rotbier gefällt mir auch hier der intensive Geschmack des Malzes nichts. Aber objektiv betrachtet ist der Wiener Opi ein ausgezeichnetes Bier. Wer klassisches Wiener Lager mag, wird dessen Imperial Variante lieben! Ein großes Lob an Marina.

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eigenwillig: die Muttermilch-Präsentation

Direkt nebenan der Stand der Carlow Brewing Company, besser bekannt als O’Hara’s. Der Senior Brewer Alan Stokes ist persönlich anwesend und serviert mir ein New England IPA namens 51st State. Ein tolles Bier. Harzige und erdige Hopfenaromen, ein kräftiger Malzkörper, 6,0% Alkohol. Ein richtig schönes, klassisches, englisches India Pale Ale, so wie es sein sollte. Kann man kaum besser machen. Aber warum heißt es New England IPA? Es ist alles andere als ein NEIPA, es ist kein helles, extrem trübes, extrem fruchtiges Modebier. Alan zuckt mit den Achseln. „Nicht meine Entscheidung. Ich braue einfach nur ein tolles IPA. Wie das genannt wird, entscheiden dann die anderen…“ Geiles Bier unter falschem Label. Wir kommen von Hölzchen auf Stöckchen, identifizieren gemeinsame Bierfreunde (das Team rund um Pinta aus Polen), aber dann mahnt mich ein Blick auf die Uhr: Gleich ist es 18:42 Uhr.

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das NEIPA, das kein NEIPA war, dafür aber um so besser schmeckte

Im Jahre 1842 wurde die Pilsner Urquell Brauerei gegründet, um 18:42 Uhr wird ein Fass unfiltriertes Pilsner Urquell angestochen. Station 6 mit Bier Nummer 8 ist demnach die erlebnisreichste. Ein junger Bosnier, oder eigentlich bosnischer Kroate, meldet sich freiwillig zum Anzapfen, und obwohl er nur zaghaft zuschlägt, sitzt der Hahn bombenfest, nichts tropft. Er würde wohl einen guten Oberbürgermeister für München abgeben und könnte problemlos das Oktoberfest eröffnen. Das Pilsner Urquell zischt weg wie nix, das Freibier ist rasch alle, und die schaulustige Menge verläuft sich wieder – vielleicht ein wenig enttäuscht, dass es keine Bierdusche gegeben hat.

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Anstich!

Station 7: 100 Blumen. Die Brauerei mit dem wohl romantischsten Namen in Wien. Ich verkoste Bier Nummer 9, ein Helles mit Kölsch-Hefe. 5,2% Alkohol, und für ein Kölsch, das so nicht heißen darf, durchaus stilecht. Soll heißen: Eher dünn, dafür aber erfrischend und durstlöschend. Es zischt noch schneller weg als das PU eben.

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der romantischste Brauereiname Wiens

Eigentlich sollte es jetzt aber nicht mehr so zischen, denn sonst ist der Abend zu schnell vorbei. Insofern bummele ich jetzt in verhaltendem Tempo an den verschiedenen Ständen vorbei

Die achte Station bietet kein Bier! Dafür aber eine Bier-App. Lukas Niedermayr vom Beertasting-Club aus Salzburg führt mir die Bierbewertungs-App des Clubs vor. Bierbewerten leicht gemacht: Einfach das Etikett der Flasche abfotografieren, und schon wird in der Datenbank das Bier identifiziert. Alle Daten werden schon automatisch in das Formular eingetragen und der Verkoster muss nur noch seine persönliche Bewertung hinzufügen. Sehr praktisch. Hätte es das vor zwanzig Jahren schon gegeben, meine Sammlung von mehr als 16.000 Bieren wäre schon lange im Netz verfügbar. Aber jetzt rückwärts alles noch neu aufnehmen? 16.000 Einzeleinträge? Nee, das wohl eher nicht, und insofern ist die App leider nix für mich. Schade, eigentlich, denn sie ist so faszinierend. So bleibt denn nur der Download meiner persönlichen Bierliste über meinen Blog…

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Beer Tasting Club

Ich bleibe erst wieder an der slowenischen Brauerei Hopster aus Ljubljana hängen. Neunte Station, zehntes Bier. Ein Coffee Stout, 7,0% Alkohol, kräftige Kaffeearomen. Schön röstig, vollmundig, kräftig bitter. Hier wird nicht gezischt, hier wird in winzigen Schlucken genossen. Und gefachsimpelt. Wie der nette, junge Brauer heißt, mit dem ich mich so lange unterhalten habe? Keine Ahnung, ich vergesse, zu fragen.

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Hopster aus Ljubljana

Ach, mittlerweile ist der Abend schon recht weit fortgeschritten. Ein, höchstens zwei Biere noch dürfen es sein, aber dann sollte die Vernunft siegen. Ich laufe meine Endstation an, Nummer zehn, die Bevog-Brauerei. Die slowenische Brauerei auf österreichischem Boden. Ihr Session IPA, Zo genannt, mit gerade einmal 4,3% Alkohol gefällt. Leicht und spielerisch die fruchtigen Hopfenaromen, ebenso leicht der Malzkörper. Ein herrliches Sommerbier. Aber für den Abschluss des Abends eigentlich zu „normal“. Und so gönne ich mir, gewissermaßen als Betthupferl, auch noch das Hagger. Ein starker Barley Wine, in verschiedenen Holzfässern gereift, in denen vorher die unterschiedlichsten Spirituosen gelagert haben. Hinterher so lange verschnitten, bis eine hervorragende Balance erzielt wurde. 12,3% Alkohol. Genuss in winzigen Schlucken. Ein langsamer, nicht enden wollender Ausklang des Abends und sicherlich der Höhepunkt für heute.

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Hagger – das handgemalte Schildchen mag simpel gewesen sein, das Bier war es nicht

Draußen vor der Halle empfängt mich die angenehm kühle Abendluft eines herrlichen Frühlingstages. Tolle Biere, nette Erlebnisse, spannende Gespräche. Das Craft Bier Fest Wien hat alles gehalten, was ich mir von ihm versprochen habe. Jederzeit wieder!

Das Craft Bier Fest Wien findet üblicherweise zwei Mal im Jahr statt – einmal im Mai, einmal im November. Termine und – bei Bedarf – Kartenvorverkauf über https://www.craftbierfest.at.

Bilder

Craft Bier Fest Wien – Mai 2018
Marx Halle
Karl-Farkas-Gasse 19
1030 Wien
Österreich

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