Quietschend kommt die Straßenbahn am Kurfürstenplatz zum Stehen und ich steige aus. Den halbvollen Rucksack über die Schulter gehängt, überquere ich die Straße und gehe in die Hohenzollernstraße. Ein paar Einkäufe habe ich heute Vormittag schon gemacht und die Gelegenheit genutzt, dass ich mal wieder tagsüber in der großen Stadt bin und in der Frühe in das eine oder andere Fachgeschäft gehen konnte. Lieber hier in München schnell noch etwas einkaufen, was es daheim auf dem Lande nicht gibt, als wieder Amazon bemühen und dann doch wieder nicht im Haus sein, wenn der Paketbote klingelt.
Ein letztes Fachgeschäft steht nun noch auf meiner Liste, und dann werden die Sachen ins Hotel gebracht. Da sehe ich es auch schon vor mir: Biervana. „Bierkultur, Craft Beer, Braukunst“ steht auf dem in rot, altrosa schwarz und weiß gehaltenen Firmenschild. Über 600 verschiedene Biere soll es hier geben.
Groß sieht es von außen nicht aus. Ein winziges Schaufenster nur, daneben die schmale Eingangstür. Da wird in den Erzählungen wohl wieder maßlos übertrieben worden sein, denke ich mir und drücke die Tür auf.
Der Raum ist tatsächlich so klein, wie er von außen aussieht, aber bereits nach einem kurzen Blick auf die vollgepackten Regale und die großen Stapel von Kartons in der Mitte des Raums überdenke ich meine Zweifel. 600 verschiedene Biere? Oh, doch, das könnte stimmen. Aber ich möchte nicht derjenige sein, der hier in diesem vollgestopften Raum die Übersicht behalten muss. Die Regale biegen sich unter der Last von Flaschen. Dazwischen, daneben, dahinter und in der Mitte stehen Kisten und Kartons, auf denen stehen wiederum Körbe mit besonderen Bieren, und all die Dinge, die man für einen Geschäftsbetrieb sonst noch so braucht, sind irgendwo noch dazwischen gequetscht. Selbst für aus Kundensicht völlig überflüssige Sachen, eine Kasse zum Beispiel, findet sich ein kleines Plätzchen.
„Was darf’s denn sein? Kann ich Dir helfen?“ Ein junger Mann steuert geradewegs auf mich zu. „Hm, ja, eigentlich ganz einfach“, erwidere ich. „Ein paar gute deutsche Biere, die ich noch nicht getrunken habe. Und zwar genau zehn Flaschen. Mehr kriege ich in meinen Rucksack nicht rein, ich muss damit noch eine ganze Weile rumlaufen und alles morgen auch noch mit der Bahn bis nachhause bringen.“
Eine klare und vor allem realistische Ansage. Zehn Flaschen passen noch problemlos in den Rucksack, ohne dass ich quetschen oder die anderen Einkäufe komplett umpacken muss. Jede Flasche mehr wäre Übermut. Und zuhause, im Bierkeller, sind sowieso von den letzten Ausflügen eigentlich genügend Biere eingelagert, um den Dritten Weltkrieg zu überstehen. Also, echten Bedarf habe ich eigentlich nicht…
Das brauche ich dem jungen Verkäufer jetzt nicht alles erzählen, aber ich betone trotzdem noch einmal: „Zehn Stück. Mehr nicht!“
Wir greifen mal hier ins Regal, mal dort. Norddeutschland, Süddeutschland, Ostdeutschland. Der kleine Holzbierträger, der als eine Art Einkaufskorb dient, füllt sich rasch. „Oh, Spencer Trappistenbier aus den USA? Da mache ich doch eine Ausnahme!“ Flugs landet auch eine Flasche von der anderen Seite des Atlantiks in die Kiste.
Es dauert nur wenige Minuten, und der Einkauf ist beendet. Es sind gerade keine anderen Kunden im Laden, und wir fangen an, uns über die Brauereien zu unterhalten, deren Biere ich gerade ausgewählt habe. „Du kennst Dich aber ganz gut aus…“, höre ich und fühle mich geschmeichelt, als der Inhaber des Lädchens, Matthias Thieme, von irgendwoher auftaucht. „Ach, der Herr Brunnenbräu!“, lüftet er mein Inkognito, und zu dritt stehen wir nun und fachsimpeln.
„Wie, nur zehn Flaschen?“ Matthias ist irritiert. „Sag‘ jetzt aber nicht, dass Du alles andere schon kennst?“
„Nee, nee, das nicht“, erwidere ich und erkläre ihm meine Transportnöte. „Komm, für eine Dose ist in Deinem Rucksack aber trotzdem noch Platz“, lacht Matthias und drückt mir eine Bierdose in die Hand. „Hier! Schenke ich Dir. Blogger-Rabatt…“, grinst er.
Na gut, die eine Dose passt schon noch rein. „Aber käuflich bin ich nicht“, frotzele ich. „Ich schreibe trotzdem, was ich will!“
Vor etwas mehr als vier Jahren sei der kleine Shop gegründet worden, erfahre ich von Matthias noch. Man freue sich über einen großartigen Kundenstamm, und das Bierangebot sei stetig gewachsen. Wobei, letzteres ist mittlerweile fast schon ein Problem. Mit jetzt rund 600 Biersorten sei die Grenze dessen erreicht, was in dem winzigen Lädchen noch unterzubringen ist. Aber die Mieten hier in München, die Mieten… Matthias verdreht die Augen. Einfach so zu expandieren, das ist in der Stadt nahezu unmöglich. Da hilft nur noch, die Kartons noch enger zu stellen, die Regale noch voller zu machen. „Ein bisschen geht bestimmt noch…“, sage ich, stelle aber fest, dass es auch so schon schwierig ist, sich in dem schmalen Gang zwischen den Regalen zu zweit zu begegnen.
„Ein paar Fotos mache ich noch, und dann muss ich aber langsam wieder los“, erkläre ich Matthias, nachdem wir schon ewig lange zusammengestanden und erzählt haben. Ich tauche hinter die Kartons ab und suche die beste Perspektive, als ich aus dem Augenwinkel eine Flasche Emma sehe. Emma. Biere ohne Bart. Gebraut von Almut Zinn. Viel habe ich über sie und ihre Biere schon gelesen, aber noch keines getrunken. Na gut, dann weiche ich von meinem Vorsatz ab. Nicht mehr als zehn Biere? Passt nach der geschenkten Dose ja sowieso schon nicht mehr, dann kommt es auf zwei Emma-Biere also auch nicht mehr an.
Ein zweites Mal gehen wir an die Kasse, und in Gedanken schüttle ich den Kopf über meine Inkonsequenz. Nun ja…
Jetzt ist der Rucksack aber wirklich picke-packe-voll. Ein kurzer Rundblick noch, und dann geht es weiter. Über 600 Biere. Ganz hervorragende Spezialitäten sind dabei, auch viele selbst mir noch völlig unbekannte Brauereien aus der ganzen Welt. Dazu ein freundlicher Service, der sich gerne Zeit für eine gute Beratung nimmt und, wenn gerade keine anderen Kunden da sind, auch für einen unterhaltsamen Klönschnack. Das Biervana kommt auf meine Liste der besuchenswerten Bieradressen. Und zwar ziemlich weit oben!
Das Biervana ist dienstags und mittwochs von 12:00 bis 19:00 Uhr, donnerstags und freitags von 12:00 bis 20:00 Uhr und sonnabends von 10:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. Sonntags ist zu. Mit der Straßenbahn (Linien 27 und 28) fährt man bis zum Kurfürstenplatz und geht von dort aus etwa 100 m in Richtung Westen – schon ist man da.
Biervana
Hohenzollernstraße 61
80 796 München
Bayern
Deutschland
Be the first to comment