Wir Komplizen. Ein Multitap im Frankfurter Nordend. Ende 2016 wurde diese kleine Bar eröffnet, und bisher habe ich von allen, die dort eingekehrt waren, immer nur Positives zu hören bekommen. Nette Atmosphäre, gute Bierauswahl, freundliches Personal und schmackhaftes, selbstgemachtes Essen.
Und trotzdem: So richtig hat mich die Lust nie gepackt, hier einmal einzukehren.
Zugegeben: Ich bin recht selten in Frankfurt, aber selbst, wenn, dann hat mich der Name irgendwie immer abgeschreckt. Komplizen – für mich sind das Straftäter, Mittäter, Helfershelfer der kleinen und großen organisierten Kriminalität. Selbst der Duden behauptet, das Wort würde vorwiegend im negativen Kontext verwendet, und im Strafrecht findet man ausführliche Abhandlungen über die Komplizenschaft, eine Mittäterschaft, die über einfache Anstiftung oder eine Gehilfenrolle deutlich hinausgeht.
Vielleicht ist das im Hessischen anders, vielleicht kann man hier das Wort im übertragenen Sinne auf jede Art von Zusammenarbeit anwenden…
Am 22. Februar 2019 ist es aber soweit: Meine holde Ehefrau und ich haben eine Zwischenübernachtung in Frankfurt, bevor es morgen früh mit dem Flieger in die große, weite Welt hinausgeht. „Wir fahren jetzt mal ein paar Stationen mit der Straßenbahn, und dann gehen wir ein paar leckere Biere trinken und etwas Feines essen“, schlage ich vor, und die Reaktion ist simpel: „Au, ja!“
„Wo geht es denn hin?“, fragt meine Frau noch neugierig. „In die Bar Wir Komplizen“, lautet die Antwort, und sie verzieht ihr Gesicht. „Bitte wohin? Und Du meinst, da ist es schön?“
Ich nicke aufmunternd und in Kenntnis all der guten Empfehlungen, die ich bekommen habe. „Na klar! Sonst hätte ich es nicht vorgeschlagen…“, grinse ich.
Ein paar Minuten später stehen wir in der Egenolffstraße, sehen auf ein bonbonbunt leuchtendes Schild und gehen langsam durch eine schmale Einfahrt in einen dunklen Hinterhof. „Café, Tap Room, Dining“ steht über einem warm und einladend leuchtenden Fenster. Durch die Glasscheibe in der Eingangstür sehen wir Regale voller Bücher, eine Zapfanlage mit vielen Zapfhähnen, eine bunte Bierliste an der Wand und viele kleine Tische und Stühle im Raum verteilt. Schaut gemütlich aus; viel freundlicher, als der Name vermuten lässt.
Ein netter junger Mann führt uns zu einem kleinen Tisch im rechten der beiden Gasträume. „Viel Platzauswahl habe ich für Euch leider nicht“, sagt er entschuldigend. „Es ist fast alles reserviert.“ Aber das kleine Tischchen, das er uns zeigt, gefällt uns gut. Augenblicke später sind wir in die Bierliste und Speisekarte vertieft. Zehn Fassbiere stehen auf der Liste, und eine kleine Fußnote weist darauf hin, dass eines davon wohl heute Abend zu Ende geht und durch ein anderes ersetzt werden wird.
Die Hälfte der Liste sind einfache helle oder dunkle Biere. Trinkbiere aus kleinen, handwerklichen Brauereien. Exotisch nur in dem Sinne, dass sie in winzigen Mengen gebraut werden und nur in der Region zu bekommen sind, aber nicht dahingehend, dass sie mit ungewöhnlichen Zutaten, gewaltigen Geschmacksexplosionen oder astronomischen Bittereinheiten protzen wollen. Das gefällt uns. So wichtig und so gut ein Double IPA oder ein Imperial Bock auch sein können, so sehr bedarf es auch ab und an mal eines Biers, das man einfach nur in großen Schlucken gegen den Durst trinken kann, das aber eben auch nicht wässrig und überspundet wie die meisten Industriebiere sein darf. Fein!
Wir entscheiden uns für ein einfaches Helles aus dem Dorfbräuhaus und ein Rubi Ale von Sander. Beide Biere sind schön aromatisch, rund, vollmundig und nicht zu stark – das Helle hat 5,0%, das Rubi 5,9%. Schmackhaft genug, um sie nicht achtlos hinter die Binde zu kippen, aber doch ausreichend süffig, um den Durst zu löschen. Während wir in relativ großen Schlucken trinken, studieren wir die Speisekarte und wählen eine mediterrane Vesperplatte aus, die wir uns teilen wollen.
Wir werden nicht enttäuscht. Von der aromatischen Fenchelsalami über den luftgetrockneten Schinken, die eingelegten Oliven, das würzige Hummus und das frische Baguettebrot bis hin zu den vielen Käsesorten schmeckt alles ganz wunderbar. Jeder kleine Bissen ein neues Geschmackserlebnis.
Die zweite Runde Bier ist ein Kompromiss zwischen immer noch Durst zu haben, aber schon den intensiven Geschmack zu suchen. So wählen wir das Rebell Lager Bio (4,8%) von Sander gegen den Durst, den Gutenberg Bock (8.5%) von KuehnKunzRosen hingegen für den intensiven und bewussten Genuss. Mal ein Schlückchen hier, mal ein Bissen dort – alles passt hervorragend.
Langsam füllt sich der Gastraum; die reservierten Tische werden besetzt, der Lärmpegel steigt. Das Publikum ist jung, meistens deutlich jünger als wir, aber hinten in der Ecke sitzt ein Damenkränzchen in fortgeschrittenem Alter – alle schon lange im Ruhestand. Sie erlösen uns von dem Gefühl, die ältesten im Raum zu sein, und fühlen sich sichtlich wohl.
Ich stöbere ein wenig in den zahlreichen Büchern, die überall im Raum in den Regalen und auf einfachen Brettern stehen. Viel politische Literatur ist dabei, vorwiegend in die politisch linke Richtung deutend. „Braune Gefahr“, lese ich, ein mittlerweile schon 20 Jahre altes Buch von Jens Mecklenburg, dass das Wiederaufsteigen von in Parteien organisiertem Rechtsextremismus und der aus ihm resultierenden gesellschaftlichen Gefahren thematisiert und so leider, leider gar nichts an Aktualität eingebüßt hat. Waren es seinerzeit die DVU, die NPD und die Republikaner, so ist es mittlerweile die AfD, die unreflektierte Parolen herausschreit und dumpfbackiges Stimmvieh hinter sich versammelt, das meistens gar nicht artikulieren kann, was es will, sondern nur ebenso simple wie dumme Schlagwörter herumkräht, die der Komplexität der Gesellschaft leider überhaupt nicht gerecht werden.
Während ich in dem Bändchen vor mich hin blättere, genießen wir noch ein fünftes und ein sechstes Bier, bevor es Zeit wird, ins Hotel zurückzufahren und noch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen: Das Sugar Spun IPA (6,4%) von Fürst Wiacek, ein sehr trübes und sehr saftig wirkendes New England IPA, und das Mystique IPA (7,0%) von KuehnKunzRosen, ein aromatisch-fruchtig-kräuteriges Bier, das viel Aufmerksamkeit einfordert und auch bekommt.
Noch viele weitere Biere könnten wir verkosten, denn neben den zehn Fassbieren gibt es noch eine recht ordentliche Flaschenbierliste, aber jetzt wird es wirklich höchste Zeit.
Schön war es, versichern wir uns und dem freundlichen jungen Mann, der uns die ganze Zeit bedient hat. Eine sehr schöne Bierauswahl, ausgezeichnetes und mit viel Liebe zubereitetes und arrangiertes Essen und eine sehr schöne, entspannte Atmosphäre. Viel, viel besser, als der merkwürdige Name suggeriert. Eine Mischung aus Café, Bar, Restaurant, und ganz einfach ein Treffpunkt für die Nachbarschaft. Fein!
Das Biercafé (so nenne ich es jetzt einfach mal) Wir Komplizen ist täglich ab 17:00 Uhr bis spät in den Abend geöffnet; freitags und sonnabends schon ab 16:00 Uhr. Sonntags ist nur tagsüber geöffnet, von 10:00 bis 17:00 Uhr, da gibt es einen leckeren Brunch. Montags ist Ruhetag. Fährt man mit der Straßenbahn (Linie 12 oder 18) bis zur Haltestelle Rohrbachstraße / Friedberger Landstraße, dann hat man drei oder vier Minuten Fußweg in Richtung Osten bis zur Tordurchfahrt, hinter der sich das Biercafé verbirgt.
Wir Komplizen
Egenolffstraße 17
60 316 Frankfurt am Main
Hessen
Deutschland
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